Vertauschte Rollen im SpitzenspielInterview mit Großmeister Philipp Schlosser / Porz im Bundesliga-Hit gegen Baden-Oos favorisiertvon FM Hartmut Metz, März 2004 |
Großmeister Philipp Schlosser
Der Schachclub Baden-Oos trifft am Samstag (14 Uhr) im Gebäude der Grenke Leasing AG auf die SG Köln-Porz. Beide Mannschaften gaben bisher erst einen Punkt in dieser Bundesliga-Saison ab. Wer das Duell am vorletzten Doppelspieltag gewinnt, steht somit vor dem Titelgewinn. Doch ausgerechnet im Schlagerspiel müssen die Baden-Badener auf ihre Topstars verzichten, die gleichzeitig bei einem Turnierklassiker in Monaco weilen. Hat Baden-Oos trotzdem eine Chance? Hartmut Metz unterhielt sich darüber mit Schach-Großmeister Philipp Schlosser. Der 35-Jährige hat in dieser Saison noch keine Partie verloren und ist mit 7:2 Punkten bisher erfolgreichster Akteur des Tabellenführers.
Frage: Herr Schlosser, dem SC Baden-Oos fehlen am Samstag ausgerechnet im Spitzenspiel gegen Porz die Stars Viswanathan Anand, Peter Swidler, Alexej Schirow und Francisco Vallejo Pons. Hat Ihr Team so überhaupt eine Chance?
Schlosser: Natürlich ist Porz durch die Teilnahme unserer vier Spitzenspieler beim Amber-Turnier in Monaco Favorit. Aber vielleicht gelingt es uns, durch ein 4:4 einen Stichkampf zu ermöglichen, schließlich fehlt bei Porz ebenfalls wegen Monaco Loek van Wely und vielleicht steckt Ivan Sokolov, der unmittelbar vom Karpow-Turnier in Sibirien nach Baden-Baden kommt, noch die Reise in den Knochen.
Frage: Ist das Meisterrennen im Falle einer Niederlage dann vor den zwei letzten Spielen endgültig gelaufen?
Schlosser: Porz muss am letzten Doppelwochenende erst noch die Hürden SV Werder Bremen und Bremer SG überwinden. Insbesondere Werder stellt ein sehr kompaktes Team. So gelang es uns trotz des Einsatzes von Anand und Schirow nicht, gegen den Vorjahresdritten über ein 4:4 hinauszukommen.
Frage: Gelänge ein 4:4 und beide Teams gingen am Schluss punktgleich über die Ziellinie, gäbe es einen Stichkampf. Im Mai wären dann der Weltranglistenzweite, -vierte und fünfte mit von der Partie. Würde Baden-Oos in Bestbesetzung die Kölner von den Brettern fegen?
Schlosser: Sicher wären die Rollen vertauscht, jedoch wären wir dann wohl weniger im Vorteil als Porz jetzt.
Frage: Welche Strategie ist die erfolgversprechendere? Die der Porzer, die keine Top-Ten-Spieler in ihrem Kader haben, aber ein durchgängig starkes Team? Die Porzer Großmeister aus der zweiten Reihe richten ihren Turnierkalender nach den Bundesliga-Terminen aus und stehen fast immer bereit. Bei Ihrem Verein fehlen die Ausnahmekönner immer wieder wegen internationaler Turnierverpflichtungen.
Schlosser: Die Philosophie des Vereins und des Sponsors Grenke Leasing AG besteht in der Kombination von Weltklassespielern, deutscher Spitzenklasse und badischem Schachnachwuchs. So sitzen bei uns im Gegensatz zu Porz überwiegend deutsche Spieler an den Brettern. Dies und die Publikumsmagneten Anand, Schirow und Swidler kommen in der Öffentlichkeit gut an. Ein positives Image ist für den Verein nicht weniger wichtig als der sportliche Erfolg. Im Übrigen stehen uns wegen des Turniers in Monaco nun zum ersten Mal alle Asse nicht wie geplant zur Verfügung. Gewiss ist es dabei ärgerlich, dass in diese Zeit zwei Wettkämpfe gegen die starke Porzer Mannschaft fallen. Am Sonntag verloren wir das Finale des deutschen Mannschaftspokals deswegen mit 1:3, jetzt steht am Samstag das Schlüsselspiel in der Bundesliga an. Ich gehe aber davon aus, dass sich in Zukunft derartige Terminüberschneidungen vermeiden lassen.
