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Richtig Rudern in der Schachdatenflut

Fünf ChessBase-Silberscheiben wollen ihre Nutzer zu neuen Ufern des Schachwissens navigieren

von Harald Fietz, Februar 2003

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   Nicht nur Berufsschachspieler sehen sich im 21. Jahrhundert zunehmend gezwungen, ihr Eröffnungsrepertoire zu erweitern oder gar neue Systeme zu spielen. Datenflut und Aktualität helfen im Internetzeitalter den Gegnern, die mit Datenbank und Schachprogramm systematisch nach Lücken in Abspielen fahnden. Mancherorts wird dieser Trend als schädliche Verwissenschaftlichung des originären Spielgedankens beklagt, doch fördert dieser Weg ohne Zweifel die Erkenntnistiefe über die erste Phase des Schachspiels. Schachwissen erwirbt man nicht mehr nur mit Nachspielen von Zugfolgen und Partien, sondern die CD-ROM als multimediales Hilfsmittel erlaubt, durch Visualisierung Zusammenhänge zwischen statischen und dynamischen Schachelementen zu verinnerlichen. Diese ermöglicht zudem, Trainingsdateien und Variantenbäume als interaktive Lernmethoden zu nutzen. Das Eröffnungswerk klassischer Prägung gerät ins Hintertreffen und Buchproduzenten suchen nach Nischen: Englische Verlage setzen schon länger verstärkt auf Einführungsbücher (z.B. John Emms, "Easy guide to Nimzo-Indian", Cadogan 1998, Tony Kosten, "Mastering the Nimzo-Indian with the read and play method", Batsford 1998 oder Chris Ward, "Starting out: the Nimzo-Indian", Everman Chess 2002), deutsche Verlage bieten vereinzelt hochwertiges Layout und gründliche Recherche, wie beim vielgelobten Buch aus dem Hause Chessgate von Stefan Kindermann und Ulrich Dirr zur französischen Winawer-Varainte. Bisweilen wird einer Modevariante ein ganzer Band gewidmet (z.B. Bogdan Lalic, "Classical Nimzo-Indian - the ever-popular 4.Qc2", Everyman Chess 2001). Doch die Silberscheiben in gefälligen DVD-Hüllen füllen stetig die Bücherregale.

   Mitte 2002 meldete das Statistische Bundesamt, dass im Januar 2001 bereits 53 Prozent aller deutschen Privathaushalte über einen Personalcomputer verfügen, die Internet-Anschlussquote lag bei 27 Prozent. Da wundert es nicht, dass die Firma ChessBase als Marktführer monatlich zwei bis drei Produktionen - vorwiegend zu Eröffnungen - herausbringt. Fünf Angebote sollen unter die Lupe genommen werden. Anhand aktueller Partien vom Europacup für Vereinsmannschaften im griechischen Chalkidiki wird zudem überprüft, wie exakt die Autoren das theoretische Umfeld orten.

 

Vadim Milov: Nimzo-Indisch 4.f3 und Sämisch-Variante

 

Vadim Milov: Nimzo-Indisch 4.f3 und Sämisch-Variante

ChessBase 2002, ca. 25 Euro
CD-ROM ISBN 3-935602-47-2

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4,0 aus 5

 

Thema

Der in der Schweiz lebende Schach-Profi Vadim Milov hat sich zwei Eröffnungssystemen der Nimzowitsch-Indischen Eröffnung gewidmet, die beide von Zeit zu Zeit in Mode kommen. Sowohl der Sämisch-Variante als auch der 4.f3-Variante ist eigen, dass die Errichtung eines Bauernzentrums und schnelle Entwicklung der Figuren angestrebt werden. Damit unterscheiden sie sich von den positioneller ausgerichteten Hauptvarianten mit 4.e3 oder 4.Dc2. In den 50er Jahren suchte die sowjetische Schule mit Michail Botwinnik, David Bronstein, Efim Geller und Boris Spasski hier nach neuen Wegen. Zuvor hatte auch 1942 Klaus Junge zweimal damit experimentiert. Zwar gab es immer mal wieder aufsehenerregende Siege (z.B. Gheorghiu gegen Fischer in Havanna 1966), aber Hauptsysteme wurden die Varianten nicht. Dennoch sind über 2900 Partien vor 1990 gespielte Partien eine überaus solide Werkschau der beiden Varianten, die seit 1999 durch Spieler wie Alexei Schirow, Alexei Drejew, Konstantin Sakajew, Juri Yakovich und insbesondere Sergei Wolkow wieder salonfähig gemacht werden.

