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Iwantschuk halten nur Pistolen und Carlsen auf

Wassyl-guck-in-die-Luft verliert bei Überfall in Sao Paulo sein geliebtes Schachset / Norweger gewinnt Stichkampf beim Masters-Finale

von FM Hartmut Metz, 16. Oktober 2011

 

Dass Raubzüge extrem gefährlich sein können, wusste Wassyl Iwantschuk zumindest vom Schachbrett. Wer gierig einen feindlichen Bauern stiehlt, gerät schon mal mit seiner Dame in Bedrängnis. Dass das auch fern der 64 Felder gilt, musste der versponnene Großmeister in Sao Paulo erfahren. Zur Halbzeit des Masters-Finales wurde der Ukrainer in der brasilianischen Metropole mit vorgehaltener Pistole ausgeplündert. Unter Schock erwog Iwantschuk den Abbruch des Turniers - flog dann aber trotzdem nach Bilbao und baute gleich seine Führung aus.

Das Gauner-Duo hatte wohl vermutet, dass sich in den zwei Koffern des Weltranglistensiebten schon das üppige sechsstellige Preisgeld befindet, als Iwantschuk mit seiner Gattin Platz im Taxi gen Flughafen nahm. "Das war schon krass, weil es noch auf dem Hotelgelände passierte", fand der Überfallene. Doch die Halunken erbeuteten kaum Wertvolles - vor allem den Reisepass von Oxana Iwantschuk vermissten die Opfer. Ohne Visum musste sie zurück nach Lwiw reisen. "Ich hatte Glück, dass ich mein Laptop zwischen die Beine gestellt hatte - dort entging es den Gaunern", freute sich der Großmeister, dass ihm wenigstens seine Eröffnungsanalysen für die Rückrunde erhalten blieben.

Einen unbedeutenden Teil der Beute vermisst Iwantschuk dennoch, wie er im Interview einer russischen Webseite bekannte: "Auch wenn es nichts monetär Wertvolles war, besaß mein Schachset einen besonderen Wert. Ich benutzte es viele, viele Jahre", trauert der Ukrainer seinen Holzfiguren hinterher und hoffte, dass die Beute "wie durch ein Wunder an ein intelligentes Kind gerät, das Schach lernt und dann vielleicht dereinst ein berühmter Spieler wird".

Seinen Groll nach dem Solo-Flug bekam Hikaru Nakamura in Bilbao zu spüren. Gegen den Amerikaner agierte der Spitzenreiter zum Auftakt der Rückrunde kaum weniger gewalttätig als seine Peiniger in Brasilien: "Mit Wut im Bauch", wie die Webseite Chessbase.de notiert, zertrümmerte Iwantschuk mit "wuchtigen Schlägen den Königsflügel" des Gegners.

Typisch dann, dass der aufgekratzte 42-Jährige anschließend im Kulturzentrum Alhondiga gegen das spanische Schlusslicht Francisco Vallejo Pons unterlag. Der ehemalige Europameister und Vizeweltmeister von 2002 führt ein Leben in Extremen. Für ihn gibt es kein Dazwischen, keine Grauschattierung. Nur Schwarz und Weiß - am liebsten tagein, tagaus mit 32 Holzfiguren darauf. Mal gewinnt Iwantschuk große Turniere im großen Stil - und beim nächsten verliert der Liebling der Fans die erste Partie, seine Lust und wird abgeschlagen Letzter. Deshalb stürzte der frühere Remagener Bundesligaspieler 2009 auf Platz 30 der Weltrangliste ab, nachdem er ein Jahr zuvor rechnerisch für drei Tage ganz vorne gelegen hatte. "Wo ich stehe, hängt allein von meiner Form ab", weiß das Genie, dass es an guten Tagen jeden schlagen kann. Entrückt starrt Iwantschuk dann "an die Decke, das ist besser. Es vernagelt mir nicht den Kopf, ich sehe die Position klarer, die aus der Brettstellung nach fünf, sechs Zügen entstehen kann! Manchmal ist der Blick weg an die kahle Wand sehr hilfreich!", erklärt Wassyl-guck-in-die-Luft allen Ernstes.

An schlechten stehen dort aber nicht die besten Züge. Dem Kauz hilft nach Niederlagen seine eigene Therapie: "Manchmal liebe ich es, einfach in einem dunklen Raum zu sein und mich zu erholen. Das ist aber ein wichtiger Unterschied: Nicht im Bett zu liegen, sondern auf einem Stuhl zu sitzen! Dabei erhole ich mich wirklich gut!" Aber in Bilbao brauchte "Chuky", wie sein Spitzname lautet, keine Gardinen zuziehen. Erst in der vorletzten Partie der Rückrunde schloss Magnus Carlsen mit einem Sieg im direkten Duell zu ihm auf.

