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Polen war der Knackpunkt

Interview mit Arkadij Naiditsch: Für die deutsche Nummer eins sind 2700 Elo keine Hemmschwelle mehr

Foto und Text von FM Hartmut Metz, 11. März 2009

 

Mit Arkadij Naiditsch klopft erstmals ein deutscher Großmeister an die Elo-Schallmauer 2700 an. Der Dortmunder hatte sie bei der Schach-Olympiade in Dresden rechnerisch bereits übersprungen, ehe nach 4,5/6 noch ein Einbruch in der zweiten Turnierhälfte auf 5,5/10 erfolgte. Dennoch sorgten die deutschen Herren bis zur siebten Runde für Aufsehen und spielten ganz vorne mit. Mit dem 23-jährigen deutschen Spitzenspieler von der OSG Baden-Baden unterhielt sich Hartmut Metz.

Frage: Herr Naiditsch, sehen Sie aktuell Deutschland - mit Blick auf die Dopingkontrollen-Verweigerung des Ukrainers Wassili Iwantschuk - als 13. oder 9. bei der Schach-Olympiade?
Naiditsch: Doping stellt noch immer Neuland im Schach dar. Ich kann das Verhalten Iwantschuks nach seiner bitteren Niederlage verstehen - zumal wir ja keinen Kontrolleur kannten und er auch deswegen davoneilte. Es wäre traurig, wenn er gesperrt würde. Ich glaube nicht, dass die Entscheidung über den Fall Einfluss auf unser Abschneiden haben wird. Wir hätten auch so mehr erreichen müssen. Insgesamt haben wir super gespielt, versäumten dann aber im entscheidenden Match gegen Polen einen Sieg. Wir trennten uns in der neunten Runde sehr, sehr unglücklich 2:2. Im Falle eines Erfolgs wären wir nicht auf die Amerikaner, sondern vielleicht auf die Serben getroffen - und gegen die wäre gewiss einiges drin gewesen. Eine Top-Ten-Platzierung wäre dann allemal möglich gewesen.

Frage: Dass Iwantschuk die Kontrolle verpatzt, verblüfft die wenigsten seiner Kollegen.
Naiditsch: Wer Wassili kennt, weiß, dass er nach Partien manchmal etwas durcheinander ist - vor allem nach Niederlagen! Und die gegen Gata Kamsky war besonders bitter, schließlich kostete das 0,5:3,5 die Ukrainer die sicher geglaubte Medaille. Deshalb verstehe ich es gut, wenn er in dem Moment nicht ansprechbar war. Natürlich ist es aber auch seine Pflicht, der Aufforderung zu folgen, denn alle Sportler stimmten den Dopingkontrollen zu.

Frage: Befürworten Sie generell Dopingkontrollen im Schach?
Naiditsch: Es macht Sinn. Schach muss professioneller werden. Und wenn dadurch das Ziel erreicht würde, bei den Olympischen Spielen dabei zu sein, finde ich Dopingproben völlig in Ordnung.

Frage: Sie beklagen den verpassten Rang unter den besten zehn Teams. Halten Sie Platz 13, der nur minimal schlechter ist, noch für akzeptabel?
Naiditsch: Unter dem Aspekt, dass wir keine gute Vorbereitung hatten, ist dieser okay.

Frage: Was bemängeln Sie konkret?
Naiditsch: Ich finde es bis heute unverständlich, warum wir nicht direkt 50 Meter neben der Halle im Hotel Maritim wohnten - wie viele andere Topnationen. Stattdessen wurde die Heimmannschaft ein Stück entfernt von der Halle in einem schwachen Vier-Sterne-Hotel untergebracht. Man steckte uns in kleine Zimmer ohne vernünftigen Schrank. Jan Gustafsson und ich forderten gleich am Anfang einen Hotel-Wechsel, so es machbar sei. Die Unterbringung fand ich sehr, sehr enttäuschend.

