Wunder-Automat setzt Napoleon matt"Getürkter" Vorläufer von Schachprogrammen / Packender Romanvon FM Hartmut Metz, 25. November 2006 |
Gebannt werden die Fans ab heute in Bonn auf das Schachbrett starren: Ihr Bester, Weltmeister Wladimir Kramnik, soll noch einmal die Ehre der Menschheit verteidigen. Der Russe selbst glaubt, dass womöglich zum letzten Mal der Computer besiegt wird (siehe auch Bericht im Sport). Der immer wieder faszinierende Wettkampf zwischen Mensch und Maschine ist daher Sponsor RAG eine Million US-Dollar Preisgeld wert. Ein Taschengeld im Vergleich zu den Milliarden, die 1997 durch solch ein Match umgesetzt wurden. Garri Kasparow hatte damals als erster Weltmeister die Überlegenheit des IBM-Rechners Deep Blue anerkennen müssen. Nach seiner Niederlage zum Endstand von 2,5:3,5 machten die IBM-Aktien ob des historischen Augenblicks einen Satz nach oben um 30 Prozent.
Dass die Maschine den Menschen bezwingt, hätte am habsburgischen Hof 1770 niemand überrascht. Für die Adeligen gab es keinen Zweifel an der Überlegenheit des Schachautomaten. Der Türke, wie die Puppe hinter der Maschine wegen des Turbans genannt wurde, setzte jeden Gegner matt. Der Schachautomat galt im Rokoko als achtes Weltwunder. Erbaut hatte ihn Wolfgang von Kempelen. Der Erfinder hatte aber kein denkendes Wunderwerk erschaffen, sondern nur eine geniale mechanische Spielerei.
In dem Kasten unter dem Schachbrett befand sich ein kleinwüchsiger Meisterspieler, der durch eine komplizierte Mechanik die Züge des Gegners übermittelt bekam und seine Fortsetzungen oben vom Türken ausführen ließ. Apropos: Einen Türken bauen und türken gehen auf den Schachautomaten zurück. Wolfgang von Kempelen öffnete zwar vor jeder Vorstellung den Kasten auf allen Seiten, damit das staunende Publikum sehen konnte, dass sich außer einem komplizierten Räderwerk nichts darin verbirgt. Der kleine Schachmeister wechselte aber flink seine Position, so dass er unentdeckt blieb.
Der Schwindel flog zu Lebzeiten des Barons von Kempelens (1734-1804) nie auf. Auf ausgiebigen Tourneen bestaunten die Leute in Europa und ab 1826 in Amerika das Wunderwerk. Erst 64 Jahre nach seiner Erbauung, 1834, lüftete der Franzose Jacques François Mure das Geheimnis in einem Pariser Journal. Mure war einer der Spieler im Schachautomaten. 1854 fiel der Türke in einem Museum in Philadelphia einem Brand zum Opfer.
Wer mehr über diese Maschine erfahren will, sollte den packenden Roman Der Schachautomat von Robert Löhr (Piper Verlag 2005, ISBN 3-492-04796-3, 406 Seiten, 19,90 Euro) lesen. Bei seinem Erstling orientiert sich Löhr an wahren historischen Begebenheiten. Der Berliner Regisseur verwebt jedoch auch fiktionale Elemente. So heißt in seiner Geschichte der erste Schachmeister Tibor. Tatsächlich war es aber wohl Johann Baptist Allgaier (1763- 1823). Er verfasste ein berühmtes deutsches Lehrwerk und unterrichtete die kaiserlichen Prinzen am Hofe in Wien im Schach. Als Napoleon Bonaparte 1809 im Schloss Schönbrunn weilte, ließ es sich der Korse nicht nehmen, gegen den Schachautomaten anzutreten die Niederlage fiel ähnlich verheerend aus wie sechs Jahre später auf dem Schlachtfeld in Waterloo.
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Napoleon Bonaparte - Schachautomat,Allgaier [C23]
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