Danach gingen der Weltranglistenerste aus Norwegen und Iwantschuk mit 15 Zählern (für einen Sieg gab es drei und ein Remis einen Punkt) über die Ziellinie. Im Stichkampf setzte sich Carlsen mit 1,5:0,5 durch. Nakamura, der Armenier Lewon Aronjan und der enttäuschende Weltmeister Viswanathan Anand (alle 12) folgten mit gehörigem Abstand. Der Spanier Vallejo Pons (10) fiel durch die Schlussrunden-Niederlage gegen seinen Baden-Badener Vereinskameraden Anand wieder auf den letzten Platz zurück.

Nachstehend die Partie, mit der sich Iwantschuk nach dem Überfall abreagierte.











Iwantschuk,W (2765) - Nakamura,H (2753) [B43]
Grand Slam Final Masters Sao Paulo/Bilbao, 06.10.2011

1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 a6 5.Sc3 Dc7 6.Ld3 Sf6 7.f4 Lb4 8.Sb3!? Der Zug ist ungewöhnlich - normalerweise weicht Weiß mit dem Springer nach b3 zurück, wenn Schwarz erst Lc5 spielt. Nun erhält Nakamura dieselbe Stellung mit einem Tempo mehr. 8...Lxc3+ 9.bxc3 d6 [ 9...Dxc3+ 10.Ld2© Dc7 11.e5 Sd5 12.c4 Se7 13.Lb4 Sbc6 14.Ld6 Db6 15.Lc5 Dd8 ist riskant. Weiß hat für den Bauern den riesigen schwarzfeldrigen Läufer und Schwarz Entwicklungsprobleme.] 10.La3 0-0 [ Auch diesmal dürfte der Bauernraub 10...Dxc3+ zweifelhaft sein: 11.Dd2 Dxd2+ 12.Sxd2 d5 13.exd5 exd5 ( 13...Sxd5 erlaubt 14.Sc4 Kd7 15.Le4 Kc7 mit gutem weißen Spiel.) 14.0-0 Sc6 15.Tfe1+ Kd8 16.Sf3 Lg4 17.Sg5 Lh5 18.Lb2 h6 19.Lxf6+ gxf6 20.Sh7!+/- ] 11.Dd2 Td8 12.0-0 Sc6 13.Tf3 b5 14.Tg3 Iwantschuk hat einen Turm in Stellung gebracht. 14...Kh8 15.Tf1 Lb7 16.f5 Tg8 17.Dg5 e5 Es stellt sich die Frage, ob das schöne Feld nicht irgendwann ein Springer einnehmen sollte. 18.Dh4! Se7? [ 18...Sb8 nebst 19.-- Sbd7 sieht deutlich besser aus. So überdeckt Schwarz den Springer auf f6 und fasst 20.-- Sc5 ins Auge.] 19.Th3+/- d5 20.Sc5?! Gefälliger wirkt [ Gefälliger wirkt 20.Tff3 wegen einer Variante. 20...Tgc8 ( 20...dxe4? erlaubt nämlich das hübsche 21.Dxh7+!! Sxh7 22.Txh7+ Kxh7 23.Th3# ) 21.Lxe7! Dxe7 22.g4 dxe4 23.g5 h6 24.gxf6 Dxf6 25.Lxe4 mit Mehrfigur.] 20...dxe4 21.Lxe4 Ld5! 22.g4 h6?! [ 22...Db6 scheint besser. 23.Tf2= ] 23.g5 Sh7?! Nakamura unterliefen zwei schwache Züge, die den weißen Angriff befeuern. [ 23...Sxe4! 24.Sxe4 Lxe4 25.Dxe4 Tac8 26.f6 Sg6 27.Lc1 Db6+ 28.Kh1 De6+/= hält Schwarz im Spiel.] 24.f6! Sg6 25.fxg7+ Txg7 26.Dxh6 Td8 27.Lxg6 fxg6 28.Tf6 Dc8 [ 28...Lxa2! ist zäh, vor allem nach 29.Txg6 Df7 30.Tf6 Txg5+ 31.Dxg5 Tg8 32.Txf7 Txg5+ 33.Kf2 Lxf7 34.Sxa6+/= ] 29.Th4 Lf7? [ 29...Tdg8 ist sicherer.] 30.Sd3 Kg8? Das wirft die Partie weg. [ 30...Txd3! 31.cxd3 Dxc3 reicht Schwarz, um ins Remis zu entkommen!] 31.Ld6 e4? [ 31...Te8 macht es Weiß nicht ganz so leicht.] 32.Le5! Td5 33.Tc6! Df8 Es drohte ein Matt auf g7. 34.Lxg7 [ 34.Tc8+- geht genauso.] 34...Dxg7 35.Txe4 [ 35.Tc8+ Sf8 36.Txe4 Dxh6 37.gxh6 Th5 38.Te7 Txh6 39.Se5 entscheidet ebenfalls.] 35...Txg5+ 36.Dxg5! Sxg5 37.Tc8+ Le8 [ 37...Df8 38.Txf8+ Kxf8 ist hoffnungslos.] 38.Tcxe8+ Kh7 39.Th4+ Nakamura verliert die Dame. 1-0



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