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Rosenkranz-Beten bringt weniger Punkte als sündigen

Interview mit Sportpfarrer Michael Kühn

von FM Hartmut Metz, Dezember 2002

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Michael Kühn gibt nach sechs Jahren sein Amt als deutscher Sportpfarrer ab. Der 38-Jährige übernimmt die Leitung der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz und die Organisation des Weltjugendtreffens 2005 in Köln. Für den Gemeindepfarrer in Viersen-Süchteln rückt am 1. Januar der Aachener Hans-Gerd Schütt (44) nach. Mit dem scheidenden Sportpfarrer Kühn unterhielt sich Hartmut Metz.

 

Frage: Herr Pfarrer, wie viele Punkte bringt denn ordentliches Beten, beispielsweise ein ganzer Rosenkranz?

Michael Kühn: Im Himmel eine ganze Menge.

Frage: Und auf dem Spielfeld?

Kühn: Da wage ich zu bezweifeln, dass sich das in konkreten Punkten niederschlägt.

Frage: In der Bundesliga reißen sich nur die Brasilianer die Trikots vom Leib und preisen mit den Botschaften darunter Jesus. Sind die deshalb auch Weltmeister geworden?

Kühn: Nein, nein, nein. Wenn das der ausschlaggebende Grund wäre, bräuchte man nicht mehr Fußball zu spielen, sondern könnte den Wettbewerb gleich im Beten veranstalten.

Frage: Trotzdem hat sich einst die "Hand Gottes" bei der WM zugunsten Argentiniens eingeschaltet.

Kühn: Das war damals von Maradona ein Versuch, sich für den Ausrutscher zu entschuldigen. Es ist immer unpassend - und das wurde ihm auch angekreidet -, sich mit Gott zu entschuldigen. Wenn die "Hand Gottes" im Spiel ist, dann als segnende Hand und Kraft, damit die Menschen spielen, rennen, laufen und Sport treiben können. Aber nicht in dem Sinne, wer siegt und verliert.

Frage: Wozu dann ein Sportpfarrer?

Kühn: In erster Linie begleitet der Sportpfarrer den katholischen Sportverband, die Deutsche Jugendkraft (DJK). Damit will die Kirche zeigen, dass sie Interesse hat an den Lebensbereichen der Menschen. Und vielen sagt eben etwas der Sport. Mehr als diese Hauptaufgabe fällt der Öffentlichkeit die Begleitung der Olympia-Mannschaften auf.

Frage: Was machen Sie dort?

Kühn: Dabei geht es mehr um Themen über den Sport hinaus. Kein Sportler, Betreuer oder Funktionär kann plötzlich auftauchende menschliche Probleme auf Knopfdruck verdrängen. Diese laden sie beim Sportpfarrer ab und erwarten sich Ermunterung. Oder suchen einfach einen, der ein bisschen Zeit für sie hat und zuhört. Man ist auch ein Stück weit Psychologe. Es ist nicht nur Notfallseelsorge wie in Salt Lake City, als ein Familienangehöriger eines Athleten im Sterben lag und es galt, ihn in seiner Gefühlslage aufzufangen. Das alles sollte jedoch nicht überbewertet werden, sprich dass die Sportler bei Olympischen Spielen die großen Lebensfragen stellen, Krisen kriegen und sofort zum Sportpfarrer gerannt kommen.

Frage: Wie eng ist der Kontakt zu Sportlern und Betreuern?

Kühn: Das hängt davon ab, welche Vertrauensbasis man findet. Im Wintersport erhalte ich Einladungen. Da heißt es: Mensch, komm doch mal vorbei, wäre schön, wieder mit dir zu reden. Mit wenigen, einer Handvoll, ergeben sich Kontakte über den Sport hinaus.

Frage: Sind die Skifahrer die frömmsten Athleten? Und dopende Radfahrer oder Boxer, die dem Gegner mit zunehmender Freude Leid zufügen, eher von diabolischer Natur?

Kühn: Nein, das lässt sich so nicht sagen und hängt oft von der Konstellation ab. Beim Skisport fand ich zwei, drei Leute vor, mit denen ich mich sofort verstand. Dadurch öffnen sich weitere Türen. Jede Disziplin ist eine eigene Familie. Findet man in diese Eingang, gehört man dazu. Oft ist es zufällig. Weil ich in Sydney eine Volleyballerin von der DJK her kannte, war ich sofort mit drin. Bei anderen Sportarten findet man vielleicht gar keinen Zugang. Ich sehe das aber gelassen.

Frage: Halten Sie gesegnetes Weihwasser für Doping?

Kühn: Johann Mühlegg ist eine sehr, sehr tragische Geschichte. Seine schwierige religiöse Einstellung führt meines Erachtens zu menschlichen Problemen und einer Fehleinschätzung der Realität. Als Mensch besitzt er eine sehr religiöse Ader, die leider Gottes außerordentlich schwierig wurde. Anfällig für Doping ist jeder im Leistungssport. Vielleicht die religiösen Athleten etwas weniger, weil sie die menschlichen Grenzen kennen.

Frage: Das heißt: Katholiken sind die besseren Sportler?

Kühn: Das kann man nicht sagen. Das hängt von jedem selber ab, von seiner Einstellung, seinem Training, seinem Fleiß, seinen Anlagen. Der eine ist vielleicht von Gott etwas mehr begnadet als der andere. Egal, ob Moslem, Jude oder Christ, Katholik, Protestant, die menschlichen Qualitäten zählen mehr als die Leistung.

