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Die Macht des Spanferkels

von Hartmut Metz

zu den kommentierten Partien


   In starker Besetzung ließ die "Dritte" gegen Gernsbach III keinen Zweifel aufkommen, wer auch in der nächsten Runde in der Kreisklasse I spielt. Der Aufsteiger schloß die Saison mit 7:11 Zählern auf Platz acht ab. Gegen das Schlußlicht durfte die Rochade nur nicht zu hoch verlieren, um die Klasse zu halten. Nach Lage der Dinge sah schließlich alles vor dem letzten Spiel nach einem Absteiger aus - und der sollte Gernsbach III heißen. In der besten Partie des Wettkampfs sorgte Reinhard Kühl unter den Augen der sonstigen Stammspieler wie Ralf Ehret, Michael Waschek und Alexander Zlodi für die Führung. Kurz und schmerzlos zog unser Ehrenvorsitzender seinen Kontrahenten über den Tisch. Seine makellose Bilanz beschert Reinhard einen deutlichen DWZ-Zuwachs. Verzichten wir aber auf das alte Lied, wie gut die Zweite mit ihm in der Landesliga sein könnte ...

  Während Jürgen Metz die Eröffnung völlig danebenging, punkteten Altmeister Hermann Hettich, Heribert Urban und Wjeko Visnic. Hermann zeigte eine solide Partieanlage, steckte einen Bauern ein und verwertete diesen sicher im Endspiel. Mehr hin und her ging es bei Wjeko, der sich am Schluß aber als der bessere Spieler erwies. Uwe Gantner spielte ziemlichen Müll, rettete sich aber letztlich ins Remis. Günther Walz und Nachwuchstalent Daniel Wörner sorgten für den 5,5:2,5-Endstand, wobei Daniel eine glatte Gewinnstellung verdarb. Günther agierte - sein Sicherheitsdenken kann er einfach nicht ablegen - zu zaghaft. Jedoch im Vergleich mit der Partie unseres Vorsitzenden war jede andere immer noch ein Juwel.

   Das folgende Kleinod der Schachgeschichte, das Heribert gegen Sabine Paasch bot, ist nur durch eine Mixtur fanatischer Liebe zum Spanferkelessen und der Unkenntnis Steinitz'scher Prinzipien zu erklären.

Paasch, S (1384) - Urban, H (1689)
Kreisklasse 1, 1997


1.d4 d5

In der Kreisklasse I gelten 17 weitere Züge als plausibel. Um Kinder unter 18 Jahren vor solcherlei Humbug zu schützen, verzichten wir auf den Abdruck aller in der Kreisklasse denkbaren Fortsetzungen an dieser Stelle.

2.Sf3 Sc6?!

Deutet bereits die Grausamkeiten an, die dem Nachspielenden alsbald drohen. Aus purem Respekt vor unserem Vorsitzenden setzt die Redaktion hinter das Fragezeichen noch ein Ausrufezeichen. Fragwürdig ist dieser Zug, der den c-Bauern verstellt, allemal. Am genauesten scheint Sf6. Aber rufen wir uns in Erinnerung, daß die Partie an einem hinteren Brett in der Kreisklasse I stattfindet.

3.Lg5!

Ein psychologisch prächtiger Zug, der den geübten Kreisklassen-Kontrahenten denken läßt: "Jetzt bloß nicht Sf6, weil ich dann einen Doppelbauern erhalte." Unser Vorsitzender dazu: "Den Doppelbauern nach Sf6 wollte ich nicht. Und da ich rasch zum Spanferkel-Essen fortkommen wollte, beschloß ich, kurzen Prozeß zu machen und den b-Bauern zu fressen!" Man beachte die Weitsicht unseres obersten Herrn, der bereits an dieser Stelle absah, daß der b-Bauer demnächst bereits auf seinem Rost gegrillt wird. Allerdings bedachte unser aller Chef nicht, daß er es ist, der mit dem Feuer spielt und die Rolle des Spanferkels übernehmen wird.








3...Dd6? 4.e3 Db4+? 5.Sc3 Dxb2?

In Anlehnung an Hajo Vatters Spruch, den er einst bei einem Kuppenheimer Zwölf-Stunden-Blitz tätigte, wollen wir erwähnen: "A guad's Spanferkl frißt älles."

6.Sxd5








6... Kd7

Phänomenal gedacht: Der König überdeckt nicht nur den bedrohten Punkt c7, sondern wird gleich (im Gegensatz zum eher passiven und daher zu tadelnden Kd8) für das Endspiel aktiviert. Der erste offizielle Weltmeister der Schachgeschichte, Wilhelm Steinitz, hätte seine wahre Freude daran gehabt. Was er und seine Zeitgenossen damals nicht wußten, weil ihnen die Feinheiten des modernen Turnierschachs noch nicht geläufig waren: Mit 6...Kd7 verstellt Schwarz überdies dem Läufer auf c8 die Ausfahrt, so daß dieser in der Garage keine Dummheiten machen kann und der schwarze Lack an ihm dranbleibt!!

