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Oscar für Akobians Schiedsrichter

MTV-Star in Canberra zum Turniersieg gezwungen

Von FM Hartmut Metz, 2. August 2008

 

Hollywoodreif ist der 46. O2C Doeberl Cup in Canberra zu Ende gegangen. Einer der Hauptdarsteller: Der im Vorjahr durch seine Filme beim Musiksender MTV berühmt gewordene Varuzhan Akobian. Dabei schien der in Nord-Hollywood lebenden gebürtigen Armenier zunächst die Rolle eines Statisten zugeteilt bekommen zu haben. Der US-Amerikaner mit einer Elo von 2599 patzte bereits in der ersten Runde im "Premier". Im mondänen Hellenic Club am Rande der australischen Hauptstadt knüpfte ihm eines der vielen Aussie-Talente gleich ein Remis ab! Doch das Unentschieden erwies sich, wie in manch schlechtem Filmstreifen, als ein gutes Omen. Max Illingworth war schon bei den Malaysian Open ein Auftakt-Remis gegen Li Chao geglückt. Der chinesische Großmeister marschierte anschließend zum Turniersieg.

Nicht anders Akobian. Der US-Nationalspieler reihte fortan einen Sieg an den anderen. Nach sechs Runden lag der 25-Jährige mit 5,5 Punkten alleine in Front. Nach neun Runden hatte er dank freundlicher Unterstützung der remisierenden Verfolger mit 7,5 Zählern einen ganzen Punkt Vorsprung vor der Meute. Die umfasste gleich sieben Akteure: Der Inder Surya Ganguly und Gawain Jones (England) wurden dank ihrer Buchholzwertung mit Silber und Bronze dekoriert. Dahinter erhielten überdies der für Singapur spielende Chinese Zhang Zhong, Merab Gagunaschwili (Georgien), Dejan Antic (Serbien), der australische Meister Stephen Solomon und Atanas Kizov (Mazedonien) jeweils 907 Dollar (umgerechnet rund 530 Euro). Akobian strich zunächst 4.000 australische Dollar (rund 2.340 Euro) ein.

"Ich hörte nach der Partie gegen Illingworth davon, dass er bei den Malaysian Open auch zum Auftakt gegen den späteren Turniersieger remisierte", erzählte der Großmeister aus Los Angeles und ergänzte, "ich war folglich wegen dieses Vorzeichens optimistisch!" Der MTV-Star, der in der Filmmetropole nach seinen Spots "häufig auf der Straße angesprochen wurde", glaubt: "Ich habe den Sieg in Canberra verdient. Ich spielte am besten und zeigte Kampfschach. Lediglich gegen Zhang Zhong teilte ich schnell den Punkt." Wobei richtig schnell nichts ging in Canberra. Die Organisatoren des bis dahin stärksten Turniers aller Zeiten auf dem fünften Kontinent hatten die vor Jahrzehnten geltende 30-Zug-Regel revitalisiert. Nur unter Hinzuziehung des Schiedsrichters konnte vorher ein Friedensschluss vereinbart werden. Eine Regel mit Folgen!

Unter den Zweitplatzierten klagte ausgerechnet der nominell Schwächste mit 2398 Elo lauthals. Noch Stunden nach seinem letzten Zug lief Kizov kopfschüttelnd durch den Hellenic Club. Das garnierte der IM immer wieder mit nur zwei Worten: "Katastrophe! Katastrophe!" Den Trainer der mazedonischen Nationalmannschaft trieb seine letzte Partie in die Verzweiflung. Den Israeli Igor Bitansky hatte Kizov völlig überspielt. Der Übergang in ein Läufer-Endspiel mit zwei verbundenen Mehrbauern versprach den vollen Punkt! Doch wegen des falschen Randbauern konnte sich Bitansky nach Leibeskräften wehren und zog noch den Kopf aus der Schlinge (die interessante Partie ist leider wie so viele in Canberra nicht überliefert). Anstatt mit sieben Punkten alleiniger Zweiter hinter Akobian zu werden, ging der Mazedonier mit 6,5 Punkten über die Ziellinie. 2.500 Dollar (rund 1.460 Euro) Preisgeld hätten für ihn daheim fast ein halbes Jahresgehalt dargestellt.

