Startseite Rochade Kuppenheim

Psychologie im Schach

von Reinald Kloska

zu den kommentierten Partien


   Anhand meiner Partie der 8. Runde in der Verbandsliga, die sich hierzu ausgezeichnet eignet, möchte ich den Wert der Psychologie in der Praxis darstellen. Der erste wichtige Moment einer Partie ist die Vorbereitung auf den Gegner. Taktische Mannschaftsabsprachen sind im Vorfeld genauso wichtig, wie eine exakte eröffnungstheoretsche Vorbereitung jedes einzelnen auf seinen Gegner. Von meinem Gegenüber war bekannt, dass er als Schwarzer das Damengambit mit Slawisch begegnet, folglich gab es bei der Vorbereitung keine Probleme.











Kloska - Balg
Dreiländereck - Kuppenheim, 1992

1.d4! Dieser Zug erhält von mir grundsätzlich ein Ausrufezeichen. 1...d5 2.c4 e6 Nach einigen Minuten Überlegens wurde mir sofort klar, das ist kein Slawisch - so ein unfairer Gegner, im zweiten Zug der erste psychologische Hammer. 3.Sc3 Lb4 Und bereits im dritten Zug der zweite Hammer! Was soll man denn gegen so etwas spielen? Ganz klar, ruhig bleiben. 4.e3 Sf6 5.Ld2 0-0 6.Sf3 Sbd7 7.Le2 Te8 8.0-0 c6? Dieses Fragezeichen setzte sich mein Gegner selbst, denn kurz nachdem er den Zug ausgeführt hatte, sah er, dass nun Sxd5 einen Bauern gewinnt. Ich sah dies natürlich auch, doch sind bessere Stellungen nicht mein Stil. Außerdem wäre es aus schachpsychologischer Sicht ein verhängnisvoller Fehler. In einem derart frühen Stadium des Spiels die innere Euphorie auf Gewinn einzustellen, bringt meist herbe Partieverluste mit sich. Der erfahrene Psychologe wählt deswegen: 9.Db3! Ld6 10.Tad1 Der Beginn einer Reihe von Zügen, die anscheinend keinen Sinn haben. Doch gerade dieser Zug ist derart raffiniert, dass wahrscheinlich gar Kasparow nicht die verborgenen Ideen entdecken würde, die sich dahinter verbergen. Diese waren
a) Verhinderung sowohl von c5 als auch von e5
b) Erzielung einer schlechteren Stellung, um den Schwarzen gedanklich auf Sieg einzustellen und, als Wichtigstes
c) fehlerhafte Einschätzung der Stellung oder aber
d) irgendwohin muss der Turm gezogen werden
10...b6 11.cxd5 Aufgrund der Ignoranz, die mein Gegner zu Tage legte (er würdigte meinen überaus sensiblen 10. Zug nicht), musste ich schärfere Geschütze auffahren. Erst dieser 11. Zug zeigt deutlich auf, wie sinnlos gut mein 10. war. Außerdem schlug mein Gegner in einer früheren Begegnung in ähnlicher Stellung mit dem c-Bauern zurück. 11...exd5 Egal wie er schlägt, ab sofort wird zurückgeschlagen. 12.Tc1 Natürlich hätte er auch schon im 10. Zug hier stehen können, doch dann wäre a) bis d) unberücksichtigt geblieben und ich hätte dieses wertvolle Tempo nicht verlieren können. Außerdem wollte ich, dass Schwarz jetzt Se4 zieht. Darauf hätte Sxd5 für Weiß schon einiges Holz eingebracht. Leider weiß mein Gegenüber meine geradezu ozeantiefen Fallen nicht zu würdigen. Jedenfalls gebietet es der Anstand, in dieser Stellung Se4 zu ziehen! 12...Lb7 Phantasielos (siehe letzte Bemerkung). 13.a4! Nicht einmal Hartmut konnte mit diesem Zug etwas anfangen. Erst nach meiner Erläuterung, dass, obgleich einem nichts einfällt, gezogen werden muss - so sagen es die Regeln, war ihm auf einmal alles klar. Eigentlich war meine Traumstellung erreicht und ich hätte meinem Gegenüber gerne gesagt: "Mach doch erst mal ein paar Züge ... ich greife später wieder ein." Aber, was zieht man, wenn man ziehen muss und nicht so recht weiß, was man ziehen soll? Richtig, einen Randbauern! 13...Se4 14.a5 Tb8 Mit b5 hätte er den kecken Ba5 eher früher als später gewinnen können. 15.axb6 axb6 16.Ld3 Gewieft und hinterhältig. Neben Kh1 so ziemlich der einzige Zug, der wieder eine meiner Fallen aufstellt. In solchen Stellungen deckt man den Se4 mit Sdf6. Danach stellt Weiß mittels Sxe4 eine Figur ein. Doch halt! Der Springer auf f6 verhindert, dass die schwarze Dame nach Sg5 eben diesen nehmen kann. exd3 ist nun wegen Sxf7 übel. Folglich kann Weiß den Bauern auf e4 nach Sg5 mit Sgxe4 wegschnabulieren und steht gut, was allerdings aus schachpsychologischer Sicht untragbar wäre. Deshalb muss ich hier meinem Gegner danken, dass er nicht mitspielte. 