"Für Sie habe ich nur drei Worte!"Tarrasch verliert WM-Kampf wegen der "Seeluft in Düsseldorf"von FM Hartmut Metz, 10. März 2012 |
Siegbert Tarrasch betrat den Raum, blickte Emanuel Lasker an, schlug die Hacken zusammen und verbeugte sich steif: "Für Sie, Herr Dr. Lasker, habe ich nur drei Worte: Schach und Matt!" Nach dieser einmaligen Begrüßung in der Geschichte der Weltmeisterschaften verbeugte sich Tarrasch nochmals kurz und schritt von dannen.
Diese Szene von 1908, die im schönsten Schach-Lesebuch "Die Großmeister des Schach" von Harold Schonberg so trefflich beschrieben wird, spiegelt das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Vorzeige-Großmeistern wider. Der am 5. März 1862 geborene Tarrasch (Fortsetzung von Teil 1 zu seinem 150. Geburtstag) und Lasker verachteten sich. Der praktizierende Mediziner aus Nürnberg geißelte das Profitum von Lasker und mochte sich vor allem nicht mit dessen rein erfolgsorientiertem Spiel anfreunden. "Hässliche" Züge vermied der Dogmatiker. Der Weltmeister zog in seiner Zeitschrift im Januar 1906 dagegen über seinen Erzrivalen her: "Dr. Tarraschs Stärke oder Schwäche - wie man wünscht - ist seine ausgesprochene Eigenliebe. Ohne sie wäre er ein höchst mittelmäßiger Schachspieler; in abnormem Maße mit ihr begabt, ist er ein Gigant geworden."
Hatte Tarrasch noch 1892 ein Match gegen Lasker abgelehnt, weil dieser zu schwach sei, kam es erst 1908 zu Stande. In all den Jahren zuvor hatten sie sich gemieden. Mit 46 war Tarrasch im Gegensatz zu seinem sechs Jahre jüngeren Kontrahenten, der 1894 Wilhelm Steinitz als Weltmeister abgelöst hatte, über seinen Zenit hinaus. Das Match schlug zwar auf deutschem Boden Tausende in seinen Bann, verlief aber einseitig. Lasker siegte mit 8:3 (bei fünf Remis). Tarrasch entschuldigte seine Schlappe mit der "Seeluft". Das "British Chess Magazine" spottete, das Alibi "klingt ein wenig dürftig. Düsseldorf ist gut 270 Kilometer von der Küste entfernt. Ein Talent, das so empfindlich gegen die Seeluft ist, ist nicht robust genug, um die Weltmeisterschaft auf seinen Schultern zu tragen".
Garri Kasparow urteilt in der Buchreihe über seine Vorgänger auf dem WM-Thron, Tarraschs "tiefer Glaube an die absolute Macht von besten Zügen" habe ihn "wenig empfänglich für den ,Unsinn' gemacht, psychologische Einflüsse, die den Ausgang der Partien beeinflussen" ins Kalkül zu ziehen. Der Russe findet deshalb: "Gegen Lasker hatte diese Dickköpfigkeit fatale Folgen."
Nach zwei Auftaktniederlagen konnte Tarrasch in der nachstehenden dritten Partie am 22. August 1908 auf 1:2 verkürzen - doch anschließend baute der Weltmeister den Vorsprung mühelos weiter aus.
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Lasker,E - Tarrasch,S [C98]
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