Frage: Der Start fiel dennoch exzellent aus, am Schluss baute das Team etwas ab.
Naiditsch: Ich will nicht sagen "abgebaut". Das 2:2 gegen Polen war unglücklich. Hätten wir die geschlagen, wären wir für unser starkes Finish gelobt worden ... (lacht). Ich ließ gegen Bartosz Socko einen leichten zweizügigen Gewinn aus, was mir eigentlich sonst nie passiert. Die Niederlage von Jan Gustafsson gegen Grzegorz Gajeweski war ähnlich ärgerlich.

Frage: Lag das Auslassen der Gewinnchance an Ihren nachlassenden Kräften? Ohne den kräftig punktenden Topspieler ist es schwierig für ein deutsches Team mit Großmeistern, die ansonsten um die 2600 Elo liegen.
Naiditsch: Für mich begann das Turnier super mit 4,5/6. Danach wurde ich etwas müde, das stimmt. An den Tagen, an denen ich vielleicht hätte pausieren können, war ein Spieler krank, so dass ich zehn Runden hintereinander bestritt. Was soll man machen? Es ging nicht anders. Ein größeres Problem bestand wohl darin, dass ich den Oktober komplett durchspielte: zweimal Bundesliga, Europacup und noch die Mind Games in Peking. Ich möchte das aber nicht als Ausrede benutzen, weil es wirklich am Ergebnis gegen Polen lag.

Frage: Immerhin berichteten die nationalen Medien nach dem exzellenten Start ausführlich über das deutsche Team. Sie standen auch oft im Fokus und wurden in zahlreichen Zeitungen abgebildet, als Sie gegen Ex-Weltmeister Wladimir Kramnik oder Iwantschuk remisierten. Das ist zumindest ein Erfolg.
Naiditsch: Ich möchte Daniel Fridman und David Baramidze loben. Vor allem David überraschte mich sehr positiv! Nachdem er im vergangenen halben Jahr eher schlechte Resultate aufwies, befand er sich in Dresden auf der Höhe. Und Daniel glückte ein Riesenturnier! Mit Weiß schlug er ja wirklich fast jeden und holte 5,5/6!

Frage: Wie sehen Sie Gustafssons Leistung? Naiditsch: Er zeigte ein solides Turnier. Jan hatte oft Schwarz.

Frage: Dagegen stand Igor Khenkin in der Kritik, weil er sich wie in der Bundesliga bei Tegernsee gerne nach ein paar Zügen ins Remis verabschiedete - gut, wegen der 30-Züge-Regel bei der Olympiade musste der Neu-Nationalspieler etwas länger spielen ... Was meinen Sie als Kämpfer, der die Partie gerne auf Biegen und Brechen anlegt, dazu?
Naiditsch: Er spielte kein schlechtes Turnier. Ich finde seine Kurzremisen schon ärgerlich, vor allem wenn man mit Schwarz gerade die Eröffnungsphase spielt und sieht: Oh, daneben ist bereits wieder alles vorbei ... (lacht). Man sollte ihm öfter Schwarz geben, dann willigt der Gegner auch seltener rasch ein. So gesehen hatte Igor zu oft Weiß.

Frage: Im Nachhinein lässt sich natürlich leicht reden, aber: Hätte man eher Georg Meier ins Team berufen müssen, der bei Deutschland II mit 7/9 und einer Performance von 2779 Elo herausragte?
Naiditsch: Ich sagte schon vor einem Jahr, dass Georg ins Nationalteam gehört. Letztlich habe ich das aber nicht zu entscheiden. Georg hat sich jedenfalls prächtig entwickelt, ist fleißig und arbeitet viel. Er bewies, dass er mehr kann als seine aktuellen 2558. Die 2600 hat er auf jeden Fall. Bis zu 2650 Elo fehlt jedoch auch noch ein Stück. Dafür muss man hart arbeiten und auch über genügend Selbstvertrauen verfügen. Gegen Stärkere agiert er manchmal noch zu ängstlich. In Zukunft ist Georg eine Verstärkung für die deutsche Mannschaft.

