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Kramnik entschuldigt sich für Eigenlob

Russe gelingt "beste Partie meines Lebens" gegen Turniersieger Carlsen

Foto und Text von FM Hartmut Metz, 7. Februar 2010

 

Das erste Topturnier des Jahres im holländischen Wijk aan Zee hat Magnus Carlsen gewonnen. Der 19-jährige Weltranglistenerste fand zwar, dass er einige Partien "lausig" spielte, dennoch lag der Norweger nach 13 Runden mit 8,5 Punkten einen halben Zähler vor Wladimir Kramnik und dem Spanier Alexej Schirow (beide 8:5). Weltmeister Viswanathan Anand schlug die beiden Letztgenannten und blieb als einziger der 14 Schach-Großmeister ungeschlagen, belegte jedoch nach elf Unentschieden mit Hikaru Nakamura (USA/beide 7,5) nur Platz vier.

Auch wenn Kramnik in der vorletzten Runde dem Inder unterlag, bestätigte der Ex-Weltmeister seinen Aufwärtstrend der vergangenen Monate. Der 34-jährige Russe freute sich besonders über seinen glanzvollen Sieg mit den schwarzen Steinen gegen Carlsen. Bei der Analyse seiner Partie am großen Demonstrationsbrett im Presseraum häuften sich Aussagen wie "das war ein sehr guter Zug - und das war auch sehr stark ..." Am Schluss entschuldigte sich der humorvolle Kramnik: "Tut mir leid, dass ich mich so lobpreise", sagte der Weltranglistenvierte und begründete seinen Überschwang, "das war vielleicht die beste Partie, die ich jemals spielte!"

Nachstehend das spannende Duell, versehen mit zahlreichen Anmerkungen Kramniks.