Die 907 Dollar waren dagegen für den drittplatzierten Jones mehr, als er verdient hatte. Der englische Großmeister hatte zum Beispiel gegen Wadim Malachatko in der siebten Runde "gehofft, irgendwie eine Festung aufzubauen". Mit zwei Türmen und drei Bauern am Königsflügel versuchte er gegen Dame, Turm und zwei Bauern des Wahl-Belgiers zu bestehen. Malachatko wickelte in ein Endspiel mit Dame und zwei verbundenen Bauern gegen zwei Türme ab. Sieg für ihn? Nein. Also Remis! Nein! Jones gewann nach 109 Zügen dieses Drama, das Malachatko offenbar auch für das folgende Turnier in Sydney einen Knacks gab. Seine Gattin Anna Zozulia überzeugte jedenfalls in beiden Wettbewerben mehr als ihr 256 Elo höher gewerteter 2600er-Ehemann, der in Diensten von Bundesligist Mülheim-Nord steht.

Mit Malachatko hatte die gewöhnungsbedürftige FIDE-Bedenkzeit von 90 Minuten plus 30 Sekunden pro ausgeführtem Zug einmal mehr ein Opfer gefunden. Weniger Probleme mit der Bedenkzeit hatte Akobian, der auch das Blitzturnier zu seinen Gunsten entschied. Sein Sieg über Darryl Johansen - der zu diesem Zeitpunkt noch zweite australische GM neben dem zurückgetretenen Ian Rogers - gefiel dem gebürtigen Kaukasier am besten. "Die Partie entsprach meinem Stil", befand der Turniersieger. Johansen geriet nach der Schlappe völlig aus der Bahn, nachdem er zunächst mit vier Siegen die Führung übernommen hatte. Akobian störte am Erfolg über den starken Inder Ganguly, "dass ich eine Gewinnstellung verdarb und die Begegnung ein zweites Mal gewinnen musste". Mit der durch den Doeberl-Cup-Sieg auf rund 2620 gesteigerten Elo-Zahl sieht der Spieler aus L.A. die anvisierten 2650 in Reichweite. "Er muss etwas mehr spielen", äußerte Live-Kommentator Rogers.

Ein rundum gelungenes Fazit zog Charles Bishop. Insgesamt 230 Teilnehmer im "Premier", "Major" und "Minor" sowie Kinderturnier bedeuteten für Canberra neuen Rekord. Besonders hatte es dem Turnierdirektor der Spielort, der moderne Hellenic Club, angetan. "Das ist hier großartig", lobte Bishop die großzügige Örtlichkeit, die zahlreiche Restaurants, Räume und auch einen Spielautomaten-Saal mit zahlreichen griechischen Säulen beherbergt. Der neue Organisator, der auch bei Sponsor O2C einen Direktorenposten innehält, versprach, mit seiner Gesundheitstraining und -beratung anbietenden Firma mindestens fünf weitere Jahre den Doeberl Cup zu unterstützen. "Wir wollen Schach in Australien auf ein neues Niveau heben", kündigte Bishop an und sieht sich dank der "exzellenten Kommentare von Ian Rogers, den Videoübertragungen und der erstmals begleitenden Turnier-Webseite" auf dem richtigen Weg. Das nächste Ziel besteht für den Manager darin, "einen 2700er nach Australien zu locken". Realer als der Traum schien ihm die Fortsetzung der Grand-Prix-Serie mit Sydney und Bangkok. Allerdings nahm nur Akobian an allen drei Open teil! Künftig könnte mehr als nur ein freier Tag zwischen dem Wettbewerb in der Hauptstadt und dem in Sydney liegen. Das würde auch eher zusätzliche deutschsprachige Spieler, die touristisch orientiert sind, ins Traumziel Down Under locken. Außer dem Berichterstatter war diesmal nur sein Kuppenheimer Vereinskollege Velimir Kresovic mit von der Partie. Letzterer verbuchte im "Premier" gute 5/9 (darunter ein Remis gegen Kizov) und damit einen halben Zähler mehr als sein schwach agierender Klubkamerad bei der Caissa-Rochade.

