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Morphy rasiert während des "Barbier von Sevilla"

Tragisches Trio: Vor 125 Jahren starb das erste amerikanisches Schach-Genie

von FM Hartmut Metz, 5. Juli 2009

 

Amerikanische Helden auf den 64 Feldern sind begnadet, steigen kometenhaft auf und verglühen früh. Überdies vereint die drei Schach-Genies aus den Staaten ein tragisches Ende: Paul Morphy, Gedächtnisakrobat Harry Pillsbury und Bobby Fischer.

Der stärkste Meister des 19. Jahrhunderts fasziniert bis heute die Fans, obwohl seine Sonne nicht einmal drei Sommer strahlte: Mit zwölf Jahren konnte der 1837 geborene Morphy bereits blind, also eine Partie ohne Ansicht des Brettes, spielen. Damals eine Sensation. 1855 nahm der New Orleanser ein Jura-Studium auf, das er schon zwei Jahre später mit dem Diplom abschloss. Weil der 20-Jährige noch nicht als Advokat arbeiten durfte, widmete er sich vermehrt seinem Hobby. Im Herbst 1857 bezwang das Talent beim Amerikanischen Schachkongress Louis Paulsen mit 6:2.

1858 und 1859 begab sich Morphy auf Europa-Reise, auf der er alle berühmten Spieler deklassierte. Lediglich Howard Staunton verweigerte ihm in England ein Match, um nicht seinen Ruf zu verlieren. Anders Adolf Anderssen. Der Breslauer Lehrer, der 1851 das erste große Turnier der Schach-Geschichte in London gewonnen hatte, stellte sich und erkannte nach einer 2,5:5,5- und einer 3:8-Niederlage die Überlegenheit des Emporkömmlings an. "Wer mit Morphy spielt, lasse jede Hoffnung schwinden, dass derselbe in irgendeine noch so fein angelegte Schlinge gehen werde", schrieb der geniale Kombinationskünstler Anderssen beeindruckt.

Die Schachwelt bewunderte den ungekrönten König ob seiner Figurenopfer. Diese zelebrierte er zum Beispiel ganz nebenbei während einer Pariser Aufführung des "Barbier von Sevilla": In der Loge "rasierte" er ein sich beratendes Gespann, Herzog Karl von Braunschweig und Graf Isouard, in 17 Zügen brillant unter Damen-, Turm- und Figurenopfer. Der sowjetische Weltmeister Anatoli Karpow erkannte jedoch später Morphys "Gefühl für die Harmonie der Figuren" und attestierte dem Ausnahmekönner eine "nach heutigen Maßstäben überragende Fähigkeit, von der Attacke auf positionelles Spiel umzuschalten". Mangels ernsthafter Gegner kehrte der 21-Jährige in seine Heimat zurück und gedachte als Rechtsanwalt zu arbeiten - doch die Öffentlichkeit sah in ihm nur den brillanten Schachspieler. 1867 schwor Morphy ganz ab von dem Denkspiel und begann angeblich, es sogar zu hassen. Vor 125 Jahren, am 10. Juli 1884, starb der einst Vergötterte geistig gestört und einsam.

Das von Karpow gepriesene Umstellen von Angriff auf Positionsspiel zeigte Morphy auch gegen Henry Bird bei seinem Sieg in London 1858.











