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Der Übervater des sowjetischen Schachs
Altmeister feiern 100. Geburtstag von Michail Botwinnik mit Turnier
von FM Hartmut Metz, 27. August 2011
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Zu den Allergrößten des Schachspiels gehört Michail Botwinnik. Er gilt in Russland bis heute als Übervater der sowjetischen Schachschule. Entsprechend feierte man in Susdal den 100. Geburtstag des dreifachen Weltmeisters am 17. August mit einem Gedenkturnier alter, noch lebender Rivalen. Der 80-jährige Viktor Kortschnoi bewies dabei als Sieger einmal mehr, dass er das bissigste der "greisen Krokodile" ist. Botwinnik selbst starb 1995 im Alter von 84 Jahren. Nächste Woche folgt in Moskau ein noch größeres Memorial mit den in der Weltrangliste dann führenden vier Großmeistern Magnus Carlsen, Weltmeister Viswanathan Anand, Lewon Aronjan und Wladimir Kramnik.
Botwinnik kam relativ spät, erst mit zwölf, in Verbindung mit Schach. Doch schon zwei Jahre später sorgte der bereits in der Jugend linientreue Kommunist in St. Petersburg erstmals für Aufsehen: In einem Simultan schlug er die kubanische "Schachmaschine" José Raoul Capablanca. Mit 20 wurde der angehende Elektroingenieur erstmals souverän UdSSR-Meister. International gelang dem Studenten 1935 der Durchbruch mit einem Turniersieg in Moskau zusammen mit Salo Flohr und vor den Ex-Weltmeistern Emanuel Lasker und Capablanca. Mit dem Kubaner zusammen siegte er 1936 in Nottingham.
Auch Platz drei beim legendären AVRO-Turnier, das 1938 von dem gleichnamigen niederländischen Radio-Hersteller in Amsterdam organisiert wurde, war ein Erfolg. Mit 7,5:6,5 Punkten blieb der Sowjet zwar hinter Reuben Fine (USA) und dem Esten Paul Keres (beide 8,5:5,5), aber vor Aljechin (7:7) und Capablanca (6:8), der sein schlechtestes Turnierergebnis aller Zeiten einfuhr. Die beiden schlug Botwinnik im großen Stil. Die folgende Partie gehört laut dem späteren Botwinnik-Schüler und Weltmeister Garri Kasparow "zum goldenen Schatz des königlichen Spiels" (Fortsetzung der dreiteiligen Würdigung zum 100. Geburtstag in der nächsten Schachspalte).
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Botwinnik,M - Capablanca,J [E49]
AVRO-Turnier Holland, 22.11.1938
1.d4
Sf6
2.c4
e6
3.Sc3
Lb4
4.e3
d5
5.a3
Lxc3+
6.bxc3
c5
7.cxd5
exd5
8.Ld3
0-0
9.Se2
b6
10.0-0
La6
11.Lxa6
[ 11.f3
gilt heutzutage als stärker, um e4 durchzudrücken. Nimmt Schwarz auf d3, kommt die weiße Dame auf das Feld, auf das sie eh möchte.]
11...Sxa6
12.Lb2?
Auf der Diagonale hat der Läufer keine Perspektive. Daher ist [ 12.Dd3
angesagt, um erneut den Vorstoß im Zentrum zu beschleunigen. 12...c4
13.Dc2
Te8
14.f3
ergibt eine Stellung mit leicht besseren weißen Möglichkeiten - vor allem, wenn der Vorstoß e4 durchgedrückt werden kann.]
12...Dd7
13.a4
[ 13.Dd3
missfällt Kasparow, weil 13...Da4!
"den weißen Damenflügel abriegelt".]
13...Tfe8?
Den Zug geißelt Kasparow als strategischen Fehler. [ 13...cxd4
14.cxd4
Tfc8
nebst 15.--
Tc4
und 16.--
Tac8
dämme das aktive weiße Spiel ein. Danach müsse sich Botwinnik auf Verteidigung einstellen.]
14.Dd3
c4?
Kasparow analysiert dazu: "Ein ernsthafter positioneller Fehler, aber einer mit einem klaren geschichtlichen Hintergrund. Der 50-jährige Capablanca hatte in seiner langen Schachkarriere nie mit versteckten dynamischen Faktoren zu tun. Seine einzigartige Intuition und reiche Erfahrung haben hier keine Gefahrensignale ausgesandt. Stattdessen hat er damit gerechnet, die weißen Felder des Gegners mit dem langen Manöver Sa6-b8-c6-a5-b3 ausnutzen zu können. Capablanca hat ganz einfach die Explosivkraft der weißen Stellung unterschätzt."