7.Se5+ Sxe5

Torpediert das logische Ende der Partie durch 7...Ke8 8.Sc4 mit Damenfang.

8.dxe5 Kc6!

Ganz im Sinne von Steinitz gespielt. Der König rückt entscheidend in die Mitte. Daß Steinitz in der Klapsmühle endete, sei an dieser Stelle nur nebenbei bemerkt. Überdies auch die Randnotiz, daß der Autor, der diese Sternstunde des Schachs live erleben durfte, bereits Wetten anbot, daß dieses denkwürdige Scharmützel nur einer gewänne: und zwar Schwarz!!

9.Lc4?

(9.Tb1 Dxe5 10.Sb4+ Kb6 11.Sd3+ Db5 12.Txb5+ Kxb5 13.Se5+ Ka5 14.Dd5+ c5 15.Dxc5+ Ka4 16.Lb5+ Ka5 17.Sc4# hätte rascher zum Aufbruch in Richtung Spanferkelessen geführt. Doch das Schweinchen namens Babe will ja bekanntlich erst langsam auf dem Feuer geröstet werden.

9...Lf5?

Warum in die Ferne (Bauer e5) schweifen, wo das Gute (Bauer c2) liegt so nah? Als unbedeutenden Schnickschnack entlarvt der Spanferkel-Gourmet das Gäbelchen nach zum Beispiel 10.h4 Lxc2 11.Dxc2 Dxc2 12.Sb4+ Kc5 13.Sxc2 Kxc4! und die schwarze Strategie triumphiert.

10.0-0 e6

Haha! Nicht mit unserem Vorsitzenden, der den Braten nach Lxc2 riecht. 10...Lxc2 11.Sb4+ Dxb4 12.Dxc2 e6 13.Tab1 Dc5 14.Da4+ b5 15.Lxb5+ Kd5 16.Lc6+ Dxc6 17.Dd4#

11.Df3








11...Kd7?

Würde Steinitz noch geistig gesund leben, hätte ihn spätestens dieser kleinmütige und beschämende Rückzug in die Klapse getrieben. Ganz nach dem Geschmack des Weltmeisters wäre statt dessen Kc5 gewesen. Sozusagen Optimierung der am Spielgeschehen teilnehmenden schwarzen Kräfte.

12.Tad1 Kc8?

Schnuppert bereits an der Holzkohle für das Spanferkel. Daß Ld6 nur die Qual, sprich den Verzicht auf leckeres Fleisch, verlängert hätte, sah natürlich der Gefräßige.

13.Sb4??

In guter Absicht verzichtet Weiß auf das sofortige Schlachten des Opferlamms und ersinnt lebensverlängernde Maßnahmen, ohne den Spaß an der Metzelei aus den Augen zu verlieren.

13.Sb6+ cxb6 14.Td8+ Kc7 15.Td7+ Kxd7 16.Dxb7+ Ke8 17.Dc6# ist ja nun wirklich zu einfach. Das Lammfleisch wäre kaum gar.

13...f6?

Will endlich fort zum Spanferkelessen, weswegen Le7 vermieden wird.

14.La6??

Macht den zweiten vor dem ersten Zug. Merke: Erst das Fell über die Ohren ziehen, dann brutzeln. Nicht umgekehrt. 14.Dc6 bxc6 15.La6+ Kb8 16.Sxc6#

So hätte das Feuer seine Pflicht erfüllen können. Verkohlt, erinnert sich Schwarz daran, daß es schon Vorbild Steinitz nicht bekam, übermütig Gott Zug und Bauern vorzugeben. Gott holte ihn heim ins Reich, um das zu testen. Weil der Nachziehende nur heim zum Spanferkelessen will, verzichtet er heute darauf, Steinitz um Längen zu übertreffen und Godot (nennen wir den lächerlichen Gegner einmal so) gleich einen ganzen König vorzugeben. Ganz zu schweigen von den vielen Zügen, die er in der Eröffnung Godot vorgab.

14...Dxb4?!

Schwarz warnt, daß er sich seiner Bestform nähert, in dem er bereits den zweitbesten Zug in der Stellung (hinter dem natürlich ebenso hoffnungslosen Tb8) ausführt.








15.Td4??

15.Dc6 bxa6 Alles andere geht sofort matt. 16.Dxa8+ Db8 17.Td8+ Kxd8 18.Dxb8+ hält die Flamme am kochen.

15...Db6??

Besteht auf das Grundrecht das Spanferkelessen. Merklich verzögert hätte dies 15...Tb8 16.Txb4 Lxb4 17.Lc4 fxg5 18.e4 b5 19.Lb3 Lg6 20.Lxe6+ Kb7 21.Db3 mit beiderseitigem Krampf, äh Kampf in der Kreisklasse.

16.Tfd1??