Frage: Einmal riet Ihnen Sekundant Fabian Döttling von einer schlechten Variante ab - Sie spielten diese dann doch, was mit der ersten Niederlage gegen Rumänien in die Hose ging.
Naiditsch: Ja, das muss ich auf meine Kappe nehmen. Ich wusste, dass die Stellung etwas schlechter ist gegen Liviu-Dieter Nisipeanu - aber als ich sie erreichte, erhoffte ich mir dennoch einen Vorteil davon. Ich spielte jedoch miserabel. Gegen Boris Gelfand brauche ich mir nichts vorzuwerfen: Er ist ein Riesenspieler, ihm gelang ein überragendes Turnier, zum Beispiel mit einem grandiosen Schwarz-Sieg über Lewon Aronjan. Nicht zu Unrecht erhielt er Silber für die zweitbeste Leistung am Spitzenbrett. Ich versuchte gegen Gelfand eine interessante Neuerung, durch die er sich nicht aus dem Konzept bringen ließ und enorm stark fortsetzte. Ich war deshalb nach der Partie gar nicht traurig. Die Null gegen Nisipeanu ärgert mich, aber die nicht. Gegen Gelfand ist es alles andere als einfach, selbst in der Analyse mit dem Computer fand ich nichts viel Besseres. Mit Schwarz darf man gegen ihn verlieren. Ich gratulierte ihm nach der Partie und sagte: "Bravo Gelfand!"

Frage: Sehen Sie sich durch die Olympiade bestätigt, dass die Weltklasse mit 2700 Elo in Ihrer Reichweite liegt?
Naiditsch: Ich bin davon lediglich ein paar Punkte entfernt. Geschieht nichts Außergewöhnliches mehr, sollte ich diese Marke knacken. Es fehlen vielleicht fünf Elo oder noch weniger. Die 2700 sollen aber nur ein erster Schritt sein.

Frage: Wo sehen Sie Ihre Grenzen? Können Sie es in die Top Ten schaffen?
Naiditsch: Wo mein Limit liegt, vermag ich momentan nicht zu sagen, schließlich gewinne ich derzeit bei jedem Turnier ein bisschen was dazu. Ich merke daher, dass ich noch nicht an meine Grenzen gestoßen bin. Wenn ich bei der Olympiade nicht so doof gegen Nisipeanu verliere und den Vorteil zweizügig gegen Socko verwerte, habe ich schon wieder zehn Elo mehr auf dem Konto und eine Performance, die 100 Punkte höher liegt als die 2706. Solche Geschenke darf ich nicht verteilen! Liege ich erst über den 2700, nehmen mich die Gegner auch ernster und sind mal mit einem Remis zufrieden. Die Vorbereitung wird so auch schwieriger. Die Großmeister in den Top Ten haben alle viele Leute, die für sie arbeiten. An die absolute Spitze kommt man daher nicht so leicht heran. Es zählt nicht allein alles über dem Brett, sondern auch viel die Arbeit davor zu Hause mit guten Sekundanten. Das muss man sich aber erst leisten können, zum Beispiel mit Unterstützung eines Sponsors.

Frage: Meier wird von Werder Bremen bis 2011 finanziell kräftig unterstützt, damit er sich entwickeln kann. Vermissen Sei derlei Initiativen bei sich als deutscher Nummer eins? Der Verband sollte doch ein Interesse haben, einen Weltklassespieler zu formen.
Naiditsch: Das wäre natürlich toll. Zurzeit arbeite ich mit Etienne Bacrot und Dusko Pavasovic (Anmerkung: ein slowenischer GM mit 2597 Elo) zusammen. Bei Etienne fungierte ich auch als Sekundant und trainiere gemeinsam mit ihm. Mit Dusko sprach ich mehrfach darüber, ob er mich regelmäßig betreut - doch dafür bedürfte es eines privaten Finanziers. Vom Deutschen Schachbund erwarte ich nichts, solange Klaus Deventer Leistungssportreferent ist. Er hat anscheinend noch nie selbst eine Schachpartie gespielt (Anmerkung: Die letzte DWZ-Auswertung erfolgte bei Deventer anno 2000). Er unterstützt beim DSB den Leistungssport Schach ungefähr so stark wie Basketball der NBA-Stars.