16...f5 17.Se2 g5 18.Lc3! Man sieht es ihm nicht an, 31 Züge später gewinnt dieser Läufer von diesem Feld aus die Partie. Wenn man bedenkt, dass in dieser, meiner Partie, die wohl tiefste psychologische Kombination der gesamten Schachgeschichte zur Anwendung gelangt, so darf's niemanden wundern, dass mich dies nicht unerheblich mit Stolz erfüllt. 18...g4 19.Sd2 Dh4 20.g3 Dh3 Natürlich wäre Sf4 schachlich gesehen stärker gewesen, doch muss man bedenken, dass
a) meine Kombination gefährdet gewesen wäre,
b) das mittlerweile erfolgte 3:0 der Dreiländereckler zu deren Mannschaftssieg noch nicht reichte
c) in der Landesliga die Gegner aus dem nahen Umkreis kommen, und
d) Hartmut meine Stellung noch zu gut fand.
21.Lxe4 fxe4 22.Tfe1 Te6 23.Sf4!? Das Fragezeichen steht für Figurenverlust bzw. Matt, das Ausrufezeichen für angewandte Psychologie. 23...Lxf4 24.exf4 Um das Matt, welches mit La6 eingeleitet werden kann zu verhindern, müsste schon Ta1 geschehen. Doch es widerstrebt mir im Innersten, mit einem Klötzchen weniger zu spielen. Zudem kann man hier - übrigens erstmals seit Lasker - Schachpsychologie der Extraklasse bewundern. Schwarz, völlig siegessicher - sozusagen: jeder Zug gewinnt - denkt nicht mehr an Gegenwehr des Weißen. Gedankenlos wird Matt gesetzt. 24...Th6? Also, La6 hätte mir tatsächlich den Garaus gemacht. 25.Ta1! Ab sofort wird Schach gespielt, die Psychologie hat das Ihre bereits geleistet. 25...Dxh2+ 26.Kf1 e3 27.fxe3 Dxg3 Entlässt den weißen König aus seinem Käfig. Das so sichere und von Schwarz ausgelassene schnelle Matt geht ihm nicht mehr aus dem Sinn. Noch immer, und das bis zum Schluss der Partie, gilt für ihn: "Egal was ich ziehe, die Partie ist gewonnen!" 28.Ke2 Dg2+ 29.Kd3 Th2 30.Dd1 Sf6 Dieser Springer auf f6 gefiel mir überhaupt nicht, deckt er doch alle Felder um den schwarzen König. 31.Tg1 Dh3 32.Sf3! Einfach weil mir der Zug gefällt. 32...Tg2 33.Sg5 Dg3 Alles psychologisch zu erklären, denn Txg1 verbietet sich, weil
a) Schwarz nach Damen- und Turmtausch nicht mehr schnell Matt setzen kann,
b) die besser stehende Partei der schwächeren keinen entlastenden Tausch erlauben sollte, und
c) Kuppenheim bei einem zu erwartenden Verlust meinerseits wohl sicher absteigen würde.
34.Th1 Lc8 35.Ld2 Lf5+ 36.Kc3 Nach kurzem Überlegen. Nirgends steht er besser! 36...Se4+ Endlich ist der von f6 weg, und das endgültig. 37.Sxe4 Lxe4 38.Th6 Beginn des Gegenangriffs. Egal ob etwas droht oder nicht, jeder fühlt sich verunsichert, wenn so ein gegnerischer Turm dicht am eigenen König auftaucht. 38...c5 39.Ta7 Da ist schon der zweite! 39...cxd4+ Er treibt meinen König dahin, wo er gerne hingeht. 40.Kxd4 Df2 41.Lc3 Und wieder ist er auf dem Siegesfeld! 41...Tg3 42.Dd2 Df1 Nur nicht tauschen, dann gibt es nämlich kein schnelles Matt mehr. 43.Ke5 Dc4 44.Dd4 Db5 Wie bereits gesagt, tauschen oder Matt setzen. Mein Gegner entscheidet sich für Matt setzen. Wie man leicht sehen kann, liegt meine Spielweise eher beim Tauschen. Aber wenn ich nicht darf: 45.Tg7+ Und da wäre das Matt! 45...Kf8 [ 45...Kxg7 46.Kd6+ Kxh6 ( 46...Kg8 47.Dg7# ; 46...Kf7 47.Df6+ Ke8 48.De7# ) 47.Dg7+ Kh5 48.Dg5# ] 46.Kf6 Dc6+ 47.Kg5 Lg6 48.Lb4+ Ke8 49.De5+ und aufgegeben. Dies ist ein für mich typischer Sieg.
1-0



   Mein Gegner überspielt mich klar, greift jedoch kurz vor dem Ziel fehl. Gewonnen ist die Stellung für ihn noch immer, doch, enttäuscht durch das Auslassen des schnellen Gewinns, verfehlte er diesen zuletzt im 44. Zug. Die Partie wurde von mir unverdienterweise gewonnen, und ich hoffe, dass mein Gegner, sollte er diese "Analyse" lesen, Spaß versteht.


zur Partienübersicht