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Einst subtiler Karpow greift zur verbalen Axt

Schach-Legende will umstrittenen Weltverbandspräsident Iljumschinow ablösen / Dortmund-Sieger Ponomarjow unterstützt russischen Ex-Weltmeister

von FM Hartmut Metz, 4. August 2010

 

Anatoli Karpow steckt sich hohe Ziele: Der ehemalige Schach-Weltmeister will das "Renommee" seiner Sportart "retten". Die 59 Jahre alte Legende hat dabei bereits die bösen, schwarzen Figuren ausgemacht, die dieses torpedieren: Kirsan Iljumschinow, selbstherrlicher Präsident des Schach-Weltverbandes FIDE und der autonomen Republik Kalmückien, samt seiner sich bereichernden Entourage. Anders als früher, als sich Karpow in den 70ern und 80ern mit subtilen Manövern auf dem Brett so viele Turniersiege wie kein anderer sicherte, greift die Legende im Kampf nun zur verbalen Axt: "Die jetzige Führung ist unfähig und will sich mit allen Mitteln halten", urteilt der Russe und fügt an, "das Ansehen unseres Sports hat in den letzten 20 Jahren gelitten."

Sein Mantra versucht der Unicef-Botschafter derzeit rund um den Globus an den Mann - weil Frauen im Schach selten sind - zu bringen. Nach Stippvisiten in der Karibik und in Asien machte Karpow auch bei den Dortmunder Schachtagen Station. Dort hatte er 1993 einen seiner rund 170 Turniersiege gefeiert. Anschließend beerbte ihn sein Landsmann Wladimir Kramnik und avancierte zum neunfachen Rekordgewinner bei dem Topturnier. Der Multimillionär führte an Kramniks Brett den ersten Zug aus - dennoch gewann dessen Widersacher an diesem Tag, Ruslan Ponomarjow, den prestigeträchtigen Wettbewerb. Der 26-jährige Ukrainer, der wie Karpow FIDE-Weltmeister war, feierte mit 6,5:3,5 Punkten seinen "bisher größten Turniersieg". Überraschend auch Platz zwei für den Vietnamesen Liem Le Quang. Der Qualifikant vom Aeroflot-Open in Moskau holte einen halben Zähler mehr als die Favoriten Kramnik und Schachrijar Mamedjarow (Aserbaidschan/beide 5:5). Der Dortmunder Lokalmatador Arkadij Naiditsch, Deutschlands Nummer eins, und der Ungar Peter Leko (4:6) landeten auf den letzten Plätzen.

Karpow hat nicht nur seinen alten WM-Erzrivalen Garri Kasparow als Unterstützer an seiner Seite. Wie die meisten Weltklasse-Großmeister wünscht sich auch Ponomarjow sein Vorbild an die Verbandsspitze: "Ich unterstütze Karpow. Ich habe bereits mit ihm trainiert und eine Menge von ihm gelernt", berichtet der Ukrainer und betont im Interview mit der Schach-Webseite Chessbase.de, "es ist an der Zeit, dass die alte FIDE-Führung nach 15 Jahren endlich abgelöst wird." Die Stars wollen wieder in New York und London spielen statt dauernd in Kalmückiens Hauptstadt Elista oder wie im Herbst in Chanty-Mansisjk am Ural. Dort findet die Schach-Olympiade ebenso statt wie die richtungsweisende Präsidenten-Wahl.

Doch Karpow liegt wohl schon deutlicher als 0:1 zurück. Den Machtkampf im Kreml hat er bereits verloren: Im Russischen Schachverband behielt die regierungstreue Spitze die Oberhand und warf alle Karpow-Anhänger raus. Iljumschinow wurde danach als offizieller Kandidat für das FIDE-Präsidentenamt nominiert. Der Ex-Weltmeister konnte sich immerhin als vieljähriges Mitglied beim Zweitliga-Aufsteiger Hockenheim vom Deutschen Schachbund aufbieten lassen. Alle Westeuropäer stehen treu hinter dem 59-Jährigen. Glaubt man indes Iljumschinow - der allerdings auch penetrant von seiner einstigen Entführung durch Außerirdische erzählt - ist das Rennen dennoch bereits gelaufen: Auf seiner Tour rund um den Globus hat er mit angeblich 80 Stimmen fast die Hälfte der Föderationen hinter sich gesammelt. Zuletzt blies der 48-Jährige in Sambia kräftig in eine Vuvuzuela und öffnete danach bereitwillig das Portemonnaie.

Das Wort "Bestechung" vermeidet Karpow in Dortmund mühselig, seine Ausführungen lassen aber keine andere Deutung zu. "Anatoli fürchtet schon, dass Iljumschinow bereits zu viele Stimmen gekauft hat. Die Pfründe gibt keiner von denen auf", bestätigt ein langjähriger Freund hinter vorgehaltener Hand. Offiziell lässt das Schach-Genie verlauten: "Dieselben Leute erzählen uns, dass sie mein Team unterstützen." Allerdings stellt Karpow nur neue Sponsoren in Aussicht, während Iljumschinow seine eigenen Millionen gleich konkret verspricht - der eindeutig effektivere Schachzug, um den Gegner mattzusetzen.