Wartet etwa auf Weiß ein Spanferkel?? Bevorzugt die Dame gar die Rolle des Opferlamms, die gewiß eher den Oscar gewinnt als die des tumben Schlächters? 16.Lxb7+ Dxb7 17.Td8+ Kxd8 18.Dxb7 gewinnt noch immer. "Ich weiß es ja", wandte Schwarz genervt und nicht zum ersten Mal treffend ein.

16...Le7

Nach fünf miserablen Zügen, die allein dem Zweck dienten, den unbewirteten Raum zu verlassen, hat der Nachziehende die Schnauze voll. Oder genauer nicht. Weil sich die Anziehende hartnäckig weigert, ihm den Schweinefraß zu gönnen und die Partie vor die Säue wirft, setzt sich nun der wässerige Mund durch. Ab jetzt übernimmt der Speichel das Kommando - und das nicht schlecht. Endlich verstehen wir, was gemeint ist, wenn ein Spieler nach einer mißratenen Partie kommentiert, ihm sei die Spucke weggeblieben. Spucke ist die Essenz für wirklich schönes Schach. Paul Morphy soll ja immer einen Spucknapf neben sich stehen gehabt haben. Die fünffache Essenz daraus, sozusagen die Quintessenz: Noch heute trägt der ambitionierte Amerikaner den Spucknapf bei sich, um dem Spuk (den verdammten, schachspielenden Russen) ein Ende zu bereiten.

Nebenbei erwähnt ein wenig Entstehungsgeschichte der russischen Sprache: Auf die Spucknapf- Attacken der Amis, die besonders Bobby Fischer zu zelebrieren wußte, reagierten die Russen direkt panisch. "Spuknik, spuknik!" bettelten sie um Erbarmen. Doch der Ami, speziell Fischer, kannte keine Milde während des kalten Krieges. Daraufhin hätten sich die Geschlagenen am liebsten ins Weltall zurückgezogen vor lauter Scham. Da das Wort "Astronaut" gleich zwei "t" in sich birgt, wurde aus "Spuknik" eines der beiden "k" eliminiert. Dieses fiel in Ungnade und wurde in eine Kolchose verbannt und mußte als "c" niedrige Dienste verrichten, ehe es zu Beginn der 90er zum großen "K" aufstieg. Jedenfalls wurde ein "t" befördert und erhob den Astronauten zum "Sputnik".

17.exf6 Sxf6 18.Lc4 h6

Der Speichel vermehrt sich angesichts des nahenden Spanferkel-Festmahls. Proportional steigt entsprechend die Zahl der Züge, die nicht sonderlich mit Fehlern behaftet sind.

19.Lf4?








19.. Lg4 20.Dg3 Lxd1

Die Erkenntnis des Speichels, daß ein Fressen der armen Sau, des Turms, das Spanferkelfressen näherrücken läßt, konnte überzeugend dem nur störenden Großhirn vermittelt werden.

Letzteres ist übrigens mittlerweile zusammen mit anderen Teilen des Schädels zu niederen, beispielsweise ans regelmäßige Atmen denken, degradiert worden.

21.Dxg7?

Möchte sich wie vor mehr als 500 Jahren die Jungfrau von Orleans für ihr Volk opfern.

21...Te8?

Lehnt die kitschige Offerte, die sich durch Th7 (Genervter Kommentar auf den Hinweis, dieser Zug wäre statthaft und innerhalb der Regeln gewesen: "Ich weiß es ja.") ergeben hätte, rigoros ab. Meine Herren, es geht hier um ein Spanferkelessen und nicht die völlig unwichtige Vergabe des Oscars für die Hauptdarstellerin. Richtig, wir vergaßen.

22.Txd1 Dc6 23.Lb3? Tg8 24.Lxe6+?








24.. Dxe6!!

Zwischenstand: Der Speichel ist drauf und dran, Schwarz zum zweiten Mal in diesem Duell mehr als drei Züge hintereinander ohne Fehler bleiben zu lassen! Nur deshalb die zwei Ausrufezeichen. Spucken wir darauf, daß es klappt: toi, toi, toi.

25.Dxh6 Dg4 26.Dh3

Schwarz nahm endlich Witterung des Spanferkels auf und fackelte daher nicht lange:

26...Dxh3

Eigentlich ist nun mit dem kübelweise Ausschütten von Hohn und Spott alles gesagt - wäre da nicht ein paar Tage später der stolze Sieger ins Training gekommen. "Und dann bin ich nachts aufgeschreckt", erzählte der durch das Spanferkelessen nicht fetter gewordene Tennisspieler, "und mir fiel ein: Mit Dxd1 hätte ich mattsetzen können!"

Zur Bestätigung streckte der Gewinner sein Partieformular vor unsere Nasen, so daß uns schummerig vor den Augen wurde: "Dxd1 matt" stand tatsächlich da - leider ist die Dame auf g4 jedoch gefesselt, was zu einer unliebsamen Überraschung hätte führen können, handelte es sich um eine Blitzpartie. Weiß würde dann nämlich den schwarzen König schnappen. Doch wie wir an der Güte des Duells leicht erkannten, war das ja eine echte Sau-, äh Turnierpartie.

0-1


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