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"Tiger von Madras" verzückt die Fans

Inder Anand steht nach Remis gegen Schach-Weltmeister Kramnik vor seinem größten Triumph

von FM Hartmut Metz, September 2007

 

Als Wladimir Kramnik im 41. Zug seinen Turm vom Feld b8 nach a8 schob und resignierend dem schwarzen König ein letztes Schach gab, wusste der Russe: Sein Titel als Schach-Weltmeister ist damit verloren. Der 32-Jährige bot deshalb gleichzeitig Viswanathan Anand ein Remis an. Der "Tiger von Madras" überlegte noch ein bisschen, prüfte sorgfältig Gewinnmöglichkeiten und nahm dann die Friedensofferte an. Damit scheint der Inder bei der WM in Mexiko City die letzte Klippe umschifft zu haben und steht vor seinem größten Triumph.

Nach zehn der 14 Runden führt Anand souverän vor dem Rest des ansonsten sehr ausgeglichenen Feldes. Mit 6,5 Punkten liegt er einen vollen Zähler vor dem Israeli Boris Gelfand - das sind Welten im Schach. "Wir sehen den besten Vishy aller Zeiten: Er ist cool und mental stark", befindet Hans-Walter Schmitt in Mexiko. Den Ziehvater, der alljährlich Anands Lieblingsturnier in Mainz organisiert, plagen keine Zweifel mehr, dass sein Schützling den Vorsprung verspielt.

Kramnik weist bereits 1,5 Punkte Rückstand auf, die nur noch durch ein Wunder zu egalisieren sind. Zum Feld der Geschlagenen zählen in der 19-Millionen-Einwohner-Metropole auch die als Mitfavoriten gehandelten Peter Leko (Ungarn) und der in Berlin lebende Armenier Lewon Aronjan (alle 5). Für sie geht es nun lediglich darum, sich einen ordentlichen Batzen von den 1,3 Millionen Dollar Preisgeld zu sichern. Das gilt ebenso für das knapp dahinter rangierende russische Trio mit Alexander Grischuk, Alexander Morosewitsch (beide 4,5) und Schlusslicht Peter Swidler (4). Ausgerechnet Morosewitsch hatte Kramnik die Suppe versalzen. Der Weltranglistenfünfte bewies einmal mehr, dass er die Großmeister aus der zweiten Reihe reihenweise schlägt - gegen die absolute Spitze indes nicht zum Zuge kommt. Nur gegen Kramnik trumpfte "Moro" auf und brachte dem Weltmeister in Durchgang neun die erste Niederlage bei. So geriet der Pariser gegen Anand endgültig in Zugzwang.

Im direkten Duell der beiden Führenden in der Weltrangliste entwickelte sich ein offener Schlagabtausch. Kramnik attackierte mit dem Vorteil der weißen Steine aggressiv, ohne aber Anand Kopfzerbrechen zu bereiten. Der Spitzenspieler des deutschen Meisters OSC Baden-Baden spulte in der so genannten Slawischen Verteidigung eine perfekt vorbereitete Varianten herunter. Nach 22 Zügen hatte der 37-Jährige nur sieben Minuten verbraucht, obwohl ihm dafür rechnerisch mehr als eine Stunde zur Verfügung gestanden hätte. Dank eines zu Hause vorbereiteten Qualitätsopfers erhielt Anand einen Springer und zwei Bauern für einen Turm.

In Verzückung gerieten die Fans vor Ort und im Internet durch den 28. Zug des Weltranglistenersten. Kramnik konnte danach einen schwarzen Bauern vertilgen, doch der wäre ihm übel aufgestoßen. Anand hätte erst ein Springerschach und dann ein geniales Damenopfer folgen lassen, um anschließend den weißen Monarchen mit dem letzten verbliebenen Turm matt zu setzen. Dass der Weltmeister die Finte durchschaut, trauten dem Russen die Internet-Kiebitze durchaus zu - dennoch kalauerten sie: "Kramnik fabriziert jetzt ein Selbstmatt!"

Ernster Hintergrund der Witzelei: Der noch amtierende Weltmeister will partout kein WM-Match gegen Wesselin Topalow austragen. Zu dem wäre es jedoch im Falle seines Turniersieges gekommen, legte der Schach-Weltverband FIDE fest. Der Bulgare hatte bei der WM-Titelvereinigung im Vorjahr für einen Affront gesorgt und nach seinem klaren Rückstand Kramnik vorgeworfen, er würde auf der Toilette mit Computer-Hilfe betrügen. Weil Kramnik bei Verlust der WM-Krone Topalow als Herausforderer umgeht, ihm aber ein Revanchematch gegen den neuen Weltmeister zusteht, verfolgt sein Manager Carsten Hensel lieber letztere Pläne. Die sehen ein Millionen-Duell 2008 in Deutschland vor. Der Dortmunder Hensel hat bereits zahlungskräftige Sponsoren an der Hand - und mit Anand einen angenehmen Gegner. Menschlich wohlgemerkt, da der gelassene Brahmane anders als der verhasste Topalow nie für Ärger sorgt. Schachlich wird Anand aber zur größeren Herausforderung für Kramnik.


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