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Carlsen begräbt WM-Hoffnungen

Rückzug des norwegischen Jungstars löst bei Rivalen Kopfschütteln aus

von FM Hartmut Metz, 13. November 2010

 

Die anderen Topspieler können spielen, wie sie wollen - die Schlagzeilen dominiert aber doch dauernd Magnus Carlsen. Während des Topturniers im berühmten Moskauer Kaufhaus GUM platzte die Meldung, dass der bald 20-Jährige den nächsten WM-Zyklus boykottiert. Dem Norweger dauert er mit fast fünf Jahren von 2008 bis 2012 viel zu lange, überdies beklagte er "permanente Änderungen" der Regularien. "Es strengt mich zu sehr an, mich dauernd mit den politischen Entscheidungen zu befassen."

Stattdessen will sich Carlsen fern der Ärgernisse bemühen, "meine Fertigkeiten als Spieler zu entwickeln und meine Position als Weltranglistenerster zu verteidigen", verkündete der am 1. November hinter Weltmeister Viswanathan Anand auf Platz zwei zurückgefallene Baden-Badener Bundesligaspieler. Seine langfristigen Hoffnungen auf den WM-Titel will der Jungstar aber damit nicht begraben. "Nein, nein, absolut nicht", dementiert der Großmeister aus Lommedalen vehement in einem Interview mit der Webseite chessbase.com, "es ist klar, dass ich wieder dabei bin. Die Entscheidung bezieht sich nur auf den jetzigen Zyklus."

Der Fußball-Fan fordert vor allen Dingen einen anderen Modus. Auch wenn er Anand schätze und der Inder laut früheren Aussagen der einzige ist, den Carlsen in manchen Phasen als mindestens gleichwertig erachtet - es könne nicht sein, dass der Weltmeister jahrelang warten dürfe, wer sich in langwierigen Zweikampf-Duellen für das Finale qualifiziere. Carlsen plädiert für ein WM-Turnier der Besten, im Fußball müsse der Weltmeister auch unter gleichen Bedingungen wie alle antreten.

Auf die meisten Punkte des offenen Briefs ging der Schach-Weltverband nicht ein. Die FIDE nominierte den Weltranglistensechsten Alexander Grischuk als Nachrücker und verwies ansonsten darauf, dass man 2007 mit den Spitzenspielern über den Modus diskutiert habe. Damals habe sich die Mehrheit für die Rückkehr zu den traditionellen Zweikämpfen ausgesprochen.

Außer beim Russen Grischuk, der die Entscheidung "schön" fand, löste der Schritt Carlsens weder bei den Fans noch allen Thron-Anwärtern Freude aus. Lewon Aronjan, der in Moskau zur Halbzeit führte, "bedauerte den Schritt". Der Weltranglistendritte aus Armenien widersprach nur bezüglich der Austragung: "Wir sind nicht beim Fußball. Schach ist was anderes, auch unsere WM-Tradition." Der Israeli Boris Gelfand pflichtet bei und findet es "krass, ohne leicht ersichtlichen Grund" aus der Qualifikation auszusteigen. Selbst Weltmeister Anand stimmt es "traurig", dass sein schärfster Rivale das Rennen um das Finale in London 2012 vorzeitig aufgibt.

Beim Pearl-Spring-Turnier im chinesischen Nanjing deklassierte Carlsen im Oktober die Konkurrenz inklusive Anand. Wesselin Topalow ging völlig unter. Der Bulgare rutschte auch durch die nachfolgende Niederlage in der Weltrangliste auf Platz fünf ab.











Carlsen,M (2826) - Topalow,W (2803) [C84]
3. Pearl-Spring-Turnier Nanjing (China), 24.10.2010

