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Verwaiste Bretter

Georgische Großmeisterinnen boykottieren WM in Russland: Spielort Naltschik liegt zu nahe an Südossetien

Von FM Hartmut Metz, 7. September 2008

 

Leere Schachbretter dominieren das Bild bei der Frauen-WM in Naltschik. Zwei der 32 Tische waren völlig verwaist, an sieben weiteren wartete eine Spielerin eine Stunde lang, ehe ihr kampfloser Sieg feststand. Elf der 64 Teilnehmerinnen boykottieren die mit 450.000 Dollar dotierte WM in Russland. Ein kleiner Erfolg Georgiens gegen den übermächtigen Nachbarn, der das Turnier nur 140 Kilometer entfernt von Südossetien austrägt.

Die sechs georgischen Qualifizierten hatten vor dem ersten Zug ihre Kolleginnen per E-Mail gebeten, ihr Gesuch an den Schach-Weltverband FIDE zu unterstützen: Maja Tschiburdanidse, Lela Jawachischwili, Sopio Gwetadse, Nino Churtsidse, Maja Lomineischwili und Sopiko Chuchaschwili forderten eine Verlegung in ein "sicheres Gebiet". Die Region um Naltschik sei schon vor dem Krieg in Südossetien "die gefährlichste Region Russlands mit regelmäßigen Bombendetonationen" gewesen.

Der Boykott fällt den Großmeisterinnen besonders schwer. Nicht nur, dass selbst die 3.000 Dollar bei einem Erstrunden-Aus ihr höchstes Jahressalär bedeutet hätte - noch mehr schmerzt das Sextett die verpasste Chance auf die WM-Krone. Denn nach ihrem Selbstverständnis gehört kein anderer Titel im Sport so wie dieser nach Georgien! Fast drei Jahrzehnte lang dominierten die Georgierinnen nach Belieben. Nona Gaprindaschwili begründete die Popularität, als sie 1962 Weltmeisterin wurde. Sogar ein Parfüm wurde in Tiflis nach der heute 67-Jährigen benannt. Erst 1978 löste sie Tschiburdanidse auf dem WM-Thron ab. Die damals jüngste Weltmeisterin mit 17 verteidigte den Titel gegen ihre Herausforderinnen aus dem eigenen Land bis 1991.

FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow konnte die Georgierinnen nicht umstimmen. Vom Hinweis, "Politik und Sport nicht zu vermengen", halten sie wenig - vielleicht auch, weil sich der Russe als kalmückischer Präsident selbst selten daran hält. Auch die Beileidsbekundungen Iljumschinows für die "Opfer der schrecklichen Tragödie" und ein Brief an Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili verpufften. Die für das Turniergericht in Naltschik nominierte Schach-Legende Gaprindaschwili sagte ebenso ab.

Auf der WM-Webseite der FIDE prangt stolz das Grußwort von Russlands Präsident Dimitri Medwedew. Über die Absage der Spielerinnen werden dagegen nicht viele Worte verloren. Karen Zapata (Peru), Marie Sebag (Frankreich), Irina Krush (USA), Jekaterina Korbut (Russland) und die georgischstämmige Tea Lanchava (Niederlande) erhöhten die Zahl auf elf. Angst vor dem nahen Krieg war dabei mit ein Grund. Als einzige gebürtige Georgierin nahm Ketino Kachiani-Gersinska in Naltschik teil. Die deutsche Nummer zwei hatte ihre Freundinnen in der alten Heimat vor der WM umzustimmen versucht. Die Einwendungen der 36-jährigen Großmeisterin, der Krieg sei "vorbei, ansonsten würde ich auch nicht hinfliegen", fruchteten jedoch wenig.

Das Turnier ohne Trainer dauerte für Kachiani-Gersinska allerdings auch nicht lange. Bei der dritten WM-Teilnahme für den Deutschen Schachbund (DSB) schickte der Verband wegen der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes keinen Betreuer mit. Unter der Obhut von Ehemann Jürgen Gersinska schied die Baden-Badener Bundesligaspielerin gegen die Chinesin Shen Yang nach einem Remis und einer Niederlage aus. Dasselbe Schicksal ereilte Elisabeth Pähtz in Runde zwei. Die 23-jährige Berlinerin unterlag der Ukrainerin Anna Uschenina ebenfalls mit 0,5:1,5. Sicher ist auch bereits, dass es eine neue Weltmeisterin gibt: Die Chinesin Xu Yuhua konnte im zweiten Duell gegen Swetlana Matwejewa (Russland) nicht zum 1:1 ausgleichen und büßt durch das Remis ihren Titel ein. Topfavoritin Humpy Koneru (Indien) und die Russin Alexandra Kosteniuk durften sich dagegen vorzeitig aufs Achtelfinale freuen - sie warteten am Brett geduldig eine Stunde auf die "Gewinnerinnen" der Paarungen Lomineischwili und Kuchaschwili beziehungsweise Korbut und Gwetadse.

Tschiburdanidse
Ex-Weltmeisterin Maja Tschiburdanidse ist die prominenteste Spielerin, die Naltschik boykottierte


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