Den Ausschlag zugunsten Ponomarjows gab die zweite Runde. Der Ukrainer schlug den neunfachen Dortmund-Sieger Kramnik und blieb bis zum Schluss in Front.











Ponomarjow,R (2734) - Kramnik,W (2790) [E00]
Sparkassen Chess Meeting Dortmund, 16.07.2010

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.g3 Lb4+ 4.Ld2 Le7 5.Lg2 d5 6.Sf3 0-0 7.0-0 c6 8.Dc2 b6 9.Td1 La6 10.Se5!? Dc8 [ 10...Sfd7 ist eine gute Alternative.] 11.Sc3 Sbd7 12.Tac1N Sxe5 13.dxe5 Sd7 14.cxd5 cxd5 15.Lf4 g5!? Der zweischneidige Zug lockert zwar die Königsstellung, der Versuch eines Bauerngewinns wird aber von den Schachprogrammen ernstlich erwogen. 16.Lxd5! Nur damit spielt Weiß auf Vorteil. 16...exd5 [ 16...gxf4? verliert sofort. 17.Lxa8 Dxa8 18.Txd7 ] 17.Sxd5 Dd8? Die erste Ungenauigkeit. [ 17...Ld8 18.Dd2 Db8 19.e6 gxf4 20.e7! De5 ( Oder 20...Lxe7 21.Sxe7+ Kh8 22.Dxd7 De5 23.Td2 fxg3 24.hxg3 Lb5 25.Dc7 Dxc7 26.Txc7 Tad8 27.Sd5 Lxe2 28.Txe2 Txd5 29.Txa7 und Schwarz muss sich zäh verteidigen, um noch ein Remis zu ergattern.) 21.exf8D+ Sxf8 22.Sxf4 Lg5 23.e3 Lb7 24.Dd4 Df5 mit schwarzen Gegenchancen angesichts der weißen Felderschwächen.] 18.Sc7 Tc8? [ 18...gxf4! 19.Df5 ( 19.Sxa6 beantwortet der Nachziehende mit 19...fxg3 20.hxg3 Lg5 21.f4 Lxf4! 22.gxf4 Dh4 Nun verbietet sich 23.Txd7 wegen 23...Dg4+ 24.Kf2 Dh4+ ( Einfacher als 24...Dxd7 25.Th1 f6 26.e6 Tac8 27.Df5 Db7 28.Td1 Tcd8 29.Tc1 Tc8 30.Txc8 Txc8 31.Sb4 Dh1 32.Dg4+ Kh8 33.e7 und Schwarz muss wegen des gefährlichen Freibauern auf der Hut sein.) 25.Ke3 Dh3+ 26.Kf2 Dh4+= ) 19...Lc8 20.Sxa8 fxg3 21.hxg3 Sc5! 22.Txd8 Lxf5 23.Txf8+ Lxf8 24.Sc7 Sd7 25.Sb5 a5 26.Sd4 Lg4 und Weiß steht nur etwas besser.] 19.e6!+- Der Gewinnzug. 19...fxe6 [ 19...Lb5 20.a4 fxe6 21.axb5 Lc5 ( 21...gxf4 22.Dc6 Lc5 23.Txd7 Df6 24.g4 e5 25.Dd5+ Kh8 26.De4 Weiß steht auf Gewinn.) 22.Sxe6 Lxf2+ 23.Kxf2 Txc2 24.Sxd8 Txc1 25.Txc1 gxf4 26.Sc6 fxg3+ 27.Kxg3 mit klarem Vorteil für den Anziehenden.] 20.Dc6 De8 21.Dxe6+ Df7 22.Dxf7+ Kxf7 23.Sxa6 gxf4 24.Txc8 Txc8 25.Txd7 Tc2 26.Sb4! Txb2 27.Sc6 Txe2 28.Txa7 Die Fesselung erweist sich als tödlich: Ponomarjow tauscht die letzten Figuren auf e7 und behält danach im Bauernendspiel die Oberhand. 28...f3 29.h4 h5 30.Txe7+ Txe7 31.Sxe7 Kxe7 32.g4 hxg4 33.Kh2 Ke6 34.Kg3 Kf5 35.a4 Schwarz befindet sich in Zugzwang und muss den Bauern wieder hergeben. 35...Ke4 36.Kxg4 1-0



Liv Tyler
Präsidentschaftskandidat Anatoli Karpow (Mitte) führt in Dortmund am Brett
von Wladimir Kramnik (links) und Turniersieger Ruslan Ponomarjow (rechts) den ersten Zug aus.
Foto: Georgios Souleidis

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