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.d3 b5 7.Lb3 d6 8.a4 Tb8 9.axb5 axb5 10.Sbd2 [ Vor drei Jahren bevorzugte Carlsen im kalmückischen Elista gegen Lewon Aronjan 10.Sc3 0-0 11.h3 Sb4!? 12.Se2 c5 13.Sg3 Le6 14.Lxe6 fxe6 15.c3 Sc6 16.Te1 Dd7~~ 17.d4?! exd4 18.cxd4 c4!=/+ und Schwarz gewann die für ihn leicht bessere Stellung später.] 10...0-0 11.Te1 Ld7 12.c3 Ta8 13.Txa8 Dxa8 14.d4 h6N Der erste neue Zug. 15.Sf1 Te8 16.Sg3 [ Als Fehler entpuppt sich hingegen 16.Se3?! exd4! ( bloß nicht gleich 16...Sxe4? 17.Sd5 und der Springer auf e4 hängt, zudem droht auf c7 auch noch ein Qualitätsgewinn) 17.cxd4 Sxe4 18.Sd5 Ld8! und Schwarz deckt c7 wie e4.] 16...Dc8?! Der Zug missfiel Carlsen. "Das erlaubt Sh4 und Abtausch des schwarzfeldrigen Läufers. Danach erhalte ich einen durchschlagenden Angriff mit dem Bauernvorstoß f4", analysierte Carlsen in seinem Blog. [ Das Programm "Rybka" empfiehlt 16...b4 ] 17.Sh4! Lf8 18.Sg6 Sa5 [ 18...b4 pariert Weiß mit 19.Sh5!-> und gefährlichem Angriff. 19...Sxh5 20.Dxh5 Sd8 ( 20...Lg4? scheitert an 21.Lxf7+! Kxf7 22.Sxe5+ Kg8 23.Sxg4 mit zwei Mehrbauern für Weiß.) ] 19.Sxf8 Txf8 [ 19...Sxb3? büßt mehr als eine Figur ein: 20.Sxd7 Sxc1 21.Sxf6+ gxf6 22.Sf5! Noch stärker als das simple Nehmen auf c1, weil nun verheerend das Damenschach auf g4 droht.] 20.Lc2+/= Te8 21.f4! Der besagte Plan von Carlsen. 21...Lg4 22.Dd3 exf4 23.Lxf4 Sc4 24.Lc1 c5 25.Tf1!+/- cxd4 26.cxd4 Dd8 27.h3 Le6 Wahrscheinlich ist die schwarze Lage bereits hoffnungslos, obwohl es auf den ersten Blick gar nicht so schlimm aussieht. [ 27...Ld7 28.b3 Sb6 29.e5! leitet den entscheidenden Angriff ein. 29...dxe5 30.dxe5 Txe5 31.Txf6! Dxf6 32.Dh7+ Kf8 33.La3+ Ke8 34.Dg8# ; 27...Lc8 erlaubt eine andere hübsche Gewinnidee: 28.b3 Sa5 29.Lxh6! gxh6 30.e5 dxe5 31.Sh5!! e4 ( 31...Sxh5 32.Dh7+ Kf8 33.Txf7# ; 31...Dxd4+ 32.Dxd4 exd4 33.Sxf6+ Kf8 34.Sxe8 ) 32.Dg3+ Sg4 33.hxg4 Dxd4+ 34.Kh1 Kf8 35.Df4 Le6 ( 35...f5 36.gxf5 mit zu vielen Drohungen überlebt der schwarze König nur unter großen Materialopfern.) 36.Dxh6+ Ke7 37.Dg5+ Kf8 ( 37...Kd6 38.Td1 ) 38.Td1 Dh8 39.Dc5+ Kg8 40.Td8!! Da1+ 41.Kh2 Txd8 42.Dg5+ Kh7 ( 42...Kh8 43.Dxd8+ Kh7 44.Lxe4+ f5 45.De7+ Kh8 46.Df8+ Kh7 47.gxf5 De5+ 48.Sg3+- ) 43.Sf6+ Dxf6 44.Lxe4+ Dg6 45.Lxg6+ fxg6 46.Dxd8 ] 28.b3 Da5 29.Kh2 Carlsen hat es nicht eilig, Material einzusammeln. Topalow ist ohnehin wehrlos. 29...Sh7 30.e5 g6 31.d5! Sxe5 Diagramm 32.dxe6! [ 32.dxe6 Sxd3 33.exf7+ Kf8 34.Lxh6+ Ke7 35.fxe8D+ Kxe8 36.Lxd3 lässt keinen Zweifel am Partieausgang. Turm und zwei Figuren reichen schon gegen die Dame aus, in der Stellung hängt aber auch noch schwarzes Material auf g6 und anschließend auf h7.] 1-0



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