Ist Schach bis 2035 endgültig gelöst?Mehr Partie-Möglichkeiten als Atome im Weltall / Dame-Spiel im Gegensatz zum komplizierten Go ausanalysiertvon FM Hartmut Metz, 28. Februar 2009 |
Ein unüberschaubares Chaos ergibt sich für den Gelegenheitsspieler in komplexen Stellungen, wenn er auf dem Schachbrett drei Züge vorausdenken soll. Großmeister schaffen es bei eindeutigen Varianten, ab und an zehn Züge tief in die Position einzudringen und das Geschehen vorauszuberechnen. Aber deutlich mehr? Unvorstellbar klingt es daher, wenn Jaap van den Herik behauptet, Schach werde bis 2035 gelöst. Aus Sicht des Professors für Computerwissenschaft von der Universität Tilburg bedeutet dies: Von der Ausgangsstellung bis zum Ende kann in jeder Position der beste Zug und die stärkste Entgegnung angegeben werden.
Das gelingt bereits im Dame - in der Variante Checkers hatte 2007 Jonathan Schaeffer nachgewiesen, dass bei perfektem Spiel von Weiß und Schwarz ein Unentschieden unausweichlich wird. Das amerikanische Checkers (englisch: Draughts) unterscheidet sich vom herkömmlichen deutschen Dame dadurch, dass die Damen nicht beliebig weit ziehen dürfen, sondern nur ein Feld. Das reduziert die Zahl der Remisstellungen beträchtlich, weil dann zwei Damen gegen eine gewinnen - in der deutschen Variante verteidigt sich jedoch eine Dame gegen drei noch erfolgreich.
Jedenfalls untersuchte Schaeffer, dessen Dame-Programm schon Weltmeister war, mehr als 39 Billionen Stellungen. Alle Positionen mit zehn und weniger Steinen kamen zusammen mit den 19 relevantesten Spieleröffnungen in einen Topf. So fand sich stets eine "Strategie, bei der man nie verlieren kann", berichtet Eric van Reem in seinem interessanten Artikel im „Schach-Magazin 64".
Angesichts der 32 Schachfiguren, die im Vergleich zu Dame-Steinen vielfältiger auf 64 Feldern ziehen dürfen, ist die Lage weit komplizierter. Bereits nach zwei Zügen von Weiß und Schwarz sind 72 084 verschiedene Stellungen möglich! Bei einer normalen Partiedauer mit 40 Zügen soll es etwa 10 hoch 115 bis 10 hoch 120 unterschiedliche Verläufe geben. Eine gigantische Ziffer, schätzen Physiker doch die Zahl der Atome im gesamten Weltall auf "nur" 10 hoch 80!
Dank der weiterhin rasanten Entwicklung der Computer-Hardware prognostiziert van den Herik, dass in 26 Jahren Schach komplett ausgerechnet sei. Die Zuhörer, die dem Vortrag des Holländers während der Schach-Olympiade in Dresden gespannt lauschten, wollten natürlich noch unbedingt wissen, ob dann Weiß oder Schwarz bei bestem Spiel die Oberhand behält? "Ich vermute, dass es dann Unentschieden ausgehen wird", beendete van den Herik seinen Vortrag.
Wem Schach ab 2035 zu langweilig wird, der kann sich im Go versuchen - in diesem haben Computer noch Mühe, Menschen Paroli zu bieten. Im September 2008 gelang es dem Programm MoGo in Portland erstmals, einen Profi zu schlagen. Der Koreaner Kim Myungwan unterlag in einem Handicap-Match, bei dem er allerdings neun Steine vorgab. Beim Go hilft die bloße Rechenkraft dem Rechner noch weniger, weil beim ersten Zug 361 Möglichkeiten bestehen, beim zweiten 360 und so fort - und das Duell auch mehr Züge dauert als Schach.
Ist das königliche Spiel erst einmal ausgerechnet, faszinieren Duelle wie jenes aus Rijeka von der kroatischen Schach-Meisterschaft 2009 künftig weniger.