Topstars boykottieren neuen Grand PrixCarlsen gewinnt mit Außenseitern Gaschimow und Wang Yue Turnier in Bakuvon FM Hartmut Metz, 11. Mai 2008 |
"Ich wäre lieber ein Top-Fußballer", hat Magnus Carlsen noch während des Turniers in Baku bekannt. Die Gründe für seinen Wunsch ließ der 17-jährige Schach-Superstar aus Norwegen im Dunkeln, stand doch bei seinem Hobby eine Profi-Karriere "nie zur Debatte". Am Geld allein kann es jetzt nicht mehr liegen. Der neu geschaffene Grand Prix spült immerhin einen ordentlichen Batzen in die Kassen der Großmeister: rund 1,25 Millionen Euro. Carlsen hat sich mit seinem Sieg in der Hauptstadt Aserbaidschans bereits ein erstes erkleckliches Taschengeld von 24.167 Euro gesichert.
Das ist offenbar zu wenig, um die Topstars auf den 64 Feldern anzulocken. Weltmeister Viswanathan Anand (Indien) und seine zwei Vorgänger auf dem WM-Thron, Wladimir Kramnik (Russland) und sein verhasster Rivale Wesselin Topalow (Bulgarien), passten. Da auch Alexander Morosewitsch auf eine Teilnahme verzichtet, rauben die vier Führenden in der Weltrangliste dem Grand Prix den vom Schach-Weltverband FIDE erhofften Glanz. Nur der Russe Morosewitsch begründet seinen "Boykott mit der viel zu langen zweijährigen Dauer". Das verbleibende Trio hüllt sich in Schweigen, die Gründe liegen aber auf der Hand: Zum einen hat es schon Millionen gescheffelt, zum anderen konzentriert es sich auf den laufenden WM-Zyklus. Kramnik will im Oktober in Bonn Anand wieder den Titel abjagen. Topalow trifft Ende November auf Weltpokalsieger Gata Kamsky (USA). Der Sieger fordert anschließend den neuen Weltmeister zum nächsten Match heraus.
Als einziger scheint sich Kamsky zu sorgen, dass er aus dem WM-Karussell fliegt und dann 2010 mit leeren Händen dasteht: Denn nur der Gesamtsieger des Grand Prix und der nächste Weltpokalgewinner ermitteln den Kontrahenten des Weltmeisters. Deshalb trat der Amerikaner auch in Baku an, fand sich jedoch mit nur 6:7 Punkten im Mittelfeld der 14 Teilnehmer. Lediglich das neue Aushängeschild Carlsen wurde seiner Favoritenrolle gerecht in der Geburtsstadt von Garri Kasparow, der inzwischen in der russischen Politik aktiven Schach-Legende. Mit zwei Schlussrundensiegen konnte der Weltranglistenfünfte die Sensation durch Wang Yue und Wugar Gaschimow mildern. Der Chinese und der Aserbaidschaner hatten vor der letzten Partie das Feld angeführt, kamen dann aber nicht über Remis hinaus. Der schwach gestartete Carlsen schloss mit 8:5 Punkten auf und partizipierte so an den 72.500 Euro für die drei Erstplatzierten.
Gaschimow hatte einen der sechs Freiplätze erhalten, die auch die Ausrichter in Sotschi (Russland), Doha (Katar), Montreux (Schweiz), Elista (Russland) und Karlsbad (Tschechien) vergeben. "Ich versuche jedes Turnier zu gewinnen", hatte der Weltranglisten-42. während des Wettbewerbs getönt - und tatsächlich seine höher gewetteten Landsleute hinter sich gelassen. Die beiden auf Position sieben und acht der Welt geführten Schachrijar Mamedjarow (7,5:4,5) und Teimour Radjabow (6:7) mussten sich mit den Rängen vier und acht bescheiden.
Da sich die beiden dennoch für den kommenden Weltmeister halten, müssen sie auf den weiteren Stationen deutlich besser abschneiden. Jeder der 21 Teilnehmer darf nur bei vier der sechs Turniere am Brett sitzen. Auch wenn mit Anand, Kramnik, Morosewitsch und Topalow die ganz Alten - alle sind über 30 - fehlen, sollte man die "Senioren" nicht ganz abschreiben. Zumindest einer rechnet sich noch Chancen auf die mit 75.000 Euro dotierte Gesamtwertung bei "dieser großartigen neuen Turnierserie" aus: Der sechstplatzierte Russe Peter Swidler (6,5:6,5) "traut sich zu, den Grand Prix zu gewinnen - auch wenn die Zukunft gewiss den Radjabows, Mamedjarows und Carlsens dieser Welt gehört". Momentan deutet vieles auf den kometenhaft aufgestiegenen Norweger hin. Wenn "Carlsen vom Schach" dann den Weltmeister ablösen sollte, will dieser vielleicht auch nicht mehr "lieber Fußball-Profi" sein.
Kamsky hatte in Baku mit seiner glanzvollen Erstrunden-Kombination gegen Ernesto Inarkjew schon fast sein Pulver verschossen.
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Inarkjew (2684) - Kamsky (2726) [C95]
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