15.Dc2
Sb8
16.Tae1
Sc6
17.Sg3
Sa5
18.f3
Sb3
Beide Akteure verfolgen konsequent ihren Plan: Botwinnik will im Zentrum mit dem Befreiungsschlag e4 Raum gewinnen, Capablanca spielt auf den schwachen a4-Bauern.
19.e4
Dxa4
Kasparow meint zu dem Bauernraub: "Der armselige Bauer hat eine wichtige Rolle gespielt - als Köder für den Tiger!"
20.e5
Sd7
21.Df2!
Beachtet die tückische Drohung Sbc5, wonach die weiße Dame angegriffen ist. Weiß kann wiederum schlecht auf a4 schlagen, weil dann der Springer nimmt und äußerst lästig steht. So läuft er auf b3 vorerst ins Leere.
21...g6
22.f4
f5
Weißes f5 will Capablanca natürlich nicht zulassen, weil der gegnerische Angriff danach heftig zu werden droht.
23.exf6
Sxf6
24.f5
Txe1
25.Txe1
Te8
[ Bei 25...Tf8
26.Df4
Se4
( Nur nicht 26...Da2
27.fxg6!
Dxb2
28.g7!
Kxg7
29.Sf5+
Kh8
30.Dd6
Tf7
31.Dxf6+!!
Txf6
32.Te8+
Tf8
33.Txf8#
) 27.Dh6
Dc6
28.La3
Tf7
29.Te3
gehen Schwarz auch die guten Züge aus. So führt zum Beispiel 29...b5
gleich zur Katastrophe: 30.Sxe4
dxe4
31.fxg6
hxg6
( 31...Dxg6
32.Tg3
mit Damengewinn.) 32.Tg3
Tg7
33.Th3
De8
34.Ld6
und gegen 34...--
35.Le5
ist nicht mehr viel zu erfinden.]
26.Te6!
[ 26.fxg6?
bringt nichts wegen 26...hxg6
27.Txe8+
Sxe8
]
26...Txe6
[ 26...Kg7
kontert der Anziehende mit 27.Txf6!
Kxf6
28.fxg6+
Kxg6
( 28...Ke7
29.Df7+
Kd8
30.g7
macht den einstigen f-Bauern eben auf g8 zum Gewinner.) 29.Df5+
Kg7
30.Sh5+
Kh6
31.h4!
Tg8
32.g4
Dc6
33.La3!
und ausgerechnet der bisher so klägliche Läufer wird zum Matchwinner auf f8.]
27.fxe6
Kg7
28.Df4
De8
Die Dame muss zurückkehren: [ 28...Da2?
erlaubt 29.Sf5+
gxf5
( 29...Kh8
30.Db8+
Sg8
31.De5+
Sf6
32.Dxf6+
Kg8
33.Sh6#
; 29...Kf8
30.Dd6+
Kg8
31.Dd8+
Se8
32.Dxe8#
) 30.Dg5+
Kf8
31.Dxf6+
Ke8
32.Df7+
Kd8
33.Dd7#
]
29.De5
De7
Schwarz scheint den Bauern auf e6 zuverlässig blockiert zu haben - doch ...
30.La3!!
Der Schwächling auf b2 gelangt mit seinem zweiten - weitaus stärkeren - Zug doch noch zu Berühmtheit!
30...Dxa3
31.Sh5+!
gxh5
32.Dg5+
Kf8
33.Dxf6+
Kg8
[ 33...Ke8
34.Df7+
Kd8
35.Dd7#
]
34.e7
Dc1+
35.Kf2
Dc2+
36.Kg3
Dd3+
37.Kh4
De4+
38.Kxh5
De2+
Der Damentausch [ 38...Dg6+
ändert nichts am schwarzen Schicksal: 39.Dxg6+
hxg6+
40.Kxg6
und der Bauer vollendet seine Traumkarriere trotzdem auf e8 als Turm oder Dame jeweils mit einem Matt!]
39.Kh4
De4+
40.g4
Kasparow merkt zum Abschluss an: "Der traurige Springer auf b3 bleibt als stumme Mahnung für die strategische Fehleinschätzung von Schwarz im frühen Mittelspiel."
40...De1+
41.Kh5
Die Dame hat kein vernünftiges Schach mehr, weshalb Capablanca die Waffen streckte. 1-0
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