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Computerkarate

Routine


Rochade Express, Nr. 66, Seite 20f, "Computerkarate"
von Alexander Hatz

   Ziemlich genau 16 Jahre hat es gedauert, bis ich meine Schachkünste erstmals so richtig gewinnbringend in die Waagschale werfen konnte. Zwar nahm ich im Laufe der Zeit schon an einigen Turnieren mit lukrativem Preisfonds teil, doch ernsthaft kommen für unsereins die richtigen Preisränge selten bis gar nicht in Reichweite. Außer einem Scherenschleifer im Wert von damals 55 DM, den ich beim Schachkongress in Donaueschingen für meinen Aufstieg ins Meister 13 entgegennehmen durfte, oder dem einen oder anderen "Zehner" bei einem Blitztumier, spülte mir mein Hobby kaum Üppiges in die Kasse. Doch ein einziges Mal sollte alles ganz anders kommen: Beim "Pentium Prozessor"Schachwettbewerb am 15. September in Mannheim durfte ich als "bester Spieler des Tages" den Hauptpreis, ein Intel Pentium-Prozessor Board, im Wert von 1800 DM in Empfang nehmen.

   "Pentium Prozessor-Schachwettbewerb, Mannheim, was ist denn das für eine Geschichte?" werden sich die meisten jetzt fragen. Nun, ihren Anfang nahm die Geschichte damit, dass sich einst Kasparow und Short von der FIDE lossagten und ihre eigene Schachorganisation PCA gründeten. Als Hauptsponsor der PCA gewannen sie den Computerriesen Intel, der den meisten als Prozessorschmiede für 386er- bzw. 486er-Computer ein Begriff sein dürfte. Neuestes Kind der Entwicklung ist der Pentium-Prozessor. Was liegt nun näher, als auf diesem Wunder der Technik ein Schachprogramm laufen zu lassen und dies gegen die Weltelite ins Rennen zu schicken. So geschehen im Mai in München beim Intel Express Challenge Blitzturnier. Als Schachprogramm nahm man natürlich nicht ein x-beliebiges, sondern Fritz3, das beste Stück aus dem Hause ChessBase. Der Rechner lehrte den GM haufenweise das Fürchten und belegte am Ende punktgleich mit Kasparow den ersten Platz. Im Stichkampf setzte sich der Weltmeister aber letztlich deutlich mit 4:1 durch.

   Damit nun auch das gemeine Volk ausprobieren konnte, wie mächtig stark der Fritz und wie schnell der neue Pentium ist, fand im Rahmenprogramm der erste sogenannte Pentium Prozessor-Schachwettbewerb statt. An zehn Rechnern hatte jeder die Möglichkeit, in einem Duell mit dem Computer auszuprobieren, ob er der puren Rechenkraft noch standhalten kann. Dabei erhielt der Rechner zehn Minuten Bedenkzeit, der Mensch zwölf Minuten. Als Anreiz gab es für die Teilnehmer zahlreiche Preise. Jeder Fritz-Bezwingcr bekam ein Fritz)-Programm, der beste Spieler des Tages, sprich der Sieger mit der kürzestenGewinnpartie, eine Video-Machine aus dem Hause Intel. Da ich zusammen mit Hartmut, den Intel als Pressechef engagiert hatte, in München das ganze Blitz-Spektakel beobachten durfte, probierte ich natürlich auch mein Glück. Mit einer bei einem meiner Vorgänger abgeschauten Eröffnungsfalle bezwang ich Fritz nach 58 Zügen. Für den Hauptpreis reichte dies selbstverständlich nicht. Dieser ging an IM Otto Borik, der nach 25 Zügen zum Sieg kam. Das war mir zu diesem Zeitpunkt auch egal, hatte ich doch immerhin ein Fritz-Programm und ein Intel-T-Shirt abgestaubt - mehr als ich mir in München erhofft hatte.

