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Schneller Brüter aus Indien vergisst die Zeit

Chess960-Weltmeister Aronjan profitiert von Anands seltenem Malheur

von FM Hartmut Metz, 25. August 2007

 

   Den Zuschauern in der Mainzer Rheingoldhalle stockte der Atem, als die Schachuhr nur noch 4, 3, 2, 1 und dann 0 Sekunden anzeigte. Ausgerechnet den schnellen Brüter aus Indien hatte es erwischt! "Ich habe Anand noch nie durch Zeitüberschreitung verlieren sehen", berichtete Vijay Kumar kopfschüttelnd. Dabei begleitet der in seiner Heimat berühmte Sportfilmer den Weltranglistenersten seit vielen Jahren rund um den Globus. Das Malheur passierte dem Schnelldenker Anand bei den Chess Classic Mainz ausgerechnet im Endspiel um die Chess960-WM. Anschließend konnte der 37-Jährige zwar den 0:1-Rückstand gegen Lewon Aronjan im vierten Duell zum 2:2 ausgleichen, der trickreiche Armenier verteidigte jedoch in der Verlängerung mit einem 1,5:0,5 seinen Titel im Chess960.

   Bei dieser Schachart wird die Aufstellung der Figuren vor jeder Partie unter 960 Möglichkeiten ausgelost. Vorteil für die Spieler dabei: Das Memorieren von ellenlangen Eröffnungsvarianten, was zu einer eigenen Wissenschaft wurde, entfällt. Schon ab dem ersten Zug ist Kreativität gefordert. Das kostet wertvolle Bedenkzeit. Der Grund für Anands Zeitüberschreitung war dies jedoch nicht. Der Inder setzte bei seinem Chess960-Debüt Aronjan unter Druck. Der 24-jährige Berliner hatte von seinen einst 20 Minuten immer wieder nur noch knapp zehn Sekunden auf der Uhr übrig, weil es für jeden ausgeführten Zug fünf Sekunden Bedenkzeit zusätzlich gibt. Anand verfügte zu diesem Zeitpunkt über komfortable fünf Minuten. Doch je größer seine Sieganstrengungen wurden, umso mehr tickte auch seine Digitalanzeige herunter - bis sie bei Null angekommen war, Aronjan erleichtert mit dem Finger auf die Uhr deutete und den vollen Punkt für sich reklamierte. Den glücklichen Erfolg honorierte das aufgewühlte Publikum nur mit verhaltenem Applaus.

   Danach beantwortete Trainer Elisbar Ubilawa in den Katakomben der Rheingoldhalle geduldig die häufig gestellte Frage, ob sein vieljähriger Schützling überhaupt jemals durch Zeitüberschreitung verloren habe. Schließlich hatte sich Anand seit den 90ern nahezu jeden Titel in Partien mit kürzerer Bedenkzeit als den üblichen zwei Stunden gesichert. Doch der routinierte 37-Jährige vergaß angesichts seines Vorteils diesmal völlig die Zeit. "1995 war das einmal der Fall im WM-Kandidaten-Finale in Las Palmas. Damals wollte Vishy auch unbedingt gegen Gata Kamsky gewinnen", erinnerte sich Ubilawa. Anand erklärte seinen Fauxpas damit, "dass ich gar nicht angesichts meines gewaltigen Zeitvorteils an die Uhr dachte. Ich hatte irgendwann vier Minuten gegen elf Sekunden. Mir kam nie eine eigene Zeitüberschreitung in den Sinn". Ein Novum sei das inzwischen nicht mehr. "Im letzten Jahr passierte mir das schon öfters, ich erinnere mich unter anderem an eine Zeitüberschreitung gegen Judit Polgar", plauderte Anand am Tag nach der Niederlage entspannt.

   Konnte der Bundesliga-Spitzenspieler des OSC Baden-Baden auf Gran Canaria anschließend das Ruder trotz des unersprießlichen 0:1 gegen Kamsky herumreißen, reichte es in der Rheingoldhalle nicht mehr. Fast hätte Aronjan sogar im dritten Vergleich mit einem Sieg zum 2,5:0,5 die Chess960-WM vorzeitig entschieden. Der Armenier ließ jedoch seinen Herausforderer, der völlig von der Rolle schien, entwischen. Der "Tiger von Madras" kämpfte auch in der vierten Partie wie ein Löwe und wurde mit dem 2:2 belohnt. Es war allerdings nicht sein Tag. Einen geistreichen Trick mit Damenopfer, den Anand sonst in Sekundenschnelle entdeckt, übersah er im Gegensatz zu Aronjan. Der Weltcup-Sieger rettete anschließend vor einem begeisterten Publikum, das am Donnerstag bis fast um Mitternacht ausharrte, den Vorsprung mit einem Remis ins Ziel. "Ich habe sehr glücklich gewonnen", räumte der Chess960-Weltmeister hernach ein. "Da ich noch nie Chess960 spielte, bin ich froh, nicht Letzter geworden zu sein", ulkte Anand.

   Im Finet Chess960-Open, das der Moldawier Viorel Bologan mit 9,5:1,5 Punkten gewann, erging es manchem Topspieler noch viel schlimmer. Ausgerechnet am ersten Brett standen der Weltranglistensechste Schachrijar Mamedjarow in Runde sechs und der Franzose Etienne Bacrot in Durchgang zehn nach wenigen Zügen aufgabereif! Undenkbar in einer normalen Turnierpartie.











Mamedjarow - Kamsky
6. FiNet Open Chess Classic Mainz

1.d4 f5 2.f3 Sd6 3.c3 Sg6 4.f4? Der inkonsequente zweite Zug mit dem f-Bauern bringt Schwarz noch besser ins Spiel. 4...Ld5 5.Df2 e6 6.Lb3 Le4+ 7.Sd3 Sh4 8.g3?? [ 8.Sg3 Lxg2 9.Td1 kostet "nur" einen Bauern.] 8...Sg6 und angesichts des Figurenverlusts gab Mamedjarow auf. 0-1













Bacrot - Iwantschuk
6. FiNet Open Chess Classic Mainz

1.b3 c5 2.c4 b6 3.Sf3 Sf6 4.g4?! Die erste Ungenauigkeit. 4...Se6 5.d3? h5! Damit reißt Schwarz das Handlungsgeschehen an sich. 6.g5?! Der dritte Fehler in Folge. [ 6.gxh5 Lf4 7.Tc2 ist noch halbwegs spielbar, wenn auch schon schlechter für Weiß.] 6...Sg4 7.Dg2?? Das verliert die Dame. [ 7.Ke1 Lf4 8.Td1 Sxg5 9.Sxg5 Lxg5 ( 9...Lxh1?? 10.Sxf7+ Kc7 11.Sxh8 ) 10.e4 und Weiß lebt noch.] 7...Sf4 8.Dg3 Sxe2 9.Kxe2 Lxg3 10.Sxg3 f6 und Bacrot spielte der Form halber die hoffnungslose Stellung noch eine Weile weiter, ohne mit der Dame weniger sein Schicksal abwenden zu können. 0-1




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