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Schwarz-weiß denkende Botschafter

Schach-Olympiade in Dresden macht mit einer Heerschar von Promis auf sich aufmerksam:
Felix Magath und Klitschko-Brüder geben sich wenig kleinkariert

Foto und Text von FM Hartmut Metz, 22. November 2008

 

Der Trick hat wieder funktioniert, wenn Sie diese Zeilen lesen. Viele Schach-Laien scheinen das königliche Spiel prinzipiell so einzuschätzen, wie die zweistündige Eröffnungsfeier der Schach-Olympiade in Dresden wirkte: dröge. Um dem Image zu entfliehen und trotzdem Medieninteresse zu wecken, bedienen sich die deutschen Schachveranstalter gerne Prominenter. Gleich eine ganze Heerschar an "Botschaftern" lassen die Sachsen aufmarschieren.

Mehr als die Schach-Legenden Karpow, Spasski oder Kortschnoi fungieren Sport- und Showstars als Türöffner: Die Riege reicht bei der 38. Olympiade von Fußballtrainer Felix Magath über Ex-Nationalspieler Marco Bode und die Klitschko-Brüder bis zu Enthüllungsjournalist Günter Wallraff, Mike Krüger, Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel und Filmproduzent "Atze" Brauner. Auch für den heuer bei der Berlinale für sein Lebenswerk ausgezeichneten 90-Jährigen stellt die Rolle als Schach-Botschafter eine nützliche Symbiose dar: Zwar erhält keiner der Stars ein Honorar - dafür erstrahlt jeder aber für seinen "kleinkarierten" Dienst im hellen Licht eines Denkstrategen.

Von Vorteilen im eigenen Leben weiß Brauner, der seit dem fünften Lebensjahr Schach spielt, zu berichten: "Schach ist ein hervorragendes Gedächtnistraining, ich war beispielsweise in der Lage, mir über 700 Telefonnummern zu merken. Und: Auf dem Brett kreiere ich genauso eine eigene Welt wie bei der Realisierung eines Drehbuchs." Felix Magath, der die sechste Runde der Olympiade mit dem ersten Zug eröffnete, bricht ebenfalls eine Lanze für das Spiel der Könige: "Sportler müssen Strategie und Taktik beherrschen. Was viele nicht erkennen, lässt sich gerade beim Schach begreifen: Es gilt in jeder Situation, nicht irgendeinen Zug zu machen, sondern den besten. Auch ein Fußballer sollte immer nach der besten Lösung suchen", meint der einstige Mittelfeld-Regisseur des Hamburger SV. Und selbst "Quälix" findet, "eine schöne Kombination auf dem Platz ergibt sich nicht einfach so: Schönheit ist die Abwesenheit von Zufällen".

Magath schloss sich zu HSV-Zeiten in den 80ern auch der Schachabteilung an. Noch stärker als der einzige Torschütze im Europapokal-Finale 1983 gegen Juventus Turin spielt allerdings Marco Bode. Der ehemalige Bremer besitzt durchaus Oberliga-Niveau. Auf seiner Webseite trug er gegen seine Fans mehrfach Partien aus - und hielt online in einem Simultan gegen Ex-Weltmeister Garri Kasparow 42 Züge lang durch. "Ein wunderbares Erlebnis", meint der Europameister von 1996 noch heute. Der stets faire Bode fing im Alter von elf Jahren mit Schach an, weil in der AG in Osterode (Harz) noch im Gegensatz zum Fußball Plätze frei waren. Bei seinem Hobby reize ihn "besonders, dass der Zufall - anders als im Fußball - keine Rolle spielt".

"Die unterschiedlichen Spielfiguren muss man richtig einschätzen können. Wie am Film-Set ist das spielerische Können entscheidend, nicht der Zufall", bestätigt Multitalent Mike Krüger. Sehr laienhaft spielt Sängerin Vaile. Der 28-jährigen Olympiade-Botschafterin geht es bei ihren fast täglichen Partien weniger um Logik, sondern um "Entspannung". Die attraktive frühere "Marienhof"-Schauspielerin, die in mehreren Tatort-Folgen mitwirkte, wertete es schon als Erfolg, dass sie Smudo von den Fantastischen Vier "darauf hinweisen konnte, dass er Gefahr läuft, gleich seine Dame zu verlieren. Da war ich richtig glücklich. Denn er spielt eigentlich um Klassen besser als ich".

