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Ich war nur die Vorspeise für Kramnik"

Kramnik-Simultan bei den Chess Classic 2001

von Eric van Reem, Juni 2001

mehr Schachtexte von Eric van Reem

 

   „Oh, was haben Sie gekämpft! Sehr beeindruckend." Kurz nach Mitternacht musste Sven Quist von der Schachabteilung TSV Langenau als Letzter seinen König umlegen. Die Zuschauer, die bis zum Schluss die Partien verfolgten, bewunderten die Energieleistung des Simultanspielers und die des Simultangebers bei den Chess Classic Mainz, Braingames-Weltmeister Wladimir Kramnik. Der Russe drehte insgesamt 5 Stunden und 34 Minuten seine Kreise und spielte sich somit in seinem 26. Geburtstag hinein. Zu guter Letzt blieben der Vereinslose Christoph Driftmann aus Frankfurt und Georg Regis (TuS Dotzheim) übrig. Diese Züge wurden für beide Amateure ein Gänsehaut-Erlebnis. Kramnik schnappte sich einen Stuhl, setzte sich - wie in einer regulären Turnierpartie - den Beiden gegenüber. Auge in Auge nahmen die Kontrahenten die Endspielstellungen ins Visier. Der Russe gilt als einer der wenigen Spieler, der äußerst selten verliert. Auch bei dem Simultan bilanzierte er keinen Verlust. Allerdings gewährte er sieben Remis; die restlichen 33 Partien konnte er zu seinen Gunsten entscheiden. Das erste kleine Prestigeduell vor dem direkten Vergleich hatt damit der Fide-Weltmeister Anand hauchdünn gewonnen. Er verlor zwar zwei Partien beim Simultan am Vortag, willigte aber auch nur zweimal in ein Remis ein - damit stand der Vergleich 37:36,5 für den Inder.

Wladimir Kramnik beim Simultan bei den Chess Classic in Mainz

Braingames-Weltmeister Wladimir Kramnik spielte gegen die letzten zwei Gegner im Sitzen

 

   Der Erste, der seine Partie beendet hatte, war der Schirmherr der Chess Classic und Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel, der bereits im Vorjahr in Frankfurt gegen Kasparow ein Remis erzielt hatte. Vielleicht ging Kramnik deshalb seine Begegnung mit dem Politiker vorsichtig an: Er vermied seine gewohnten geschlossenen Stellungen. Es entstand eine Spanische Partie, die der ehemalige Oberliga-Spieler hervorragend behandelte. Mit einem feinsinnigen Springermanöver erreichte Beutel eine leicht bessere Stellung. Dies sah Kramnik offenbar auch so. 17.Sd2 schob er ein Remisangebot nach, das der verdutzte Beutel nach vorheriger Nachfrage, ob er die Offerte richtig verstanden habe, annahm. Aus seiner Sicht ein befriedigender Ausgang: „Es ist ein schönes Gefühl, gegen die Weltmeister noch unbesiegt zu sein", jubilierte das Stadtoberhaupt und ergänzte, „das Remisangebot war sicher auch eine freundliche Verbeugung vor der Stadt und ihrer Leistung für die Chess Classic Mainz."

Die Damen-Fraktion beim Kramnik-Simultan

Die Damen-Fraktion beim Kramnik-Simultan

 

   Beutels Brettnachbar, Organisator Hans-Walter Schmitt, hatte weniger Glück. Seine Stellung schien ausgeglichen, deshalb lehnte er sich schon mal ein wenig zurück und scherzte mit den Zuschauern. Vollkommen unerwartet ereilte ihn der Hammerzug 18.h4!! und plötzlich brannte das Brett. Schon wenige Züge später musste Schmitt den König umlegen. Eine kurze Partie spielte auch der Chef-Koch des Hilton Mainz, Dirk Maus. „Kramniks Züge sind einfach kriminell", resümierte der Kochkünstler. Ich habe schon lange nicht mehr Schach gespielt und war immer noch der Meinung, dass Kasparow Weltmeister ist. Hans-Walter Schmitt hat mich aber aufgeklärt und mir einen Platz im Simultan angeboten. Es war ein tolles Erlebnis, obwohl ich für Kramnik nur eine leckere Vorspeise war. Ich werde mich auf jedem Fall wieder in Zukunft intensiver mit dem Spiel beschäftigen." Kurz nach der Partie verschwand der „Herr der Töpfe" wieder in der Küche, um die Speisen für das „Champions Dinner" vorzubereiten. „Ich habe mir schon einige tolle Sachen einfallen lassen, zum Beispiel das ‚Sorbet der Weltmeister' und zum Nachtisch ein Schachbrett aus Marzipan. Ich bin eben der Meister des Marzipans, Kramnik der Meister des Schachs", befand Maus.

   Unter den sieben Spielern, die ein Remis erreichten, waren auch zwei Lokalmatadore: Verena Rotermund vom 1. FC VO Mainz und Volker Kropp, der für Beutels Verein SV Mainz-Mombach spielt. Sicher ein Indiz, dass die Chess Classic in eine Stadt übergesiedelt sind, in der man etwas vom königlichen Spiel versteht.

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