Frage: Die Bibel ist nicht gerade ein Sportbuch, nimmt man eine Vorform des Hammerwerfens - das Steinschleudern, in dem ein technisch versierter Hirte auch durchaus gegen einen grobschlächtigen Goliath bestehen konnte - aus. Gibt es sonst noch Beispiele?

Kühn: Neben Pferderennen liefert Paulus klassische Anspielungen. Im ersten Korinther-Brief 9 heißt es, Läufer laufen im Stadion, um den vergänglichen Siegespreis zu gewinnen, ihr aber lauft, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen.

Frage: Zum Sport-Heiligen hat es der Apostel dennoch nicht zusätzlich gebracht.

Kühn: Solch einen Heiligen gibt es mit Sicherheit, auch wenn er mir jetzt nicht einfällt. Oft ist es ohnehin so, dass wie in Neapel der Stadtpatron San Gennaro im Stadion um Beistand gebeten wird und Kerzen angezündet werden, damit die ja gewinnen.

Frage: Betreiben Sie selbst Sport?

Kühn: Volleyball.

Frage: Dabei schon mal geflucht oder geschummelt?

Kühn: Ja, das ergibt sich hie und da. Greift man mal ins Netz und der Schiedsrichter hat's nicht gesehen, meldet man sich natürlich nicht.

Frage: Aber Sie beichten diese kleinen Sünden später?

Kühn: Unehrlichkeit, ja.

Frage: Haben Gewinner überhaupt Zuspruch nötig? Oder wenden sich nur Verlierer an Sie?

Kühn: Das ist unterschiedlich. Auch Sieger möchten ihre Freude teilen. Die Verlierer kommen nach der Niederlage nicht gleich zum Pfarrer gelaufen. Die meisten sind Profi genug, um zu wissen, wie sie mit einer eigenen Niederlage umgehen müssen. Wir sind bei Olympischen Spielen hinter Betreuern und Familien die Gesprächspartner des zweiten, dritten Moments nach zwei Tagen, wenn den Sportlern alles immer noch im Kopf herumschwirrt.

Frage: Suchen auch Atheisten den Ratschlag des Gottesmannes?

Kühn: Selbst bei den vielen Sportler aus den neuen Bundesländern, die die Religion nicht als Lebenskonzept kennen, stelle ich eine Offenheit fest. Die kommen nicht gleich in die Kirche, nehmen einen aber doch wahr und zeigen Neugierde. Die Offenheit erstaunt mich immer wieder.

Frage: Trotzdem feiert heidnischer Aberglaube zuweilen fröhliche Urständ. Das geht bis dahin, dass die Bild-Zeitung Pfennige im Strafraum vergräbt, um Glücksgöttin Fortuna gewogen zu machen.

Kühn: Ich will diesen Aberglauben keineswegs brutal verteufeln, auch wenn ich ihn nicht verstehen kann. Der Aberglaube ist ein Auswuchs, der daraus entsteht, dass der Sportler immer gerne alles selbst in der Hand hält und steuern möchte. Die Gottheit soll gnädig gestimmt werden, damit sie für mich entscheidet. Gut heißen kann ich das natürlich nicht.

Frage: Sie tragen also nicht immer wieder dasselbe T-Shirt oder die Lieblingssocken, mit denen Sie die letzten drei Volleyball-Spiele souverän gewannen?

Kühn: Nö, nö.

Frage: Es heißt so schön: Der Glaube versetzt Berge. Haben Sie als Sportpfarrer schon zur deutschen Medaillenbilanz beigetragen?

Kühn: Sicher nicht direkt. Was sollte ich dazu leisten? Vielleicht durch ein Gespräch am Vorabend, dass der Athlet ein bisschen ruhiger in den Wettkampf geht. Einfach gelassener wird und genau dies das letzte Quäntchen war. Es gibt nicht dieses "Religio-Doping", bei dem man betet und dann gewinnt. Dann müssten immer die Sportler, für die ich die Daumen drücke, vorne sein.

Frage: Sie schließen also manche in Ihre Nachtgebete ein?

Kühn: Natürlich.

Frage: Fruchtete es?

Kühn: Ich würde sagen, es ist Unentschieden. Es ist bei mir stets der eigene Wunsch dabei, weil ich den Sportler kenne. Eigentlich geht es im Gebet mehr darum, ihm zu wünschen, dass es ihm gut geht. Das hängt manchmal vom Sieg ab, aber letztlich gibt es ein gut gehen, das viel tiefer liegt in der Seele, im Herzen. Das übersteigt Sieg und Niederlage.

Frage: Welches war Ihr schönstes Ereignis in den sechs Jahren als Sportpfarrer?

Kühn: Bei den Paralympics in Sydney erinnere ich mich sehr gerne an einen Gottesdienst mit den Behinderten. Ich hatte eine Gitarre dabei und sang am Schluss ein deutsches Lied. Dann kam ein Argentinier und sagte, jetzt möchte ich ein Lied singen. Danach kam eine Athletin aus Kenia. So sangen wir noch eine Dreiviertelstunde Lieder der Athleten aus aller Herren Länder. Das war ganz toll, weil man merkte, hier herrscht ein gemeinsamer Geist, Frieden, Freude am Leben und am Sport.


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