"In Deutschland spiele ich mein erfolgreichstes Schach"Weltmeister Kramnik lieferte in Bonn Vergnügen purvon Harald Fietz, Juni 2004 |
Man lade vier adrette Nationalspielerin, drei schachbegeisterte Prominente und 13 ambitionierte Amateure zu einem Simultan mit einem smarten Weltmeister ein, rührt eine professionelle Werbetrommel und schon ist die Hütte voll - natürlich ein besonders gediegener Ort, das mit 300 Plätzen theaterähnlich bestuhlte Forum in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Die Deutsche Bank als Sponsor besorgte - nach ihrem vielbeachteten TV-Spot mit Schachsequenzen - zusätzliche Aufmerksamkeit durch einen speziell auf das Bonn-Event abgestimmten Fernsehtrailer mit der bekannten Moderatorin Désirée Nosbusch, bundesweite Radiospots und Internetversteigerung. "Erfolg ist die Summe richtiger Entscheidungen," lautet der Slogan in Anzeigen und auf dem Brett konnte damit am 2. Mai jeder (außer den Kaderspielerinnen) mit einem Schlag 50.000 Euro gewinnen - man musste nur der Einzige sein (sonst hieß es teilen) und Kramnik eine Niederlage beibringen. Ein wahrlich besonderer Kick, den sich drei Schachfreunde bei einer Ebay-Aktion fast 5.000 Euro zugunsten eines SOS-Kinderdorfs kosten ließen; andere setzten auf den Faktor Glück und nahmen am Preisausschreiben der Bank teil. Doch Wladimir Kramnik focht dies kaum an. Sein Statement vor Beginn war eindeutig: "Ich habe im Notebook nachgeschaut. Laut Statistik punkte ich in Deutschland am Besten. Zwischen 1992 und 1996 spielte ich für Empor Berlin in der Bundesliga gut, die Dortmunder Schachtage habe ich schon einige Male gewonnen und auch im Schnellschach, bei den Chess Classic, lief es nicht schlecht."
Viel Zeit ist vergangen seit der damals 17-Jährige langhaarig, im Trainingsanzug, mit hohem Zigarettenkonsum und einem Getränk nicht abgeneigt in der neuen Bundeshauptstadt seinen Einstand in Deutschland gab. Ein Dutzend Jahre später wirkte alles weltmännischer, schlicht eleganter: Mit dunklem Anzug und Krawatte - die Brille ist jetzt modisch randlos - drehte der Moskauer, der im Rahmen der Ausstellung "Kreml - Der Gottesruhm und Zarenpracht" eingeladen wurde, seine Runde. Andächtig-vergnügt lauschten die meisten der Zuschauer auf ihren Sitzplätzen und den Balustraden über Kopfhörer den Ausführungen von GM Helmut Pfleger ("genial mit so viel Witz und Charme zu kommentieren", entfuhr es Großmeisterkollegen Thomas Pähtz). Das Mimenspiel der 18- bis 20-jährigen Juniorinnen konnten sie im gelblichen Scheinwerferlicht gut verfolgen, denn diese saßen - wie der Schauspieler Mathieu Carrière und der Sportler Edgar Itt - frontal zur Bühne. Abwechselnd warf dahinter ein Beamer ihre Stellungen auf eine riesige Leinwand. Vier Stunden entspann sich ein stilles, kurzweiliges Treiben von Zug zu Zug. Wird jemand den Jackpot knackten? Punktet das weibliche Geschlecht gegen den Supergroßmeister?
Als Erste erkannte Anne Czäczine die Stärke der taktischen Drohungen an. "Eigentlich haben wir die Variante erwartet, die Leonie auf dem Brett hatte," zog ihr Freund, FM Norman Thielsch aus Berlin, Fazit. Doch Kramniks Eröffnungsrepertoire ist inzwischen breitgefächert. Einen Sizilianer mit 3.c3 spielte er erstmals, ließ die Vorwärtsstrategie der Chemnitzerin auflaufen und "die Zuschauer konnten Blut sehen", wie sie es rückblickend ausdrückte. Bei Leonie Helm, die in Begleitung ihres Freundes GM Alexander Naumann anreiste, ging es nebenan im Scheveninger Sizilianer zunächst ruhiger zu: mit Figurenabtäuschen folgte man 19 Züge lang der Theorie. Damen vom Brett brachte keine Entlastung, denn Kramnik nutzte seine aktiven Figuren und die Bauerninseln kamen hoffnungslos unter Belagerung.