Carlsen,M (2810) - Kramnik,V (2788) [E04]
Corus A, Wijk aan Zee, 26.01.2010

"Magnus brauchte zwei Minuten für seinen ersten Zug. Er hielt seine Augen geschlossen. Ich dachte, vielleicht sollte ich ihn aufwecken", witzelte Kramnik nach seinem Sieg bei der Partieanalyse und setzte fort, "er hatte möglicherweise eine ,mords' Diskussion mit seinem Trainer Garri Kasparow, der wollte, dass er 1.e4 gegen mich zieht!" 1.d4 Carlsen setzt sich also über den gemutmaßten Willen des besten Spielers aller Zeiten, der 2000 im WM-Kampf seinen Titel an Kramnik verloren hatte, hinweg und treibt wie gewohnt den Damenbauern zwei Felder nach vorne. 1...Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.g3 "Mit Katalanisch punkte ich mit beiden Farben passabel. Deswegen war es wohl keine gute Wahl von ihm, diesen Zug zu spielen", befand Kramnik. 4...dxc4 5.Lg2 Lb4+ 6.Ld2 a5 Kramnik dazu: "Das habe ich bereits so oft gezogen, weshalb ich annahm, dass Magnus das nicht noch einmal erwartete." 7.Sc3!? Eine selten gewählte Fortsetzung. [ Ein wahrer Experte ist Kramnik im Abspiel 7.0-0 0-0 ; und auf 7.Dc2 Lxd2+ 8.Dxd2 c6 9.a4 b5 10.axb5 cxb5 11.Dg5 0-0 12.Dxb5 La6 13.Da4 , was Thema beim WM-Match 2006 zwischen ihm und Wesselin Topalow war.] 7...0-0 8.a3 Wieder ein kaum bekannter Zug, den Carlsen wagt. [ 8.Lg5N b5 9.Se5 Ta6! 10.a4 bxa4 11.Sxc4 h6 12.Lxf6 Dxf6 13.0-0 Td8 14.Dxa4~~ führte vor knapp zwei Monaten beim Tal-Memorial in Moskau zu einer unklaren Position zwischen Boris Gelfand und Kramnik.] 8...Le7 9.Da4! c6N Ein neuer Zug, den das Schach-Programm Rybka vorschlägt. 10.Dxc4 b5 "Typisch katalanisches Spiel: Bauern nach vorne schieben und c6-c5 spielen", umriss Kramnik seine üblichen Absichten in dieser Eröffnung. 11.Db3 La6 12.Lg5 Sbd7 13.Lxf6 gxf6!? "Diese Art des Zurückschlagens war von einem supersoliden Spieler wie Kramnik kaum zu erwarten", kommentierte der ukrainische Großmeister Michail Golubew in "Chess Today". [ Allerdings erweckt 13...Sxf6? ohnehin kein Vertrauen wegen 14.Se5+/- und der rückständige Bauer auf c6 wird zum Problemkind.; Daher lag 13...Lxf6 14.Se4 Le7 15.0-0 mit Ausgleich auf der Hand.] 14.Dc2 b4 15.Sa4 Tc8 [ Großmeister Konstantin Landa erwog auf der Webseite Chesspro.ru 15...Db8 16.0-0 Db5 17.axb4 Dxe2 18.Dxc6 Lb5 19.Dc1 Lxa4 20.Txa4 Lxb4+/= mit etwas besseren Aussichten für Weiß angesichts der sichereren Königsstellung.] 16.0-0 c5 17.d5! "Ein riskanter Zug - aber auch die einzige Möglichkeit für Weiß, wenn er einen Vorteil erkämpfen will", meinte Kramnik. 17...exd5 [ 17...Dc7+/= ist eine Alternative angesichts der verpassten weißen Möglichkeit im 18. Zug.] 18.Lh3? Das geißeln mehrere Kommentatoren als Fehler. [ 18.Tfd1! verspricht Carlsen weit mehr: 18...d4 ( 18...Lb7 19.Sh4!+/- mit einigem Vorteil für den Anziehenden angesichts der Felderschwäche auf f5.) 19.Df5! Ld6 ( 19...Te8? 20.Sxd4! cxd4 21.Txd4 Dc7 22.Txd7 De5+/- mit gesundem Mehrbauern für Weiß.) 20.axb4 axb4 ( oder 20...Lxe2 21.Sxd4 cxd4 22.Le4 Te8 23.Dxh7+ Kf8 24.Txd4+/- mit klarem Vorteil für Weiß, analysierte Landa. 24...Te5 25.Dh6+ ( 25.Lg6!? fxg6 26.Txd6 De7 27.Txd7 Dxh7 28.Txh7 Kg8 29.Tb7 Lf3 30.Tb6 Kf7 31.Sc3 axb4 32.Txb4 g5 bietet Schwarz Verteidigungschancen wegen des aktiven Läufers, der zudem die feindliche Grundreihe zum Schwachpunkt werden lässt.) 25...Ke7 26.Dd2 Lg4 27.Txd6 Txe4 28.Sc5 Txc5 29.bxc5 Dc7 30.Td4 Te2 31.Dd1 Lf3 32.Td2 Txd2 33.Dxd2 Dxc5 34.Txa5 mit weißen Gewinnaussichten.) 