   Einige Wochen später war in der Rochade Europa zu lesen, was für ein großartiger Erfolg die Veranstaltung in München doch gewesen wäre, und dass Intel weitere Wettbewerbe dieser Art durchführen wolle. Einer sollte im September in Mannheim stattfinden, als Hauptpreis gäbe es ein Pentium Board. Das war natürlich Musik in meinen Ohren. Seit 1988 werkelte bei mir zu Hause ein mittlerweile hoffnungslos veralteter Atari-Computer. Ein Pentium, ja sowas wollte ich schon immer mal haben... Sofort habe ich Hartmut darauf angesetzt, mir bei Intel den genauen Termin zu besorgen. Als hochgeschätzter Ex-Pressechef war das erwartungsgemäß kein Problem für ihn. Am 15. September sollte der Wettbewerb im Media-Markt in Mannheim stattfinden. Da ich aber leider nicht die Spielstärke eines Kasparov besitze, war nun eine spezielle Vorbereitung angesagt. Hierzu besorgte ich mir die letzten Ausgaben der Zeitschrift "Computerschach und Spiele", die sich mit sämtlichen Stärken und Schwächen der sich auf dem Markt befindlichen Schachcomputer beschäftigt. Hier fand ich zum Glück einige nützliche Hinweise, allen voran einen Artikel "Computerkarate" von Dieter Steinwender, in dem der Stonewall-Aufbau im Anzug als beste Waffe gegen die Elektronenhirne angepriesen wurde. Der Autor belegte dies auch mit einigen eigenen interessanten Partien. Schließlich durfte ich an Jürgen Raubs PC noch ausprobieren, ob meine Taktik aufgeht. Sie ging. Fritz2 erwies sich auf dem Raubschen 486er als erfreulich ausrechenbar, der Stonewall als ein optimaler Aufbau.

   Endlich war es soweit. Donnerstag, der 15. September, Media-Markt Mannheim, 15 Uhr. Doch schon nach wenigen Augenblicken zogen schwarze Wolken an meinem zuvor noch so blauen Pentium-Himmel auf. Einerseits war ich offenbar nicht der einzige "Profi", der sich Hoffnungen auf den Hauptpreis machte, denn mit IM Roland Schmaltz (Zähringen). Stefan Schmidt (Viernheim) und Lutz Wind (Chaos Mannheim) fielen Mir gleich ein paar Bekannte aus der badischen Schach-Szene auf. Und andererseits, was noch viel schlimmer war, als Computer-Programm kam Fritz3 zum Einsatz und nicht mehr, wie in damals in München, der schwächere Fritz2. Dies machte mir auch gleich ein paar Varianten zunichte, mit denen Fritz2 noch wegen Schwächen in der Eröffnungsbibliothek leicht über den Tisch zu ziehen war. Es blieb also nur noch der Stonewall: Zentrum abriegeln und am Königsflügel den Angriff so fahren, dass es für den Rechner bereits zu spät ist, wenn er es bemerkt. Doch, hat er erst den Braten gerochen und man baut auch nur die kleinste Ungenauigkeit ein, so hat man keine Chance mehr. Genau dies geschah auch in der ersten Partie. Glücklicherweise war der Publikumsandrang nicht so stark, und man konnte sich nach einer kleinen Pause erneut ans Brett setzen. Diesmal lief es besser. Mit einer vorbereiteten Variante gelang es mir, einen Bauern zu gewinnen. Doch auch dies reichte nicht zum Sieg. Plötzlich wurde es laut. Lutz Wind erreichte ein Remis und war somit erster Kandidat für den Hauptpreis. Im nächsten Durchgang gelang ihm mit der gleichen Variante sogar ein Sieg! Der Pentium war in weite Ferne gerückt. Schwacher Trost hierbei war immerhin, dass auch die anderen Koryphäen Schmaltz und Schmidt erfolglos operierten. Übrigens beide mit dem Stonewall - auch in Mannheim kennt man die "Computerschach und Spiele". Leider setzte ich auch die beiden nächsten Partien irgendwie in den Sand. Daraufhin stand ich schon frustriert unten auf dem Parkplatz und wollte die Rückfahrt antreten. Doch dachte ich mir: "Das kann es doch nicht gewesen sein. Jetzt fahr' ich extra hierher und muss, nur mit dem obligatorischen Intel-T-Shirt ausgestattet, wieder nach Hause fahren?" Einen Versuch wollte ich noch unternehmen, vielleicht wieder die Bauerngewinnvariante spielen, remis machen und als Rundensieger wenigstens noch einen Fritz2 ergattern... Also Kommando zurück und wieder an den Rechner gesetzt. Doch da ertönt vom Turnierleiter die Stimme: "Wir kommen nun zur letzten Runde. Bitte geben sie den Teilnehmern noch eine Chance, die heute noch nicht zum Zug kamen." Enttäuscht erheben sich Schmaltz (der hatte immerhin schon einen Sieg geschafft, aber zu viele Züge gebraucht), Schmidt und ich von den Stühlen. Doch glücklicherweise wollte keiner der Kiebitze teilnehmen, so dass wir drei flugs wieder am Brett saßen. Bei mir entwickelte sich folgende Partie:











Hatz - Fritz3/Pentium 90 MHz
Pentium-Prozessor Schachwettbewerb Mannheim, 1994

1.d4 Sf6 2.e3 e6 3.Ld3 d5 4.f4 c5 5.c3 c4 6.Lc2 Ld6 7.Sd2 0-0 8.Df3 Ld7 9.Se2 Lc6 10.g4 Dc7 11.Tg1 Td8 12.h4 Te8 13.h5 b5 14.Sg3 b4 15.g5 bxc3? 16.gxf6 cxd2+ 17.Lxd2 Sd7 18.fxg7 Kxg7 19.Sf5+ Kh8 20.Sh6 Sb6 21.f5 f6 22.fxe6 Txe6 23.0-0-0 Tf8 24.Sf5 Zu diesem Zeitpunkt kam Kommentator GM Helmut Pfleger ans Brett und meinte, dass diese Stellung ja sehr gut aussähe. Das wusste ich allerdings auch selbst. Das Problem dabei ist eben, dass man sich keine Schwäche erlauben darf. Bei vier vorhergegangenen Mißerfolgen hatte ich dies nur zu oft erfahren. 24...Tf7 25.Tg4 Te8 26.Tdg1 Lh2 27.T1g2 Ld7 28.h6 Tff8 29.Tg7 Lc8 [ Es drohte zum Beispiel 29...Ld6 30.Txh7+ Kxh7 31.Se7+ f5 32.Tg7+ Kxh6 33.Tg6+ Kh7 34.Dh3# ] 30.Txc7 Lf4 und gleichzeitig aufgegeben. 1-0



   Nachdem Fritz die Waffen gestreckt hatte, wanderte mein Blick zunächst gespannt auf die Zuganzeige. Was ich dort sah, ließ mich beinahe vom Stuhl fallen: Ich hatte die bestehende Tagesbestleistung um vier Züge unterboten - der Pentium war mein! Die Enttäuschung bei Lutz Wind war natürlich groß, hatte er sich doch gerade vom Intel-Abgesandten ausführlich das Board erklären lassen als mein Jubelschrei dazwischenfuhr. Tja, so spielt das Leben... Wenige Tage später kam das sehnsüchtig erwartete Teil dann per Paketdienst bei mit zu Hause an. Inzwischen hat es sich der Pentium auf meinem Computertisch gemütlich gemacht, den alten Atari konnte ich günstig verkaufen. Folgen hat dies natürlich auch für den "Rochade Express", kann dieser doch nun auf einer wesentlich leistungsfähigeren Hardware erstellt werden. Dass der "Rochade Express" mit dieser Ausgabe mit einem leicht veränderten Erscheinungsbild daherkommt, hat der eine oder andere vielleicht auch schon bemerkt...


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