Endspielüberlegenheit demonstrierte der Weltranglistendritte ebenso am Brett der Nummer zwei der deutschen Frauenrangliste. Elisabeth Pähtz geriet in eine Variante, die der Weltmeister jüngst genauer in der Analyseküche zubereitete. Auch hier vollzog sich nach Damentausch ein Fortgang in typischer Manier: Figuren wanderten mühelos von guten auf bessere Felder und plötzlich kollabierte die Stellung.
|
W. Kramnik - E. Pähtz
|
Fairerweise soll angemerkt werden, dass die Jugendweltmeisterin von 2002 ihre Aufmerksamkeit oft auf zwei Bretter lenkten musste. Der Schauspieler Mathieu Carrière, der für den 1988 erschienenen Film "Zugzwang" einst eine kurze Szene mit Anatoli Karpow vor dem Berliner S-Bahnhof "Westkreuz" drehte, "konsultierte" die Wahl-Dresdnerin laufend. Kaum saß die Ratgeberin mal nicht am Brett, häuften sich die Schwächen rund um den schwarzen König.
|
W. Kramnik - M. Carrière
|
Ähnliche Schicksale ereilte die beiden anderen Prominenten: Hürdenolympionike Edgar Itt (1988 in Seoul Bronzemedialle in der Staffel über 4 x 400m) spielte gutgelaunt zwei Stunden weiter, als Kramnik bereits einen Läufer mehr besaß, und dem mehrfachen Documenta-Teilnehmer Ugo Dossi kam früh die Dame abhanden. Mit künstlerischer Freiheit zelebrierte der Münchner, der eine Reihe von Farboffsetlithographien zum Thema "Schachspielnotierung" schuf, seine Partie, wobei pro Zug nur Ausgangs- und Zielfeld aufgezeichnet wurden.
Professioneller ging die vierte Dame ans Werk: Tina Mietzner wendete eine Variante an, die sie kurz zuvor bei der Frauen-EM mit Karsten Müller präparierte. Bis zum 15. Zug kam das aufs Brett, was in Dresden noch im Nähkästchen blieb. "Schade, dass sie es nicht hielt. Mit 25... Le4 hatte sie exzellente Remischancen," meinte der Hamburger Großmeister mit mehreren Tagen Abstand, was sich mit Kramniks Urteil unmittelbar danach deckte.
|
W. Kramnik - T. Mietzner
|
Trotzdem resümierte die 20-jährige Jura-Studentin positiv: "Dies war die bestorganisierteste Schachveranstaltung, die ich je erlebt habe. Auf einer Bühne zu spielen, wo 500 Zuschauer meine Partie auf den Rängen anschauen und den Großmeisterkommentaren lauschen, das ist ein Traum! Besser kann ein Ambiente gar nicht sein!" Auch der vielgereiste Thomas Pähtz stimmte ein: "Eine so perfekt durchorganisierte Veranstaltung habe ich bisher nicht erlebt. Das Simultan gegen den Weltmeister war für seine Gegner wie auch die Zuschauer pures Vergnügen." Solche Äußerungen ermutigen Stephan Andreae, den Fachgebietsleiter Forum, gewiss, seine Ideen für Ausstellungen rund um Schach und Kunst sowie weitere Schachturniere in der Kunsthalle voranzutreiben. Schon ab 2005 soll es weiteres hochkarätiges Schach am Rhein geben. Es bleibt zu hoffen, dass die Deutsche Bank wiederum dabei ist. Willi Frommer, Mitglied der Geschäftleitung Köln-Bonn-Aachen, gab sich diplomatisch: "Entschieden wird in der Zentrale in Frankfurt." Die 50.000 Euro blieben jedenfalls im Budget, denn keiner schaffte, den Weltmeister in Bedrängnis zu bringen. Einzig bei Michael Schulze (Elo 2035) aus Schleswig, der seinen Platz für 2.000 Euro ersteigerte, setzte der 28-Jährige ein "½-½" neben das Autogramm. "Schwarz spielte einfach solides Schach, dann ist das Remis ein verdienter Ausgang," bilanzierte Kramnik zum kleinen Schönheitsfehler in seiner Tagesbilanz.
|
W. Kramnik - M. Schulze
|
Angesichts von zehn Spielern mit einer Wertungszahl von über 2000 Elo muss der Wert von Kramniks Vorstellung mit dem 19,5:0,5 höher eingeschätzt werden, als viele der Zu-Null-Resultate Kasparows, der Spieler dieser Stärke im Simultan nicht akzeptiert. Kramnik oder Peter Leko wird der Weltrangliste mittelfristig wahrscheinlich nicht ausweichen können. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am 12. Mai im Hamburger Nobelhotel "Vier Jahreszeiten" kündigten sie die Beiden die Konditionen ihres 14-Partien-Matches vom 25. September bis 18. Oktober 2004 an (siehe Text dazu). In Bonn zeigte Wladimir Kramnik erneut seine Zugkraft, dem Metier, Schach als Symbiose zwischen Sport, Kunst und Wissenschaft auszuloten, als eloquenter, charismatischer Repräsentant vorzustehen. Die Schachwelt hofft nun, dass in naher Zukunft das Gerangel um einen einzigen, wahren Weltmeister zu einem befriedigenden Ende kommt.
(erschien zuerst in Schachmagazin 64 , Nr. 10/ 2004, S. 280/281)