Startseite Rochade Kuppenheim

Von Einwegspritzen und Giftspitzen

Eine Schachrezension und ihr Echo

von Harald Fietz, März 2001

mehr Schachtexte von Harald Fietz

   Garri Kasparow wurde gegen Ende des letzten Jahrhunderts in russischen Schachkreisen der Spitzname die „Einwegspritze" verpasst. Der Weltmeister des eigenen Verbandes versuchte verzweifelt, die Organisation eines WM-Matches zu bewerkstelligen. Doch in fremden Revieren gelten andere Anforderungen und ein Anlauf nach dem anderen floppte, bis sich Braingames - angetrieben vom berühmt-berüchtigten Raymond Keene - erbarmte.

   Raj Tischbierek übernahm im Jahrzehnt nach der Wende die Zeitschrift „Schach" und etablierte ein angesehenes Forum der Schachberichterstattung. Buchbesprechungen gehören nicht zu den regelmäßigen Beiträgen, und der Chefredakteur probiert sich selten in dieser Rubrik. Nur besondere Anlässe verleiten hier, zur Tastatur zu greifen. Insbesondere wenn mit einigen giftigen Spitzen nicht verwundene Enttäuschungen gelindert werden können (Hartmut Metz berichtet demnächst dazu).

   Dass man sich als Buchautor der Öffentlichkeit stellt und mit Kritik umgehen muss, ist eine unbestrittene Binsenweisheit; dass aber ein Schreiber, der professionell seinen Broterwerb damit verdient, Mindestanforderungen einer Rubrik nicht erfüllt und die Information des Lesers hinten anstellt, ist unverzeihlich.

   Nach dem untenstehenden - an die Redaktion übermittelten - Statement erscheint mir eine weitere Diskussion müßig, die Giftspitzen sollten eine Einwegangelegenheit bleiben:

Sehr geehrter Herr Tischbierek,

sicher lässt sich über Geschmack trefflich streiten, deshalb leben wir in einer Demokratie. Aber Geschmacksfragen sollen in einer Buchbesprechung nur dann einen Platz finden, wenn die elementaren Anforderungen einer Rezension abgearbeitet wurden. Und gerade für einen Macher einer Zeitschrift mit "Tradition und Anspruch" sollte die Beherrschung des Metiers eine Selbstverständlichkeit sein. Für eine Buchkritik gilt zuerst die Leitlinie: Fakten besitzen oberste Priorität, denn schließlich soll der Leser wissen, was besprochen wird. Warum aber ist es wichtiger, dass Sie Wertdruckpapier mehr schätzen, wenn Sie keinen Hinweis auf das tatsächlich verwendete Papier, nämlich hochwertiges Kunstdruckpapier, geben? Warum erfährt der Leser nur vage, dass es rund 200 Fotos beziehungsweise Karikaturen gibt, wenn Sie schon bei Organisator Hans-Walter Schmitt bis 16 und Garri Kasparow bis 30 zählen konnten? Ist der Umstand, dass alles Farbfotos sind, keine Silbe wert? Wo bleiben Angaben, wie viele Partien dargeboten werden, wie viele davon kommentiert sind?

Wer einen Maßstab anlegt, sollte auch seinen Zollstock zeigen - falls er denn richtig geeicht ist. So aber schaffen Sie es, in drei Spalten Widersprüche von „diesmal stimmt nahezu alles" und „perfekt gestylt" zu „nicht unerheblicher Kritik" zurück zu „kleine Kritikpunkte" zu erzeugen. Eine abschließende Bewertung ist schwer zu erkennen, da Sie mitten im Artikel diffus von einem „Zeitgeist" sprechen, ohne Stellung zu beziehen, ob das ein positives oder negatives Phänomen ist.

Absolut hanebüchen erscheint der abschließend präsentierte Kausalzusammenhang, dass die Verdienste der Turnierplanung 2001 die kleinen Kritikpunkte „überstrahlen". Das eine hat wohl mit dem anderen nichts zu tun, passt aber in den Gesamteindruck, dass eine Gemengelage zwischen Buchbesprechung und Leitartikelkommentierung die eigentliche Intention gewesen war. Welches Urteil soll sich der Leser mit diesem kryptischen Fazit bilden?

Schon der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann wusste, dass drei Finger auf einen selbst zurückzeigen, wenn man auf jemanden deutet. In diesem Sinne ist nicht nur Ihr Rosinenpicken von Formulierungen gegen Ende der Buchbesprechung eine unqualifizierte Sprachmäkelei, oder kann man auf den Brett „erwartungsgemäßig ein Blutbad anrichten", wie Sie in Ihrer Bundesligaberichterstattung schreiben (Schach, Nr.3, S. 48)?

Vielleicht können Sie bei Ihrem nächsten stärker versuchen, den Anspruch einzulösen, den Leser differenzierter durch das Angebot zu führen. So erfährt der potenziell interessierte Schachfreund insgesamt viel über ihren Geschmack, aber an keiner Stelle, welchen Nutzen er aus den 360 Seiten ziehen kann und was ein Kriterium für oder gegen den Erwerb des Buches ist. Konstruktive Hinweise sind besser als bloße Jammerei - dann klappt's in Zukunft auch mit „Tradition und Anspruch".

Harald Fietz


Lieber Herr Fietz,

vielen Dank für Ihre Zeilen, an denen mich freut, dass sie an mich persönlich gerichtet waren und denen ich die leise Hoffnung entnehme, dass unsere Anschauungen - beträfen sie nicht Ihr eigenes Werk - gar nicht so weit auseinander gehen würden.

