Schon fast einen Anachronismus
unserer Zeit stellt das Fernschach dar. Die Gegner übermitteln sich
per Post ihre Züge. Ein wenig haben sich die Fernschachspieler aber
auch angepasst und schicken inzwischen vermehrt ihre Antworten per E-Mail.
Das geht schneller und spart Porto. Obwohl im Internet täglich
hunderttausende Partien gespielt werden, bevorzugt die gemächliche Spezies
der Denkstrategen weiter ihr über 100 Jahre altes Ritual - vor allem,
weil Fernschach mehr zur Tiefe erzieht. Langfristige Pläne müssen
geschmiedet werden, da der Gegner kaum mit kurzzügigen Varianten zu
bezwingen ist.
Diesen Trend verstärkten die
Programme, die inzwischen fast jeder zur Unterstützung heranzieht. Taktisch
sind die Computer unübertrefflich. Ein starker Fernschachspieler versteht
es aber immer noch, die Kraft der Programme in richtige Bahnen, sprich Varianten,
zu lenken. Die Elektronenhirne sind Segen (für die Qualität der
Partien) wie Fluch, denn zunehmend viele Fernschachfreunde wenden sich von
ihrem Hobby ab, weil die Lust verloren geht, "bloß" gegen Programme
anzutreten.
Unverdrossen kämpft jedoch
ein verschworener Haufen in den einzelnen Fernschach-Ligen. Fechenheim eroberte
nach zweijährigem Kampf mit 13:3 Zählern den deutschen Titel. Platz
zwei ging an Bocholt (11:5/18,5) vor den Karlsruher SF, die als Dritter mit
17,5 Brettpunkten nach 32 Partien einen Zähler schlechter lagen. Immerhin
gelang den Badenern mit dem 2,5:1,5 der einzige Sieg über den neuen
deutschen Meister. Außerdem verbesserte sich das Team gegenüber
der Saison 1997 bis 1999 um einen Rang, obwohl zwei Topkräfte fehlten:
Thomas Raupp konzentriert sich auf die Einzel-Weltmeisterschaft und
Großmeister Gerhard Löh legte eine längere Pause ein. Lothar
Arnold sammelte am Spitzenbrett 3,5 Punkte aus acht Partien, Christof
Herbrechtsmeier dahinter 5,5 Zähler, Clemens Werner 4,5 und Bernd Meissner
4. Das Quartett will nun einen neuen Anlauf nehmen und laut Werner "das Ergebnis
weiter steigern".
Herbrechtsmeier soll dabei von
Position zwei auf eins vorrücken, verbuchte er doch am zweiten Brett
die beste Bilanz aller Bundesligisten mit drei Siegen und fünf
Unentschieden. Nachdem der Karlsruher gegen die Fernschach-Weltmeister Nesis
und Oim 1989 und 1991 remisierte, gewann er nun den dritten Vergleich mit
einem Ex-Weltmeister! Fritz Baumbach streckte nach nur 23 Zügen die
Waffen. Für die Meko kommentierte Herbrechtsmeier seinen Erfolg über
den Präsidenten des Deutschen Fernschachbundes sowie eine Abbruchstellung
samt einer sehenswerten Partie seines Mannschaftskameraden Clemens Werner.
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Werner,C - Hofmann,R [C01]
corr 99-01, 2001
[Herbrechtsmeier,Christof]
1.e4
e6
2.d4
d5
3.Sc3
Lb4
4.exd5
exd5
5.Ld3
Se7
6.Dh5
Sbc6 [Besser
6...c5
7.dxc5 und jetzt
7...Sd7!