Frage: Ungeachtet des Ausgangs im Bundesliga-Hit hat sich Ihr Verein im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesteigert und steht praktisch mindestens als Vizemeister fest. Im Aufstiegsjahr wurde man trotz aller Vorschusslorbeeren nur Achter. Was hat sich zum Positiven gewendet?
Schlosser: Bislang blieb jeder starke Aufsteiger im ersten Jahr seiner Bundesligazugehörigkeit hinter den in ihn gesetzten Erwartungen zurück, insofern war unser Ergebnis bei Kennern der Szene keine so große Überraschung. Offensichtlich müssen Mannschaften auch im Schach zusammenwachsen und brauchen Zeit, um sich auf das Niveau der neuen Liga einzustellen. Der bisherige Saisonverlauf bestätigt das in die Spieler gesetzte Vertrauen und die langfristig ausgerichtete Politik der Vereinsführung, die nicht schon im ersten Jahr vom Meistertitel träumte.
Frage: Auch Sie haben weit mehr Punkte geholt, obwohl Sie wieder weiter vorne spielen und damit schwerere Gegner haben als vergangene Saison. Mit fünf Siegen und vier Unentschieden sind Sie noch vor Anand (4,5:1,5) der Topscorer der Mannschaft.
Schlosser: Im Gegensatz zu den meisten anderen Turnieren war mein Bundesligaergebnis der letzten Saison schlecht. Dieses Jahr war ich daher besonders motiviert, um zu zeigen, dass ich es besser kann. Dass meine Gegner stärker waren, war mir dabei nur recht. Obwohl ich mehr als zufrieden mit meiner aktuellen Form bin - in meinen letzten 30 Partien erzielte ich immerhin eine Performance von über 2600 Elo-Punkten! -, will ich mich aber in keiner Weise mit einem Ausnahmekönner wie Anand vergleichen: Er und unsere beiden anderen 2700er sehen auf dem Brett einfach Dinge sicher auf den ersten Blick, die ich nach langem Grübeln vielleicht doch nicht finde. Es macht einfach Spaß, mit solchen Spielern in einer Mannschaft spielen zu dürfen!
Frage: Wie verhalten sich die Baden-Ooser Asse gegenüber den "normalen" Großmeistern? Haben Leute wie Schirow, Swidler oder Ex-Weltmeister Anand, der mehrfacher indischer Sportler des Jahres ist, Allüren?
Schlosser: Nicht im Geringsten. Bei Anand beeindruckt mich neben seinen schachlichen Fähigkeiten besonders, dass er anfing Deutsch zu lernen und jetzt fleißig mit uns übt!
Alle Schachpartien der aktuellen Bundesliga von GM Philipp Schlosser:
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Tischbierek,R (2519) - Schlosser,P (2560) [B85]
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Schlosser,P (2560) - Poldauf,D (2404) [E76]
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Schlosser,P (2560) - Stangl,M (2493)
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Kuraszkiewicz,M (2304) - Schlosser,P (2560) [A45]
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Schlosser,P (2560) - Lorscheid,G (2297) [E61]
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Schlosser,P (2560) - Dinstuhl,V (2439) [D46]
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Schlosser,P (2560) - Sadler,M (2626) [A87]
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Ginsburg,G (2483) - Schlosser,P (2560) [B54]
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Schlosser,P (2560) - Bricard,E (2453) [A84]
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