Lassen Sie mich kurz auf Ihr Schreiben eingehen. Schwach finde ich daran besonders Ihr Hauptargument: dass der Leser nur ungenügend über den Inhalt des Buches informiert werde. Gleiches tat ich aber in einer recht umfangreichen Aufzählung. Vergaß ich dabei zu erwähnen, dass die Fotos bunt sind? Habe ich die Partien nicht gezählt? Wollten Sie also ein dünn kommentiertes Inhaltsverzeichnis?

Mehr oder weniger kleine Seitenhiebe auf Schmitts Selbstdarstellungswahn (u. a. Fotos) leiste ich mir schon seit Jahren, auch im Gespräch - fragen Sie ihn selbst. Im Buch klingt davon nichts an. 16 Fotos eines Organisatoren, für Sie ist das normal? Und: Sind meine Einschätzungen nicht relativ klar strukturiert: perfekt das Äußere und die Dokumentation, kritikwürdig die Sprache, die kleine Kritik bezieht sich auf eben jenen Wahn? Ein Schwachpunkt mag sein (dazu neige ich leider), zu viel vorauszusetzen, dem unvorbereiteten Leser keine hundertprozentige Handhabe zu liefern.

Was sollen Hinweise auf „Schach"-Fehlbarkeit (die ich in keiner Weise leugen) im Zusammenhang mit dem Buch? Relativ klar wird, was Sie wirklich geärgert hat und mitunter im Ton etwas abgleiten lässt.

Auf Ihren Heinemann möchte ich mit dem etws kürzeren Heine entgegnen, der sinngemäß einmal schrieb, dass der Hass seiner Feinde stets die beste Bürgschaft dafür sei, dass man sein Amt recht gut verwalte. Feindschaft - soweit möchte ich es aber keineswegs kommen lassen. Da wir beide aus Berlin sind, lade ich Sie gern einmal zu einem Kaffee ein, um neben der Buchgeschichte vielleicht auch meine „Aversionen" zu erläutern, zu denen mich Ihre Ansichten durchaus interessieren würden.

(...)

Mit freundlichen Grüßen

Raj Tischbierek (7.3.)


Sehr geehrter Herr Tischbierek,

besten Dank für die prompte Antwort. Ihr Angebot, sich auf ein Gespräch zu treffen, ist bestimmt eine gute Gelegenheit, um verschiedenste Blickwinkel wahrzunehmen.

(...)

Vorab einige kurze Gedanken zu dem, was Sie den „Selbstdarstellungswahn" nennen. Ich habe in meiner beruflichen Praxis viel mit Entscheidungsträgern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft zu tun, sowohl für den Senat von Berlin, die Hauptstadtmarketinggesellschaft, die EU und in verschiedenen Hauptstädten Mittel- und Osteuropas. Von einer Freundin, die im Organisationsteam der Berlinale mitarbeitet, habe ich Einblicke in die Kulturszene. Vor diesem Hintergrund relativiert sich die von Ihnen angesprochene (Selbst-)Präsentation Hans-Walters gewaltig und die Vokabel „Wahn" ist m.E. ungeeignet. Vielmehr ist die Kaprizierung auf diese Seite des „Geschäfts" das Wandeln auf einem Nebenschauplatz. Wenn es um die Einschätzung der Organisationsleistung in Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des unbestritten herausragendsten Schnellschachturniers geht, dann fallen mir vielmehr neudeutsche Begriffe wie networking, capacity-building, empowerment etc. ein (ich hoffe, das bringt keine Rüge von Innensenator Werthebach ein, oder?), um Erfolgsbedingungen zu orten und genau das wurde an verschiedene Stellen des ersten und letzten Beitrag im FCC-Buch versucht. Den Fokus auf Äußerlichkeiten einzustellen verkennt den Kern der Sache und hätte auf dem knapp bemessenen Platz der Rezension nicht per se stattfinden müssen.

Vielmehr hätte beispielsweise auf die Ansichten von Matthias Wüllenweber eingegangen werden können, die zu diesem Themenbereich ohne Zweifel einen Insidereinblick offerieren. Die Bewertungen „begrenzter sprachlicher Mittel" und Ausdrücke wie „Launigkeit" und „plump" hätte ich wirklich gerne durch prägnantere Beispiele belegt gesehen. Ich denke, Hartmut wird dazu diese Woche auch noch Stellung beziehen. Abgesehen, dass ich dieses Urteil für verfehlt halte, möchte ich darauf hinweisen, dass ich die Auffassung vertrete, dass die Vorspänne zu den Partien und Stellungsdiagrammen - und davon gibt es ca. um die 200 ! - durchaus einmal einen lockeren Ton haben dürften, denn schließlich ist die „Hohe Schule der Kombination" in „Schach" schon seit 1982 Quelle meiner Inspiration.

Was angemahnte Mängel der Buchbesprechung betrifft, so wären diese durch simple Recherche zu beheben gewesen: die Buchanzeige benannte die Anzahl der Bilder und Karikaturen, die Anzahl der Partien wäre u.a. auf der Kuppenheim-Homepage zu finden gewesen, die Anzahl der kommentierten Partien ist im Index einsehbar und ...

(...)

Mit besten Grüßen

Harald Fietz (8.3.)


Links zum Thema:

der offene Brief von Hartmut Metz an Raj Tischbierek

zur Rezension von Raj Tischbierek

Vorstellung des FCC-Buches


zur Figo