(7...d4?! ist
zweischneidig) ]
7.a3
Lxc3+
8.bxc3
Le6
9.Tb1
b6
10.Sf3
Dd7
11.Sg5 In den 90er-Jahren
gab es hierzu einige Partien
11...0-0-0
12.Sxe6
Dxe6+
13.Le3
g6
14.Df3
Sf5
15.0-0
Sxe3
16.Tfe1
[16.fxe3
f5 und Weiß kann
wegen der Dame auf e6 die Öffnung c3-c4 nicht realisieren]
16...Dd6 Andere
Züge wurden auch schon erprobt; dies erscheint jedoch konsequent
17.fxe3
f5
18.c4
Dxa3 Neuerung
[18...dxc4
19.Lxc4
Kb8 /\ Sxd4
20.Lb5
Sa5
21.c4
(21.g3!? /\
Lb5-f1-g2+/=) ]
19.cxd5
Sb4
20.Tb3
[20.d6
Sxd3
21.dxc7
Sxe1 bringt W nicht weiter]
20...Da4
[20...Da5
21.d6!
Sxd3
22.Teb1
Dd2 ist kompliziert]
21.Le2
Kb8
22.Teb1
Sxc2
23.Lb5
Sxd4
24.exd4
Dxd4+
25.Kh1
Dxd5 Eine interessante
Konstellation ist entstanden: L vs. 4 B
26.Df1 Die Damen
sollte W natürlich nicht tauschen
26...Td6
27.Td3
De5
28.Txd6
Dxd6 Die Stellung
ist schwierig einzuschätzen. Materiell ist S in Vorteil, in Wahrheit
kann W aber ohne Risiko auf Gewinn spielen
29.Td1
De5?!
[29...Df6 mit der Idee
Td8 war vorzuziehen, W hat aber auch dann sehr aktives Spiel, evtl. sogar
mit Le2-f3] 30.h3
a5
31.Lc6
Ka7
32.Lf3 Jetzt steht
W bereits auf Gewinn!
32...Te8
33.Dc4
Dc5
34.Df7
De7
35.Dd5
Tb8[] Da jetzt und
in der Folge S oft nur einen einzigen Zug hat, zeigt deutlich, dass es zu
gefährlich war, den Turm zu behalten
36.Tc1!
c5 Verpflichtend,
weil auf b6 eine dauerhafte Schwäche entsteht. Besseres ist jedoch nicht
zu sehen 37.Dc6
g5 [Nach
37...Td8?
38.Tb1
Tb8
39.Txb6 ist es schon aus]
38.Td1
Ka6[]
39.Ld5
Td8
40.Tb1
Tb8[]
41.Tf1
[41.Db5+
Ka7
42.Lc4
Db7[]
43.Td1
Tc8[] gewinnt auch
44.Td6 ]
41...f4 Diese
Stellung kann man in einer Fernpartie getrost aufgeben. Mit
Computerunterstützung kann der Angreifer die Gewinnrealisierung in allen
Untervarianten exakt berechnen
42.Lc4+
Ka7
43.Db5
Db7
44.Td1
Tc8[]
45.Td6
[45.Le2 geht auch]
45...f3
46.Kg1!
f2+
47.Kxf2
h5
48.Kg1 Den Rest wollte
sich S doch nicht mehr zeigen lassen:
[48.Kg1
g4
(48...Tc7
49.Ld5
Db8
50.Te6 nebst Te8
- das Gewinnmanöver)
49.hxg4
hxg4
50.Le6
Tc7
51.Ld5
Db8
52.Te6
Th7
53.Te8
Dh2+
54.Kf1
Df4+
55.Ke2 mit Matt in 12.
Mit diesem Sieg bezwang Karlsruhe den deutschen Meister 2001, Fechenheim,
mit 2,5:1,5.] 1-0 |
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Herbrechtsmeier,C - Baumbach,F [B36]
corr 99-01, 2001
[Herbrechtsmeier, Christof]
1.e4
Meine dritte Partie gegen einen Fernschach-Weltmeister; gegen Nesis und
Oim remisierte ich 1989 bzw. 1991.
1...c5
2.Sf3
Sc6
3.d4
cxd4
4.Sxd4
g6
5.c4 Es war für
mich eine Herausforderung, diese Variante gegen "den" Spezialisten des
"Beschleunigten Drachen" zu spielen.