Frage: Sie wissen aber, dass Sie mit derlei harscher Kritik künftig noch weniger erwarten dürfen!
Naiditsch: Weniger als null kann nicht kommen. Meinem Gefühl nach mag Herr Deventer überhaupt keinen Leistungsport und macht entsprechend nichts. Unter ihm wird sich nichts ändern.

Frage: DSB-Präsident Robert von Weizsäcker beklagte dieser Tage, dass man leider keinen Magnus Carlsen in eigenen Reihen hat. Wenn Sie in die Top Ten geführt werden könnten, würde das dem deutschen Schach sicher einen Schub geben.
Naiditsch: Wenn mich jemand unterstützen möchte, nur zu! Von Präsident von Weizsäcker halte ich viel als Zugpferd. Er ist der beste DSB-Präsident, den ich bisher kennen lernte. Er macht auch viel fürs Schach in der Öffentlichkeit - letztlich verteilt er jedoch nicht das Geld, sondern Herr Deventer und seine Kommission. Als ich ihn zum Beispiel darauf ansprach mit dem Hotel, meinte er doch glatt: "Das Hotel ist doch gut genug für euch!" Und selbst logiert er im Maritim direkt neben der Spielhalle! Er sollte uns doch vertreten, er sollte doch unser Fürsprecher sein, er sollte alles dafür tun, damit wir die besten Rahmenbedingungen erhalten. Leider ist Bundestrainer Uwe Bönsch diesbezüglich ein zurückhaltender Mensch und begehrt nicht auf. Uwe Bönsch als Bundestrainer wie Herr Deventer müssen dafür sorgen, dass wir die besten Konditionen kriegen, die möglich sind.

Frage: Zweifellos, vor allem bei einem Heimspiel sollte die deutsche Auswahl als Erste optimal einquartiert werden, erst dann kommen die anderen oder gar Funktionäre.
Naiditsch: Beim Sponsoring geht es doch weiter: Ich trieb mit der Zürich Versicherung als einziger Nationalspieler einen Sponsor für die Olympiade auf, der zumindest mich unterstützte.

Frage: Wie kann man den Schub durch die Olympiade und die WM in Deutschland nutzen?
Naiditsch: Ich denke, dass die Veranstaltungen Schach populärer machten in Deutschland. Vor allem die WM in Bonn erregte viel Aufmerksamkeit. Das sollte der DSB nutzen, um 2010 eine hochkarätige deutsche Meisterschaft auf die Beine zu stellen, an der alle Nationalspieler teilnehmen. Am besten ein Rundenturnier wie in anderen Ländern auch. Natürlich sträuben sich die Landesverbände, die ihre Mitglieder unterbringen wollen - doch es sollten sich nur einige wenige Amateure dafür qualifizieren können, um eine hohe Kategorie zu verwirklichen. Ich bin überzeugt, dass eine stark besetzte deutsche Meisterschaft - und kein "schwaches" Open - dem Schach helfen würde. Für solch ein großes Turnier finden sich eher Sponsoren.

Frage: Ein lukrativer erster Preis in Höhe von 10.000 oder 20.000 Euro würde alle anlocken und dem deutschen Meister ein ausreichendes Grundsalär sichern.
Naiditsch: Das auch. Dieser Wettbewerb wäre aber vor allem für die Medien interessanter - so kommt doch kaum ein Journalist zu dem Amateur-Open. Ich verweigerte meine Teilnahme in diesem Jahr, weil angeblich 100 Euro Fahrtkosten für mich dafür gesorgt hätten, dass das Budget überschritten wird! Mir ging es nicht um die paar Kröten. Es handelte sich um eine Frage der Ehre. Als deutsche Nummer eins, 50 Elo vor dem nächsten, der dem Turnier einen gewissen Status verleiht, will ich professioneller behandelt werden. Ich hoffe bei deutschen Meisterschaften auf Besserung ab 2010!

Arkadij Naiditsch
Arkadij Naiditsch, Dortmund 2007


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