Kann Canberra vom Flair und den Sehenswürdigkeiten Sydney nicht das Wasser reichen, hat der O2C Doeberl Cup aber das Sydney International Open (SIO) deutlich ausgestochen. Das Feld war zwar etwas schwächer, doch die Spielbedingungen im Hellenic Club dafür um Klassen besser (siehe auch den Bericht über das SIO). Lediglich die Zeit, die bis zur Auslosung jeder Runde verrann, war unverhältnismäßig. Zu bemängeln sind auch die fehlenden Partien auf der Webseite. Der dafür zuständige Mitarbeiter kam laut Bishop seiner Aufgabe nicht nach. Begrüßenswert ist vor allem die 30-Züge-Regel. Sie sorgte nämlich für besondere Spannung. Am Morgen der letzten Runde führten die Großmeister Akobian und Antic im Flur ihres Hotels ein intensives Gespräch. Was das bei jeweils 6,5 Punkten und einem halben Zähler Vorsprung vor dem Rest bedeutete, konnte man sich an einem halben Finger ausrechnen! Warum sich der MTV-Star überhaupt darauf einließ, bleibt sein Geheimnis. 119 Elo mehr auf dem Konto, dazu Weiß - in jeder anderen Runde hätte Akobian den vollen Zähler anvisiert gegen den Gewinner der australischen Meisterschaft, der aber mangels Aussie-Pass nicht offizieller Titelträger wurde. So entwickelte sich aber eine Slawisch-Partie, in der sich schon nach langem Nachdenken im sechsten Zug die Zugwiederholung abzeichnete. Doch die beiden Führenden hatten die Rechnung ohne die Schiedsrichter gemacht. Bei ihnen stieß die laue Argumentation, die Zugwiederholung sei unvermeidlich, auf taube Ohren. "Weiterspielen!", lautete die oscarreife Anweisung in Richtung verdutzt dreinschauende Hauptakteure. So rang sich Akobian im elften Zug zu Lg5 statt der Läufer-Pendelei von f4 nach d2 und zurück (bei gleichzeitigem schwarzen Sh5 und Shf6) durch. Rechneten die Beobachter nun mit weiteren belanglosen 19 Zügen nebst Hervorkramen der Friedenspfeife, wurden sie positiv überrascht: Bald stand Akobian auf Gewinn und verdichtete diesen in 44 Zügen zum triumphalen Erfolg.

Der verärgerte Antic ward hernach bei der Siegerehrung nicht mehr gesehen! Akobian reckte derweil triumphierend den gewaltigen Doeberl-Cup in die Luft. 4.000 statt 3.250 Dollar für den geteilten ersten Platz eingestrichen? Weit gefehlt. Das nächste Turnier kam - und in Antics neuer Heimatstadt Sydney wurde Akobian von einigen serbischen Freunden (wie aus zuverlässigen Quellen zu hören war) dezent auf eine noch ausstehende Zahlung hingewiesen ... Bei einem Remis hätten beide 6.500 Dollar aufteilen dürfen, nun befanden sich lediglich 4.900 Dollar im Topf von A&A. Es lief eben wie in vielen Hollywood-Streifen: Die Gerechtigkeit siegt am Schluss doch, irgendwie ...

Australien Endstand Canberra 2008

Australien Canberra 2008
Sieger Varuzhan Akobian (links) mit dem Doeberl-Cup,
den er aber nicht mit nach Amerika nehmen durfte,
und der zweitplatzierte Inder Surya Ganguly
Australien Canberra 2008
"Katastrophe, Katastrophe", klagte Atanasas Kizov nach seinem "teuren"
Schlussrunden-Remis mit zwei Mehrbauern immer wieder
Australien Canberra 2008
Canberras schönste Seite: Die australische Nationalspielerin Arianne Caoili
studiert noch in der Hauptstadt ihres Landes. Die Freundin von
Lewon Aronjan will aber im Herbst ihr Studium in Deutschland fortsetzen


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