5...Sf6
6.Sc3
d6
7.Le2
Sxd4
8.Dxd4
Lg7
9.Lg5
0-0
10.De3
Le6
11.0-0
Db6
12.Dd2
Tfc8
13.b3
a6
14.Tad1
Tab8? Mit der Idee,
f4 so lange wie möglich zu verhindern und später mit b5 selbst
die Initiative zu übernehmen. Schwarz kommt jedoch nicht mehr dazu.
[14...Dc5
15.Sa4! war Mahlings Neuerung
im selben Turnier gegen mich mit vertauschten Farben; nach
15...Dc7
16.De3
Te8
17.f4
Tad8
18.f5
Ld7
19.Sb6
Lc6 endete die Partie
nach interessantem Spiel remis;
14...Da5 ist die
Theoriefortsetzung, die allerdings im Normalfall nach 10.Dd2 Le6 11.0-0 Da5
12.Tad1 Tfc8 13.b3 a6 entsteht.
15.f4!
(15.Lxf6
Lxf6
16.Sd5
Dxd2
17.Sxf6+
Kg7
18.Sh5+
gxh5
19.Txd2
Tc5 )
15...b5
16.f5
b4
17.fxe6
bxc3
18.exf7+ führt zu
einer unklaren Stellung.]
15.Kh1
Dc7 [Ebenfalls im
selben Turnier spielte Baumbach gegen Mahling hier
15...Dc5
16.f4
Te8
17.f5
Ld7 und konnte trotz
schlechter Stellung Remis halten;
15...Da5! ist wohl besser.]
16.f4
Te8
[16...b5 geht nicht:
17.f5
b4 sonst gewinnt W mit
Lxf6 nebst Sd5 mindestens einen Bauern
18.fxe6
bxc3
19.exf7+ nebst Dxc3.]
17.f5
Lc8 [Vielleicht
hätte Schwarz besser mit
17...gxf5
18.exf5
Ld7
19.Lxf6
exf6 ein Bauernopfer anbieten
sollen.] 18.Df4 Mit
Verzicht auf den Bauerngewinn durch
[18.Lxf6
Lxf6
19.Sd5
Dd8
20.Sxf6+
exf6
21.Lf3 nebst Dxd6.]
18...gxf5?!
[18...Da5 ist besser.
Allerdings verheißt
19.fxg6 nebst Sd5 auch
klaren Vorteil.]
19.Td3! "Der Verderber
naht" (Baumbach). Dieses Opfer habe ich sicher über 30 Stunden analysiert
[19.exf5
Da5
20.Td3
De5
21.Dxe5
dxe5
22.Te3 war die "positionelle"
Lösung (Christian Kratochwil).]
19...Da5 Der beste
Zug. 20.Tg3
Für den Angriff kam auch 20.Lh6 bzw. 20.Dh4 (führt wohl mit
Zugumstellung zur Partie) stark in Betracht.
20...Kh8 Der einzige
Zug. 21.Dh4
[21.exf5
Sg8 ]
21...Sxe4
[21...fxe4?
22.Lxf6
exf6
(22...Lxf6
23.Txf6 )
23.Txg7
Kxg7
24.Dxf6+
Kg8
25.Dxf7+ ;
21...f4
22.Lxf4
Tg8
(22...Sg8
23.Sd5!
Le6
24.e5 ;
22...Le6
23.e5
dxe5
24.Dg5
Tg8
25.Lxe5
Tbc8
26.Se4
Dxa2
27.Sxf6 )
23.b4!
Dxb4
24.e5
dxe5
25.Lxe5
Ta8
26.Ld3 ;
21...Tg8
22.b4!
Dd8
23.Sd5 ;
21...Sg8
22.Dh5!
