Anand "stolz" auf seinen klaren SiegInder bleibt nach dem Remis zum 6,5:4,5 Schach-WeltmeisterText und Fotos von FM Hartmut Metz, 1. November 2008 |
Viswanathan Anand hat in Bonn vorzeitig seinen Titel als Schach-Weltmeister verteidigt. "Vor dem Wettkampf hätte ich nicht damit gerechnet, mich mit zwei Punkten Vorsprung durchzusetzen", gestand Anand nach seinem 6,5:4,5-Erfolg über Wladimir Kramnik und fügte an, "ich bin stolz auf mein Resultat." Seine Fans feierten den "Tiger von Madras" mit stehenden Ovationen und stülpten sich begeistert schwarze T-Shirts mit güldenem Aufdruck "Vishy Anand - Simply the best" über, die sein Bad Sodener Ziehvater Hans-Walter Schmitt vorbereitet hatte.
Ganz so leicht, wie es das Endresultat nach den elf der maximal zwölf Partien suggeriert, fiel Anand der Sieg in der Bundeskunsthalle allerdings nicht. "Die erste Niederlage kostete mich Nerven. Ich kam nicht zur Ruhe und hätte gerne gleich am nächsten Tag weitergespielt", berichtete der 38-Jährige vom freien Dienstag. "Meine Aufgabe sah am Schluss vermeintlich nicht allzu schwierig aus, weil ich nur noch ein Remis aus drei Partien brauchte - aber ,Wladi' setzte mich zuletzt kräftig unter Druck", räumte der Inder ein. Der Schach-Weltmeister war daher heilfroh, als Kramnik im 24. Zug ein Unentschieden anbot. Ein Friedensangebot, das die Kapitulation bedeutete. Anand überlegte deshalb nur Millisekunden und schlug dann ein in die über das Brett gereichte Hand.
Sein Widersacher hatte bei der WM in Bonn mit den schwarzen Steinen nochmals alles versucht, um den zweiten Sieg in Folge zu landen und den 4:6-Rückstand weiter zu verkürzen. Nach drei Stunden sah der Russe jedoch ein, dass er "nicht mehr gewinnen konnte. Ich stand schlechter", bekannte Kramnik. Immerhin erhält der Russe für seine Niederlage die Hälfte der ausgesetzten 1,2 Millionen Euro. Beim Preisgeld verhielten sich die beiden Rivalen genauso freundschaftlich wie am und neben dem Brett. "Anand ist ein großartiger Spieler! Es war ein interessanter Kampf mit Vishy", lobte Kramnik den Sieger.
Solcherlei hören Zuschauer selten nach Schach-Weltmeisterschaften - und schon gar nicht vom Unterlegenen. Die 122 Jahre lange Geschichte der Zweikämpfe um den höchsten Titel sind ein Sammelsurium von Feindseligkeiten. Der Nervenkrieg hat auch bereits zwischen den beiden nächsten potenziellen Anand-Herausforderern eingesetzt: Der US-Amerikaner Gata Kamsky weigert sich, in Bulgarien gegen Wesselin Topalow anzutreten - doch sein angeblich gut dotiertes Gegenangebot für das Match aus der Ukraine bleibt seit Monaten unbestätigt. Topalow hatte vor zwei Jahren für einen unrühmlichen Höhepunkt gesorgt, als er bei der WM-Titelvereinigung Kramnik Betrug mit einem PC auf dem WC vorwarf.
Mit dem Bulgaren zieht Anand nach seinem Triumph in der Weltrangliste zumindest gleich. Der dreifache indische Sportler des Jahres und Kramnik hatten ihre gemeinsame Führung vom Januar verloren und waren am 1. Oktober auf die Plätze fünf und sechs abgerutscht. Grund: Beide Koryphäen hatten sich auf die WM in der Bundeskunsthalle konzentriert und horteten dafür neue Eröffnungszüge als Überraschungswaffen. Dies gelang Anand jedoch deutlich besser. "Das waren bittere Lektionen, aus denen ich meine Lehren ziehe", analysierte Kramnik und ergänzte lachend, "auf Beobachter wirkte es ja, als habe ich in der ersten Match-Hälfte, die komplett an mir vorbeilief, faul am Strand gelegen." Als Knackpunkt wertete der 33-Jährige die zweite Niederlage in der fünften Partie. "Die war wohl entscheidend. Es war dumm von mir, die Verlustvariante aus der dritten Partie nochmals zu spielen", räumte der Herausforderer ein.
Erst nach dem schier aussichtslosen 1,5:4,5-Rückstand zur Halbzeit bekam Kramnik Oberwasser. "Er hat am Schluss Druck gemacht. Das ist aber wie im Fußball: Wenn du nur 20 Minuten etwas zeigst und mit drei Toren zurückliegst, reicht das nicht", äußerte der frühere Weltklassespieler Vlastimil Hort aus Köln. Anand bekämpfte nach der Niederlage in der zehnten Runde sein Nervenflattern mit der Veränderung seines "Aufschlags". Um nicht noch schlimmer unter die Räder zu kommen, kehrte der 38-Jährige in der letzten WM-Partie zu seinem üblichen ersten Zug zurück: dem Aufmarsch des Königsbauern von e2 nach e4 statt des Damenbauern. Der hatte zuvor seine Wirkung nicht verfehlt. "Ich arbeitete mehrere Monate umsonst", beklagte Kramnik die unerwartete Umstellung. Im letzten Duell konnte der Sohn eines Bildhauers nicht seine geliebte Russische Verteidigung spielen, weil die oft zu rasch im Remis versandet. Mit der messerscharfen Sizilianischen Verteidigung ging der Ex-Weltmeister aufs Ganze - doch vergeblich. Anand kannte sich wieder besser in dem System aus.
Organisator Josef Resch zog eine positive Bilanz und nährte die Hoffnung der Schachfreunde, dass sie keine weiteren 74 Jahre auf eine Schach-WM in Deutschland warten müssen. Rund 3800 Zuschauer sorgten in dem kleinen "Forum"-Raum der Bundeskunsthalle für eine ordentliche Auslastung (86 Prozent). Wesentlicher sind die Zahlen im Internet: Die zehn Server der Universal Event Promotion (UEP) besuchten 1,271 Millionen Live-Zuschauer. Auf den 45 anderen Webseiten, die das Applet mit den Partien zur Verfügung gestellt bekamen, sollen zwischen 20 und 30 Millionen den elf Partien gefrönt haben.
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Anand (2783) - Kramnik (2772) [E34]
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Auf zum letzten Gefecht: Sizilianisch!
FIDE-Ehrenpräsident Florencio Campomanes überreicht Viswanathan Anand die Siegestrophäe.
Links Wladimir Kramnik, rechts DSB-Oberhaupt Robert von Weizsäcker