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Houston, wir haben ein Schachproblem

Gregory Chamitoff erster Weltallmeister: Astronaut auf der ISS setzt sechs Bodenstationen matt / Magnetfiguren verboten - Klettverschlüsse als rettende Idee

von FM Hartmut Metz, 14. September 2008

 

Houston hat wieder ein Problem - der berühmte Satz aus der gescheiterten Apollo-13-Mission anno 1970 ist allerdings diesmal nicht lebensbedrohlich. Auf der Internationalen Space Station (ISS), die mit rund acht Kilometern pro Sekunde um die Erde rast, äußert sich das eher so, dass ein US-Astronaut verzweifelt eine Schachfigur sucht. "Einer meiner Türme verschwand für 24 Stunden spurlos", erzählte Gregory Chamitoff und atmete auf, als er das vermisste Plastikteil "in einem der Luftfilter im US-Labor fand".

Der Turmverlust war für Chamitoff kurzfristig ein herber Rückschlag. Mehr Grund zur Klage haben aber die sechs Bodenstationen, die an den Experimenten der "Expedition 17" beteiligt sind. In einer ersten Partie führte sie Chamitoff regelrecht vor. Dabei benötigte er nicht einmal die Hilfe der zwei Kosmonmauten aus der Schachnation Nummer eins, Russland. Während Oleg Kononenko und Sergej Wolkow, der der erste Sohn eines Kosmonauten ist, der seinem Vater ins All folgte, nur gelegentliche Blicke aufs Schachbrett in der ISS warfen, mussten sich die sechs Bodenstationen abwechseln.

"Greg hat damit sein Ziel erreicht, indem er uns klarmachte, dass wir ihn nur schlagen können, wenn wir als Team zusammenarbeiten", befand Heather Rarick, die verantwortliche Flugdirektorin der "Expedition 17". Die zweite Lektion erteilte Chamitoff seinen Kollegen in nur 30 Zügen. Dann streckten NASA&Co. in aussichtsloser Lage die Waffen. Mittlerweile hat die Revanche als Simultan begonnen: Damit der Vorteil für den Astronauten geringer ausfällt, müssen die sechs Bodenstationen nun nicht mehr abwechselnd ziehen. Chamitoff spielt daher gegen jede eine Partie, wobei er sich meist einen Tag Zeit lässt für einen Zug.

Der 46-Jährige, der am 6. August seinen Geburtstag auf der Internationalen Raumstation feierte, befindet sich seit 31. Mai auf seiner Mission. Ein halbes Jahr bis zum November kreist er mit den beiden Russen im Orbit, um zahlreiche Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen. Wegen dieser musste sich der Schachamateur, dessen Vater die Leidenschaft von Kindesbeinen an gefördert hatte, schon frühzeitig etwas einfallen lassen - schließlich sollten nicht alle 32 Figürchen als Geschosse durch die ISS fliegen. "Seit Expedition 6 habe ich mir Gedanken darüber gemacht", berichtete Chamitoff dem Magazin "Florida Chess", für das Redakteur Harvey Lerman ein Interview per E-Mail führte.

Sein auserkorenes Magnetschach durfte der Astronaut aber nicht mit auf die ISS nehmen. Sicherheitsexperten der NASA befürchteten technische Probleme an Bord durch die Magnete. Die Lösung lautete danach: Klettverschlüsse der Marke Velcro. Unter neu erworbene Plastikfiguren brachte Chamitoff "zu später Stunde an einem Wochenende" auf der ISS die mühsam zurechtgeschnittenen Klettverschlüsse an. "Die hohlen Plastikfiguren waren auch leichter", erzählte er von einem Gewichtsvorteil, weil jedes Crewmitglied nur wenige persönliche Dinge mitnehmen darf.

Auf der Erde ist die Frage derzeit offen, ob Weltmeister Viswanathan Anand, sein Herausforderer Wladimir Kramnik, der 17-jährige Magnus Carlsen oder gar ein anderer am stärksten spielt - im Universum ist die Lage dagegen eindeutig. "Ich halte Ausschau nach Außerirdischen, die Schach spielen", berichtete Chamitoff mit einem Augenzwinkern. Bis er fündig wird, trägt aber nur einer den Titel als Weltallmeister!

Nachstehend die erste Partie, in der Chamitoff mit einer gewissen Unbeschwertheit die NASA&Co. in die Knie zwang.











ISS Crew - NASA [D00]
Universums-Meisterschaft Weltall / Houston, 08.2008

1.d4 d5 2.Sc3 c6 3.Lf4 Sf6 4.Sf3 Sbd7 5.e3 e6 6.Se5 Da5 7.Ld3 Sxe5 8.Lxe5 La3!? Ein ungewöhnlicher, aber spielbarer Zug. 9.Dc1 Lb4 [ Interessant ist 9...Sd7 10.Lxg7 Tg8 11.Lh6 Txg2 12.Kf1 Tg4 13.Tg1 Txg1+ 14.Kxg1 Le7 mit einer ausgeglichenen Stellung. Weiß sollte sich nicht auf h7 bedienen, weil der Bauernraub nur zu einem verstärkten Angriff des Gegners auf der h-Linie führen könnte.] 10.0-0 b6?! Leitet eine falsche Idee ein. [ 10...0-0 kommt in Betracht. 11.Lxf6 gxf6 12.De1 f5 13.f4 Le7 14.Dg3+ Kh8 bringt der ISS-Crew wenig.] 11.a4! Bereitet eine tückische Falle vor, in die Schwarz sofort fällt. 11...La6? 12.Sb5! Houston, wir haben ein Problem! Der schöne Springerausfall war den Bodenstationen offensichtlich entgangen. Schwarz darf weder mit dem Bauern noch dem Läufer schlagen, weil nach 13.axb5 Haus und Hof - oder besser Raketenbasis - verloren gehen. 12...0-0 [ 12...cxb5 13.axb5 Ld2 14.Db1 Db4 15.Txa6 De7 16.c3 und der Läufer ist gefangen.] 13.Lxf6 gxf6 14.c3 cxb5 [ Bei 14...Le7 15.b4 Lxb4 16.cxb4 Dxb4 17.Dxc6 verbleibt Schwarz ebenfalls mit einer Wenigerfigur.] 15.Td1! Der stärkste Zug. [ 15.axb5 Lxb5 16.Txa5 Lxd3 17.Ta1 Lxf1 18.Dxf1 gewinnt aber langfristig ebenso, wenn auch etwas mühseliger.] 15...Tac8 [ 15...bxa4 16.cxb4 Dxb4 17.Lxa6 ] 16.axb5 Lxc3 17.Txa5 Lxa5 18.Db1 Lb7 19.b4 Weiß hat danach die Dame für einen Turm. Der Rest spielt sich deshalb einfach. 19...f5 20.bxa5 bxa5 21.Tc1 a4 22.Txc8 Lxc8 23.Db4 Ld7 24.Dxa4 Tc8 25.Dxa7 Tc1+ 26.Lf1 Lc8 27.b6 Kg7 28.b7 Lxb7 29.Dxb7 Kf6 30.f3 h6 1-0



Link zur NASA-Expedition und dem Thema Schach

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