Lxc3
(22...Tf8
23.Tf4! )
23.Th3
Kg7[]
24.Lh6+! ;
21...b5 verliert Material,
entspricht aber am besten der Stellung
22.Th3
f4
23.Lxf6
Lxh3
24.Lxg7+
Kxg7
25.Dxh3
b4
26.Dg4+
Kh8
27.Sd5
Dxa2
28.Txf4 ]
22.Sxe4
fxe4
23.Le3 Nachdem ich
mich in der Vorausberechnung (bei 19.Td3) lange mit 23.Lxe7 beschäftigt
hatte, habe ich mich schließlich für diesen "ruhigen" Zug entschieden:
Alle weißen Figuren sind am Angriff beteiligt. Mein sympathischer Gegner,
der übrigens Präsident des Deutschen Fernschachbundes ist, gab
(mit zwei Mehrbauern) auf!
[23.Lxe7
Txe7[]
24.Txg7!?
(24.Dxe7
Le6[]
25.Lg4
Dd8! )
24...Kxg7
25.Dxe7
(25.Df6+!? )
25...Le6
26.Dxd6
Te8!
27.Df4
e3
28.Lg4! ;
23.Le3
Tg8
(23...f6?
24.Lh5+- ;
23...Lf5?
24.Dg5+- ;
23...Ld7?
24.Txf7+- ;
23...Le6?
24.Txg7
Kxg7
25.Ld4+
f6
26.Txf6 ;
23...Lc3
24.Txf7
Lf5
25.Th3
Kg8
(25...Lg7
26.Ld4!
Tg8
27.b4!+- )
26.Lb6! ;
23...De5
24.Txf7
Tg8
25.Tg5!
Da1+
26.Lg1+- ;
23...Dc3
24.Lh6
Lf6
25.Lg7+!
Lxg7
26.Txc3
Lxc3
27.Txf7
Lg7
28.Dxe4
Kg8[]
29.Tf3
Tf8
30.Dd5+
e6
31.Txf8+
Lxf8
32.Dg5+
Lg7
33.Dd8+
Lf8
34.Dc7
Ta8
35.Lh5+- )
24.Tg5
(24.Txf7 gewinnt
auch - dieser Zug ist aber "ästhetischer".)
24...Dc3[]
(24...Lf6
25.Txf6
Txg5
26.Txf7
Tg7
27.Tf8+
Tg8
28.Ld4+ Das Matt
in fünf Zügen ist mit Computer natürlich problemlos.)
25.Th5
Tf8 Auf andere Turmzüge
entscheidet Txf7.
26.Txh7+
Kg8
27.Lh6
Lf6
(27...Lxh6
28.Txh6
Dg7
29.Th5
f6
30.Dxe4 nebst Tf3)
28.Dxe4
De5
29.Ld3
Dxe4[]
30.Lxe4
Ld7
31.Tf3
Le5[]
32.Lxf8
Txf8
33.Th5
Tb8 Sonst geschieht
profan Lxb7. 34.Tg5+
Kf8
35.Lh7
Lg7
36.Tfg3 ] 1-0 |
Die Begegnung SF-München/Pasing wurde beim Stand von 1,5:1,5 abgebrochen.
Wolf weigerte sich zu Beginn der Partie, diese per E-Mail zu spielen und
sandte seine Postkarten von Eupen (Belgien) nach Murten (Schweiz). Die
Schlussstellung wurde vom BdF als gewonnen für Weiß abgeschätzt;
beide Spieler konnten Analysen einreichen. Die Argumentation des
Abschätzers: "Beide Spieler sind sich einig, dass W besser steht. W
legt mit der Fortsetzung 42.Tc4 überzeugend dar, dass er seinen Vorteil
entscheidend vergrößern kann. S stellt allgemeine Überlegungen
an. Dabei berücksichtigt er nicht, dass die Öffnung des Spiels
mit g3 nach hxg3 zwar zu schwachen Bauern auf f3 und h3 führt; aber
die Schwächung des Bauern g5, der nicht zu verteidigen ist, schwerer
wiegt."
Mit dem Mannschaftssieg erreichte KSF den 3. Platz, und Pasing musste absteigen.
Wie geht es weiter? Analysen können ins
Diskussionsforum gestellt werden, die
Partiestellung zum Download.