Vaile
Schauspielerin und Sängerin Vaile freut sich über kleine Erfolge gegen die Fantastischen Vier

Ausgeglichener geht es dagegen zwischen Wladimir und Witali Klitschko zu. Auf den 64 Feldern gilt der Schwur nicht, den ihre Mutter den Weltmeistern im Boxen abringen konnte: niemals gegeneinander anzutreten. Wer gewinnt im Duell der beiden Dresdner Olympiade-Botschafter? "Das ist ziemlich ausgeglichen", verkünden sie unisono, "und alleine von der Tagesform abhängig." Witali Klitschko berichtet: "In der Ukraine spielt jedes Kind Schach. Auch ich habe sehr früh damit angefangen und es als Ausgleich neben dem Kampfsport gesehen." Früh brachte er seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Wladimir die Züge bei. Obwohl die Künste der Faustkämpfer im Umgang mit Königen und Bauern weniger durchschlagend ausfallen - in der neuen Disziplin Schachboxen, bei der abwechselnd in beiden Sportarten gefightet wird, dürfte jeder Gegner der Klitschkos am Ende sehr matt auf den Brettern liegen.

Bei den ersten Olympiaden spielte sogar ein Prominenter selbst mit: Marcel Duchamp. Der Maler und Objektkünstler unterlag bei den vier Olympiaden von 1928 bis 1933 fast immer gegen die starken Meister - außer 1930 ertrotzte der Franzose bei der Olympiade in Hamburg gleich zum Auftakt ein Remis gegen Angriffskünstler Frank Marshall. Gegen einen anderen Amerikaner gelang Duchamp sein berühmtester Sieg: 1929 beim Turnier in Paris schlug er George Koltanowski in nur 15 Zügen.











Koltanowski - Duchamp [A50]
Paris 1929

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 d6 4.e4 b6 5.f4 Lb7 6.Ld3 Sbd7 7.Sf3 e5?! Zweimal in der Eröffnung mit dem Bauern zu ziehen, erweist sich auch hier als schwach. [ 7...c5 ist eine Möglichkeit, um Gegenspiel anzustreben.] 8.d5 [ 8.0-0 verspricht Weiß eine sehr gute Position. 8...exd4 9.Sxd4 Le7 10.Sd5+/- ] 8...g6 Duchamp beweist Hang zum Fianchetto, was zu langsamer Entwicklung und zu einer etwas nachteiligen Stellung führt. 9.0-0 exf4 10.Lxf4 Lg7 11.e5?! [ 11.Dd2 0-0 12.Lg5 Sc5 13.Lc2 a5 14.Tae1 Dd7 15.a3 Sh5 16.b4 axb4 17.axb4 Sa6 18.Sb5 macht Schwarz wieder das Leben schwer.] 11...dxe5 12.Sxe5 0-0 13.Dd2?! Erlaubt einen Befreiungsschlag. 13...Sxd5! 14.Sxd7?! Das leitet den Untergang ein. [ 14.Sc6! reicht noch: 14...Sxf4! ( 14...Lxc6 15.cxd5 Lb7 16.Tae1 ist für Weiß etwas besser.; 14...Lxc3? 15.bxc3 Lxc6 16.cxd5 Lxd5 17.Lxg6 Sc5 18.Lg5 Dd7 ( 18...f6? 19.Txf6! Txf6 20.Lxf6 Dxf6 21.Dxd5+ Kg7 22.Dxa8 ) 19.Lc2 überlebt Schwarz angesichts des offenen Königs und seinem fehlenden schwarzfeldrigen Läufer kaum.) 15.Sxd8 Ld4+ 16.Tf2 ( 16.Kh1 mündet in ein verlorenes Endspiel. 16...Lxg2+ 17.Dxg2 Sxg2 18.Sc6 Lxc3 19.bxc3 Se3 20.Se7+ Kg7 21.Tfe1 Sg4 ) 16...Lxf2+ 17.Kxf2 Sxd3+ 18.Dxd3 Sc5 19.De2 Taxd8 20.Td1 Tfe8 21.Txd8 Txd8 und der Anziehende steht etwas besser.] 14...Sxf4 15.Sxf8? [ Mit 15.Le4 Lxc3 16.bxc3 Lxe4 17.Txf4 f5 18.Txe4 fxe4 19.Dd5+ Kg7 20.De5+ Tf6 21.Sxf6 Dxf6 22.Dxe4 ist der Schaden noch zu begrenzen.] 15...Ld4+! Nach dem Schach verliert Koltanowski zu viel Material. [ 15...Ld4+ 16.Kh1 Lxg2+ kostet die Dame und; 15...Ld4+ 16.Tf2 Sxd3 17.Sd1 ( 17.Dxd3?? Lxf2+ 18.Kxf2 Dxd3 ) 17...Sxf2 18.Sxf2 Kxf8 eine Figur.] 0-1



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