Bird,H - Morphy,P
London London, 1858

1.e4 e5 2.Sf3 d6 3.d4 f5?! Der Zug wird heute nicht mehr erwogen - entsprach aber damals dem Spielstil, der den offenen Kampf suchte. 4.Sc3 [ 4.dxe5 fxe4 5.Sg5 d5 6.e6 Sh6 7.Sc3 c6 8.Le3 garantiert Weiß einen kleinen, aber passablen Vorteil.] 4...fxe4 5.Sxe4 d5 [ 5...Sf6 sollte geschehen.] 6.Sg3? [ 6.Sxe5! dxe4 7.Dh5+ g6 8.Sxg6 hxg6 9.Dxg6+! ( 9.Dxh8 Dd5 ist zwar auch besser für Weiß, indes weniger nachhaltig als der Textzug.) 9...Kd7 ( 9...Ke7? 10.Lg5+ ) 10.Df5+ Ke8 11.De5+ Le6!? 12.Dxh8 De7 Der Anziehende verfügt über ein materielles Plus - gegen den begnadeten Taktiker Morphy kann diese Figurenverteilung jedoch äußerst gefährlich werden! ] 6...e4 7.Se5 Sf6 8.Lg5 Ld6 9.Sh5 0-0 10.Dd2 De8 11.g4?! [ Das interessante 11.Sxg7!? hält den Nachteil in Grenzen: 11...Kxg7 12.Lxf6+ Txf6 13.Dg5+ Tg6 14.Sxg6 Dxg6 15.Dxd5 Sc6 16.c3-/+ ] 11...Sxg4 12.Sxg4 Dxh5 13.Se5 Sc6 14.Le2 Dh3 15.Sxc6 bxc6 16.Le3 Tb8 17.0-0-0 Txf2! Nicht der beste Zug - aber nichstdestoweniger ein großartiger, der die enorme Phantasie von Morphy belegt! [ 17...Lb4 als wohl stärkste Fortsetzung schwächt die weiße Königsstellung. 18.c3 Ld6 19.Tdg1 Le6-/+ und Schwarz steht besser.] 18.Lxf2 Da3!! Die Pointe des Turmopfers. Die Dame schwenkt mit einem Zug auf den Damenflügel, anstatt mühselig irgendwann über c8 nach b7 zu gelangen, um von dort aus Druck auf b2 auszuüben. 19.c3 [ 19.bxa3 scheitert am sofortigen Matt durch 19...Lxa3# ] 19...Dxa2 20.b4 Erneut der einzige Zug, um nicht sofort zu verlieren. [ 20.Dc2 verbietet sich wegen 20...Lf4+ 21.Td2 Lxd2+ 22.Kxd2 ( 22.Dxd2 Da1+ 23.Kc2 Txb2# ) 22...Txb2 ] 20...Da1+ 21.Kc2 Da4+ 22.Kb2? Bird verliert die Übersicht. Allein [ 22.Kc1 hält ihn im Spiel. 22...a5! 23.Dc2 Da3+ 24.Db2 axb4! Schwarz fürchtet den Damentausch nicht, weil dadurch eine neue Bedrohung entsteht: ein starker a-Bauer. 25.Dxa3 bxa3 26.Lg3 a2 27.Kd2! ( 27.Kc2 reicht erstaunlicherweise trotz des Mehrturms noch immer nicht! 27...La3 28.Ta1 Tb2+ 29.Kd1 Lf5 30.Tf1 e3! Droht ein Matt durch Tb1. 31.Txf5 Tb1+ 32.Kc2 Txa1 33.Kb3 Ld6 34.La6 e2 35.Lxe2 Te1 36.Kxa2 Txe2+ 37.Kb3 Te3 38.Lxd6 cxd6 und das Turmendspiel endet eindeutig.) 27...Tb2+ 28.Ke3 Le7 29.h4 c5 30.Le5 cxd4+ 31.Lxd4 ( 31.cxd4 Tb3+ 32.Kf2 Lh3! 33.Ta1 Lxh4+ 34.Kg1 Tb2 35.Txa2 Txa2 36.Txh3 Txe2 37.Txh4 Tc2 mit vier Bauern für die Figur darf Schwarz auf Gewinn spielen.) 31...c5 32.Le5 Kf7 33.Thf1+ ( 33.Txd5? Tb1 34.Tdd1 a1D 35.Txb1 Da2 bietet dem Nachziehenden Gewinnchancen.) 33...Lf6 34.Lxf6 gxf6 35.Td2 ( 35.Txd5? Tb1 36.Tdd1 a1D 37.Txb1 Dxc3+ ) 35...d4+ 36.cxd4 cxd4+ 37.Txd4 Txe2+ 38.Kxe2 La6+ 39.Ke3 ( 39.Kf2? Lxf1 40.Ta4 Lc4 41.Ke3 f5 und Schwarz behält die Oberhand.) 39...Lxf1 40.Ta4 Lc4 41.Kxe4 mündet endlich ins Remis.] 22...Lxb4! 23.cxb4 Txb4+ 24.Dxb4 Nur das vermeidet das Matt. 24...Dxb4+ 25.Kc2 e3! 26.Lxe3 Lf5+ 27.Td3 [ 27.Ld3 verliert den Läufer. 27...Dc4+ 28.Kb2 Lxd3 ] 27...Dc4+ 28.Kd2 Da2+ 29.Kd1 Db1+ und angesichts weiterer Materialeinbußen resignierte Bird. 0-1



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