Startseite Rochade Kuppenheim

Benimmregeln für Schachspieler und andere Knüppel

Wladimir Kramnik dominiert in Dortmund unbeeindruckt von merkwürdigen Weltverbands-Entscheidungen

Text und Fotos von FM Hartmut Metz, Juni 2007

 

   Das Amt eines Schach-Schiedsrichters ist eher ein gemächliches. Man könnte ihn durchaus als Beamten unter den Unparteiischen bezeichnen: Vor den Partien kontrolliert er den Gang der Uhr, stellt vor dem ersten Zug die Uhren in Gang und protokolliert vielleicht noch in Zeitnot eines Spielers die Züge. Ansonsten rührt er sich kaum an seinem Tisch und wartet geduldig auf den Feierabend. Eigene Entscheidungen muss der Schach-Schiedsrichter nur in Extremfällen treffen. Für manchen ein sehr angenehmer Gedanke. Mit dem wohligen Gefühl könnte es jetzt aber vorbei sein: Der Schach-Weltverband FIDE beschloss diese Woche, Benimmregeln für die Spieler einzuführen.

   Wichtigster Punkt des noch im Detail von der Ethik-Kommission auszuarbeitenden Papiers: Alle Spieler haben sich gegenüber Offiziellen ordentlich zu benehmen und müssen vor allem den Gegner angemessen per Handschlag vor der Partie begrüßen. Bei den 35. Dortmunder Schachtagen ändert sich dadurch allerdings nichts für die Schiedsrichter. Die versammelten Großmeister sind meist dieselben und kennen sich gut. Man hat sich lieb, fast zu lieb. In den 16 Duellen gab es nur fünf Siege, elfmal einigten sich die Kontrahenten friedlich.

   Als fast schon blutig muss daher die vierte der sieben Runden bezeichnet werden, weil es zwei Entscheidungen gab: Der Weltranglistenerste Viswanathan Anand rang den deutschen Meister Arkadij Naiditsch mühsam nieder. Der Lokalmatador und Sensationssieger von 2005 fiel so mit 1:3 Punkten ans Tabellenende zurück. Vorne liegt – wie fast immer in seinem Dortmunder „Wohnzimmer“ – Wladimir Kramnik. Der Weltmeister machte in 30 Zügen kurzen Prozess mit Magnus Carlsen. Der 16-jährige Wunderknabe aus Norwegen zeigte wohl zu viel Respekt vor dem Russen, dessen Schach-Biographie er als Kind andächtig verschlungen hatte. Kramnik führt nun mit 3:1 Zählern vor Anand und dem russischen Meister Jewgeni Aleksejew (beide 2,5:1,5). Den Turniersieg abhaken können angesichts von nur noch drei ausstehenden Runden wohl der Ungar Peter Leko, der Aserbaidschaner Schachrijar Mamedjarow (je 2:2) und Carlsen beziehungsweise Boris Gelfand (Israel) sowieso mit 1,5:2,5 Punkten.

 

Wladimir Kramnik

Seriengewinner in Dortmund: Wladimir Kramnik

 

   Kramniks achter Erfolg in Dortmund zeichnet sich ab. Das ist umso beeindruckender, weil ihn in den vergangenen Tagen Fieber plagte und dann noch Störfeuer vom Weltverband hinzukamen. Die neuen Benimmregeln kann man nämlich auch gegen den Pariser auslegen. Seit der Toilettenaffäre bei der WM, bei der ihm der geschlagene Wesselin Topalow hanebüchene Betrugsvorwürfe gemacht hatte, verweigert Kramnik dem Bulgaren den Handschlag vor jeder Partie. Das bleibt in Dortmund ohne Belang, denn Topalow wurde erst gar nicht zu Kramniks Heimspiel eingeladen. Umgekehrt lief das Geschäft natürlich genauso: Topalows Turnier boykottierte der Weltmeister. Sofia war im Übrigen zwar zweitklassig besetzt im Vergleich zu den 35. Schachtagen, bescherte den Fans dafür aber mehr spannende Partien. Zum einen lag es an den Leistungsunterschieden bei den Großmeistern, zum anderen erweist sich der unermüdliche Kämpfer Topalow schon allein stets als belebendes Element.

   Obwohl sich die beiden Weltranglistenzweiten spinnefeind sind, werden sie sich im nächsten Jahr wieder die Hand reichen müssen. Der zweite FIDE-Beschluss in dieser Woche räumt Topalow doch wieder eine Chance auf die WM-Revanche ein. Nachdem der 32-Jährige für die Weltmeisterschaft im Herbst in Mexiko ausgebootet schien, darf er nun einen mit 150.000 US-Dollar dotierten Zweikampf gegen den nächsten Weltcup-Sieger austragen. Der Sieger fordert anschließend den neuen Weltmeister heraus. Verteidigt Kramnik den Titel, muss er direkt gegen Topalow antreten. Die immer neuen und wirren Konstruktionen des Schach-Weltverbandes kommentierte der 32-Jährige an seinem Geburtstag am Montag sarkastisch: „Ich denke, es gibt mittlerweile mehr Leute, die das WM-System nicht verstehen, als jene, die es kapieren.“ Nach dem letzten Zug am Sonntag in Dortmund will Kramnik herausfinden, „wer warum gegen wen spielt“. Bis dahin konzentriert sich der Stoiker von der Schwarzmeerküste auf das, was er am liebsten macht: die Schachtage zu gewinnen.


Meko 2007
Meko-Übersicht
Startseite