Comeback des "Feuerlöschers" nach acht Jahren PauseGeflüchtetes Ex-Wunderkind gewinnt Schach-Weltcup: Verteidigungskünstler Kamsky bleibt auch im Finale gegen Schirow ungeschlagenText und Foto von FM Hartmut Metz, 22. Dezember 2007 |
"Brett in Flammen" lauten die Titel der beiden Autobiographien von Alexej Schirow in Anlehnung auf den englischen Warnruf "Fire on board!". Beim Weltcup hat der stets schachlich mit dem Feuer spielende "Hexer von Riga" wieder äußerst erfolgreich gezündelt. Erst im Endspiel stoppte ihn der "Feuerlöscher" der Denk-Branche: Gata Kamsky. Der New Yorker setzte sich nach drei Remis und einem Erfolg in der zweiten Partie gegen den Wahl-Spanier Schirow durch und kassierte dafür 120.000 Dollar. Noch wichtiger aber: Kamsky trägt nun einen Zweikampf gegen den Bulgaren Wesselin Topalow aus. Der Sieger fordert den nächsten Weltmeister heraus.
Kamskys Leistung im sibirischen Chanti-Mansijsk ist nicht nur deswegen bemerkenswert, weil der Amerikaner in sieben Runden keine einzige seiner 18 Partien verlor. Der 33-Jährige krönt mit Platz eins unter 128 Teilnehmern sein erstaunliches Comeback: Der gebürtige Tatare hatte 1996 nach der Niederlage im WM-Kampf gegen Anatoli Karpow (Russland) seine schillernde Karriere für beendet erklärt. Sein streitbarer Vater Rustam Kamsky, der als Preisboxer stets über schlagende Argumente verfügte, hatte plötzlich ein Medizin-Studium für einträglicher gehalten. Zunächst tat der Junge mit der dicken Hornbrille, was ihn der nach der Scheidung Alleinerziehende hieß. Schließlich hatte ihn Rustam Kamsky auch aus der Sowjetunion gelotst, weil Klein-Gata angeblich auf dem Weg zum WM-Titel in der UdSSR behindert werde. Kamskys Flucht 1989 nach einem Turnier in New York sorgte damals weltweit für Aufsehen.
Gata Kamsky machte Rustam mittlerweile nicht nur zum Opa, sondern befreite sich auch beruflich vom Vater: Nach dem erfolgreichen Wechsel ins Jura-Fach kehrte der ehemalige Vizeweltmeister nach acht Jahren Ende 2004 auf die große Bühne des königlichen Spiels zurück. Seitdem findet der inzwischen so fröhlich wirkende Kamsky mehr und mehr zu alter Klasse zurück. Sein Eröffnungsrepertoire ist zwar weiterhin altbacken, aber in nachteiligen Stellungen beweist der Weltranglisten-17. erstaunliche Defensivqualitäten.
Das bekam im Weltcup-Halbfinale einer der jungen Wilden zu spüren. Die beiden 17-jährigen Magnus Carlsen und Sergej Karjakin zogen gegen die gesetzteren, doppelt so alten Herren den Kürzeren. Der Ukrainer Karjakin, der mit zwölf Jahren und sieben Monaten jüngster Großmeister aller Zeiten geworden war, unterlag dem Wahl-Spanier Schirow (35) in der Verlängerung mit 1,5:2,5. Kamsky schickte den nicht minder talentierten Carlsen mit 1,5:0,5 nach Hause, damit der Norweger mal wieder den Unterricht im Gymnasium besuchen kann.
Selbst drückte Kamsky auch weit weniger als Normalsterbliche die Schulbank. Gata zeigte mit sechs bereits außerordentliche Begabungen, spielte Klavier und wurde gleich in die dritte Klasse eingestuft. Mit acht lernte das Wunderkind Schach und gewann mit 13 und 14 die UdSSR-Meisterschaft der bis zu 20-Jährigen. Eine Sensation, die Kamsky den Ruf als kommender Weltmeister einbrachte. Nach zwei knapp gescheiterten Versuchen in den 90ern startet der Großmeister aus dem New Yorker Stadtteil Brighton Beach jetzt einen weiteren Anlauf auf den Titel.
2008 ermittelt er mit Topalow den Herausforderer des neuen Weltmeisters. Der amtierende Champion Viswanathan Anand (Indien) tritt zunächst zur Revanche gegen seinen Vorgänger Wladimir Kramnik (Russland) an. Als Austragungsort für die WM steht seit Mittwoch Bonn fest. Die beiden Führenden in der Weltrangliste tragen vom 11. bis 30. Oktober ein Match über zwölf Partien aus, das mit 1,5 Millionen Euro dotiert ist. Kamsky muss sich nach seinem glanzvollen Comeback weiter steigern, will er die drei Platzhirsche verdrängen. Der 33-Jährige hat besonders gegen Topalow einen schweren Stand. Im Vergleich zu dem Bulgaren ist selbst Endspiel-Kontrahent Schirow nur ein kleines Flämmchen. Der Angriffsspieler vernichtete Kamsky in den letzten drei Duellen - Topalow sollte jedoch besser davon ausgehen, dass sein Lieblingsgegner weiter von Monat zu Monat zulegt und den "Feuerlöscher" auf dem brennenden Brett noch beherzter einsetzt. Nachstehend die zweite Partie des Endspiels, die für Kamsky den Ausschlag gab.
Alexandra Kostenjuk (Foto: Hartmut Metz)
Powerplay 5 - Bauern
Daniel King, "Powerplay 5 - Bauern", Chessbase, ISBN 978-3-86681-050-1, 29,99 Euro