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Diemer greift an mit 17 Bauernzügen in Folge

Schillernder Schachgestalt gelingt mit 76 Jahren noch ein Meisterwerk (Teil III)

von FM Hartmut Metz, 3. Juni 2008

 

Als doppelter "Prophet von Muggensturm" ist Emil Joseph Diemer in die Schach-Geschichte eingegangen (dritter und letzter Teil): Der Meisterspieler, der vor 100 Jahren geboren wurde und in Baden-Baden aufwuchs, propagierte bedingungsloses Angriffsschach. Mit seinem nach ihm benannten Blackmar-Diemer-Gambit spielte er stets kompromisslos auf ein Matt - prophetisch gab sich Diemer allerdings auch leider abseits des Brettes. Während seiner Zeit in Muggensturm bis Ende der 50er Jahre wurde der Schachautor zunehmend verrückter.

Im Online-Lexikon Wikipedia heißt es vornehm zurückhaltend: "Nach dem Krieg wandte sich Diemer esoterischen Themen zu, insbesondere der Numerologie, der Reinkarnationslehre, Biorhythmen und den Prophezeiungen des Nostradamus." Die medizinische Diagnose über Diemer lautete 1965 bei der Unterbringung im Kreispflegeheim Fußbach klarer: "Prophetenwahn bei alter paranoid-halluzinatorischer Psychose". Linderung brachte der Aufenthalt dort nicht. Ans Schachbrett kehrte Diemer immerhin 1971 zurück. Der Vorsitzende des SC Umkirch, Uwe Stapelfeldt, hatte nicht nur gute Kontakte zum Kreispflegeheim im Gengenbacher Ortsteil Fußbach. Er schaffte es auch, die deutschlandweite Sperre Diemers - er hatte Verbandsobere heftig beschimpft - nach 18 Jahren aufzuheben.

Bei den Badischen Schachkongressen fielen seine Ergebnisse im hohen Alter zunehmend schwankender aus. In lichten Momenten konnte Diemer aber noch immer großes Schach zeigen! Sein vielleicht legendärster Sieg ist jener aus dem Jahre 1984, als der 76-Jährige mit Weiß beim Open in Nürnberg in den ersten 17 Zügen nur Bauern bewegte - und am Schluss dennoch in großem Stil gewann! Das Meisterwerk zählt zu den letzten überlieferten Partien der 1990 verstorbenen schillernden Schachgestalt.











Diemer - Heiling [B07]
Open Nürnberg, 1984

1.d4 Sf6 2.f3 d6 3.e4 g6 4.g4 Lg7 5.g5 Sfd7 6.f4 c5 7.d5 b5 8.c3 a6 9.h4 Sb6 10.h5 Mittlerweile sind zehn Züge geschehen - und Weiß hat bisher nur seine Bauern gezogen. 10...e6 11.h6 Lf8 12.a4!? exd5 13.a5 S6d7?! [ 13...Sc4 14.Dxd5 Ta7 verspricht Schwarz besseres Spiel.] 14.exd5 Le7 15.c4!? Zugegebenermaßen inzwischen etwas notorisch - aber 15 Züge nur Bauern zu ziehen, ohne schlechter zu stehen, ist beachtlich! 15...f6 16.cxb5 fxg5 17.f5 Diagramm Phänomenal! Der 17. weiße Bauernzug in Folge seit Partiebeginn! 17...gxf5 18.Dh5+ Schade! Aber jeder weitere Bauernzug hätte in den Verlust geführt, weshalb Diemer nun doch seine Figuren in die Schlacht wirft - und das vehement! 18...Kf8 19.Sf3 Tg8 20.b6 Lb7? [ 20...Sf6 21.Dh2 Sg4 aktiviert den Springer, wonach Schwarz klar besser steht.] 21.Sc3 Sf6 22.Sxg5! [ 22.Dh2!? Sxd5 23.Sxd5 Lxd5 24.Lg2 Lf6 25.0-0 Lc6 26.Le3!? führt zu einer zweischneidigen Stellung mit gewiss guten Chancen für einen Angriffskünstler wie Diemer.] 22...Sxh5 23.Se6+ Ke8 24.Sxd8 Sg3 25.Sxb7 Sxh1 26.Lf4 Tg6 27.0-0-0 Erstaunlicherweise steht der Nachziehende trotz der gewonnenen Qualität gefährdet. Vor allem das Figurenknäuel am Damenflügel mit dem schwachen Bauern auf a6 und dem unbeweglichen Turm auf a8 erweist sich als Bürde. 27...Sf2?! Eine weitere Ungenauigkeit. [ 27...Sg3 28.Ld3 ( 28.Lh3 Sd7 29.Te1 Kf7 30.Lxg3 Txg3 31.Lxf5 Sf6= ) 28...Sh5 ( 28...c4!? kommt in Betracht.) 29.Ld2 Sg3 30.Tg1 Sd7 31.Lf4 Se5 32.Sxc5! Lg5 33.Lxg5 Sxd3+ 34.Sxd3 Txg5 35.b4! bereitet Schwarz angesichts der starken Bauern Kopfzerbrechen.] 28.Te1 Kd7? [ 28...Kf7 leistet mehr Widerstand, auch wenn der Anziehende letztlich doch in Vorteil kommen sollte. 29.Kd2! Sg4 30.Te6! Se5 ( 30...Txe6 31.dxe6+ Kxe6 32.Lg2 Sd7 33.Sxc5+ dxc5 34.Lxa8+- ) 31.Txg6 Kxg6 32.Sxc5 dxc5 ( 32...Lg5 33.Lxg5 Sf3+ 34.Ke3 Sxg5 35.Se6 Sxe6 36.dxe6 Sc6 37.Lg2 f4+ 38.Kd2 d5 39.Sxd5 Td8 40.Kc3 Sxa5 41.b4 Sb7 42.Sxf4+ Kf5 43.Lxb7 Kxf4 44.e7 Te8 45.Lc6 Txe7 46.b7+- ) 33.Lxe5 Sd7 34.Lc7+- ] 29.Sb5! Diagramm 29...Se4?! Heiling bricht nun völlig zusammen. 30.Txe4! [ 30.Lh3 ist präziser, aber weniger schön.] 30...Tg1 [ 30...fxe4 31.Lh3+ Ke8 32.Sc7+ Kf8 33.Kd2! Tf6 34.Ke3 ] 31.Te1 Verpasst die Krönung mittels [ 31.Txe7+!! Kxe7 32.Lxd6+ Kf6 33.Sc7 Txf1+ 34.Kd2 Sd7 35.Sxa8+- ] 31...Txf1 Verzweiflung. [ 31...Lg5 32.Lxg5 Txg5 33.S5xd6+- ] 32.Txf1 axb5 33.Tg1 Kc8 34.Sxd6+ [ 34.Tg7! Kxb7 35.Txe7+ Ka6 36.Txh7 Kxa5 37.Ta7+ Txa7 38.bxa7 ] 34...Lxd6 35.Lxd6 Sd7 36.Tg8+ Kb7 37.Tg7 Kc8 38.Txh7 Txa5 39.b7+ Kxb7 40.Txd7+ Kc8 41.h7?! [ Gegen das Zwischenschach 41.Tc7+ Kd8 spricht nichts in der aber natürlich stets gewonnenen Stellung.] 41...Ta1+ 42.Kc2 Kxd7 43.h8D Kxd6 44.Dd8+ Ke5 45.d6 Eine wunderbare Partie nicht nur wegen der 17 einleitenden Bauernzüge! 1-0



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