21.Sxd4 cxd4 22.Le4 Te8 23.Dxh7+ Kf8 24.Txd4 Dc7 25.Tad1 Lxe2 26.Te1 Le5 27.Ld5 Sc5 28.Txe2 Sxa4 29.Tg4! Sb6 ( 29...Ke7 30.Lxf7!+- ) 30.Dg7+ Ke7 31.Lxf7! Dd6 32.Lxe8+ Kxe8 33.Te1 Sd7 34.Dh8+ Sf8 35.Tg8 Tc7 36.Dh5+ Kd8 37.Td1 Ld4 38.Txd4 Dxd4 39.Txf8+ Kd7 40.Db5+ Ke6 41.Te8+ Te7 42.De2+ De5 43.Txe7+ Kxe7 44.Dxe5+ fxe5 45.h4+- ] 18...Lb5 19.axb4 [ In Betracht kommt ebenso 19.Lf5 ] 19...axb4 20.Tfd1 d4 21.Lf5 Se5~~ "Mag sein, dass ein Computer den Zug nicht mag - für einen menschlichen Geist ist der Zug logisch!", kommentierte Kramnik die nun unklare Stellung mit beiderseitigen Chancen. 22.Lxh7+!? [ 22.Sxe5 fxe5 23.b3 wartet erst ab und hält sich die Optionen offen, auf c8 oder h7 zuzugreifen. Das gefährliche schwarze Bauernzentrum ist danach erst einmal blockiert.; Bei 22.Lxc8 plante Kramnik 22...d3! 23.Dc1 ( 23.exd3?? Sxf3+ ) 23...Dxc8 24.Sxe5 dxe2 25.Td7!! Das könnte beiden Großmeistern entgangen sein. 25...Ld8 ( 25...Lxd7? 26.Sb6 Db7 27.Sexd7+- ) 26.Txf7 Txf7 27.Sxf7 Kxf7 28.Dxc5 Dxc5 29.Sxc5 f5 30.Te1 Lf6 31.Kg2 Lxb2 32.Kf3 Kf6 33.Txe2 Lxe2+ 34.Kxe2 Ld4 35.Sb3= ] 22...Kg7 23.Sxe5 Den Zug tadelte Kramnik "als ein bisschen seltsam. Stattdessen führt [ 23.Le4 zu einer unklaren Stellung". Computer wenden gegen den Springerzug nichts ein - allerdings heilt der Tausch die schwarze Bauernstruktur.] 23...fxe5 24.Lf5 Tc6 25.De4 "Carlsen beherrscht die weißen Felder, weshalb ich verstand, dass ich c5-c4 spielen muss, um etwas zu erreichen", erläuterte der Russe. 25...Th8! "Ein energischer Zug, mit dem sich Schwarz nicht um den e5-Bauern schert", zeigte sich Kramnik von der Fortsetzung angetan. 26.Dxe5+ Lf6 27.De4 Te8! "Sehr stark gespielt, wenn ich mich selbst loben darf", befand Kramnik maliziös und vermeidet mit [ 27...c4 28.Dg4+ Kf8 29.Ld7 "ein einziges Durcheinander".] 28.Dg4+ Kf8 Schwarz hat zwar inzwischen einen Bauern weniger, dafür steht jedoch sein König laut Kramnik "völlig sicher" - und im Zentrum dominiert Schwarz. 29.Le4 "Ich war mir nicht sicher, was ich auf Ld7 tun sollte - vielleicht einfach c4", gedachte Kramnik sein Zentrum ins Rollen zu bringen. [ 29.Ld7 kann Schwarz aber auch mit 29...Lxe2 30.Dh3 Lxd1 31.Txd1 Tee6 32.Lxc6 Txc6 kontern, wonach Weiß etwas schlechter steht.] 29...c4!? "Magnus verbrauchte hier fast seine restliche Bedenkzeit. Schwarz steht kurz vor dem Gewinn", zeigte sich Kramnik überzeugt, obwohl die materialistischen Programme noch Weiß leicht im Vorteil wähnen. 30.Lxc6!? Lxc6 31.Dh5 Te5 32.Dh6+ Ke7 33.e4!? Weiß muss Dd5 nebst Mattangriff verhindern. Die schwarzen Figuren beherrschen das Brett, weshalb sich der materielle Vorteil Carlsens nicht auswirken kann. [ 33.Dd2?! Dd5 34.Dxb4+ ( 34.f3 c3 35.bxc3 dxc3! 36.Dc2 Dc4 37.Sxc3!? Wohl noch am besten. 37...bxc3 38.Ta2 und Weiß steht mit dem Rücken zur Wand.) 34...Ke8 35.f3 Txe2 36.Te1 d3 37.Db8+ Ke7 38.Dc7+ Kf8 39.Dc8+ Le8 40.Txe2 dxe2 41.Sc3 Dd2 42.Dc5+ Kg7 43.Sxe2 Dxe2 44.Df5 Ld4+ 45.Kh1 Lxb2 und Schwarz gewinnt erneut.] 33...d3! 34.De3?! [ 34.Te1! oder; 34.Dd2 boten sich an.] 34...Lxe4 35.Sb6?? Das stellt in Zeitnot den Springer ein. [ 35.Te1 hält Carlsen noch im Spiel.] 35...Lb7 36.Df4 Dxb6 37.Dxc4 Te2 38.Tf1 "Er gab auf, bevor ich Ld4 spielen konnte. Meinem Gefühl nach war es die beste Partie, die ich jemals spielte", verkündete Kramnik zum Abschluss. Die weiße Stellung bricht jetzt auf f2 zusammen. Ein Matt des eingeklemmten Königs ist nur noch durch Opfer hinauszuzögern. 0-1



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