Konzept

Das Konzept der CD-ROM ist konventionell, aber schlüssig: Eine Einleitung nebst zehn Einführungstexten zur Varianten, 6950 Partien (davon 68 vom Autor kommentiert) und abschließend 20 Partien mit Trainingsfragen. Ein wenig mehr an historischen Hintergründen und statistischen Auswertungen hätte es sein dürfen, doch die Einführungstexte sind gut strukturiert und der Autor spart lobenswerterweise bei den Zusammenfassungen nicht mit subjektiven Bewertungen. Auch das Trainingsmaterial konfrontiert den Nutzer mit knapp-skizzierten Situationsbeschreibungen didaktisch geschickt, so dass man stets das Gefühl hat, wie in einer echten Partie, nun die eine wichtige Entscheidung treffen zu müssen. Die analysierten Partien sind an instruktivsten, wenn sie mit Texten ergänzt werden. Solche Statements hätte man sich häufiger gewünscht, da bloße Informatornotation für Spieler unter DWZ 2000 in der Regel nicht sehr hilfreich ist.

Fazit

Die Revue der für kreative Ideen noch offenen Varianten schließt dennoch fundamentale Lücken, da die meisten gedruckten Produktionen vorrangig aus Platzgründen selektiv vorgehen. Dabei meinte Viktor Kortschnoi, der für seine Abneigung neutraler Standpunkte bekannte Landsmanns des Autors, meint in einer Kommentierung seiner Beste-Partien-Sammlung zur Sämisch-Variante: "Meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, den verfrühten Läuferzug zu widerlegen." (Band 1, S. 199) . In diesem Sinne werden auch der Spieler über DWZ 2000 und selbst der Meisterspieler froh sein, hier ein umfassendes Kompendium zu finden. Für Spieler mit DWZ unter 2000 empfiehlt sich als ergänzender Leitfaden beispielsweise das Buch von Emms, das beiden Varianten immerhin 19 Seiten widmet. Auch Ward führt auf 12 Seiten in grundlegende Prinzipien ein.

Und danach

Für den Zeitraum 1999 bis Anfang 2002 stehen rund 1000 Partien zur Verfügung. Der St. Petersburger GM Sergei Wolkow, der in der Datenbank 32 Mal (18+/8=/6-) mit den weißen Steinen vertreten ist, wird in den drei Jahren mit 18 Begegnungen geführt. Und im September 2002 traf er auf die für Polonia Warschau spielende Nummer eins der Frauen, die im Datenbestand mit zwei Niederlage gelistet ist. Diesmal sollte es in einer dramatischen Partie etwas mehr werden.

 










S. Wolkow - J. Polgar [E25]
Chalkidiki 2002

 

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.f3 d5 5.a3 Lxc3+ 6.bxc3 c5 7.cxd5 Sxd5 [ Durch Zugumstellung erreichte die Ungarin gegen Garry Kasparow in Tilburg 1997 eine Stellung, in der dem Weltranglistenersten das Figurenspiel besser behagte: 7...exd5 8.e3 c4 9.Se2 Sc6 10.g4 h6 11.Lg2 Sa5 12.0-0 Sb3 13.Ta2 0-0 14.Sg3 .] 8.dxc5 Da5 9.e4 Se7 Bei der vorletzten FIDE-WM in Neu Dehli 2000 begegneten sich zwei Experten in dem Abspiel [ 9...Sf6 10.Le3 0-0 11.Kf2 Sfd7 12.Tb1 Td8 13.Tb5 Dxa3 14.Se2 Sc6 15.Sd4 e5 16.Sxc6 bxc6 17.Tb1 La6 18.Lxa6 Dxa6 und obwohl Konstantin Sakajew mit Schwarz gegen Wolkow später nach einem Fehler verlor, hat Schwarz alles unter Kontrolle.] 10.Le3 0-0 11.Db3 Dc7 12.Tb1 Der neue Zug! Milov widmet sich den drei Alternativen, die aber allesamt keine Ausgleichsprobleme für Schwarz stellen. Die wichtigsten Ideen des Nachziehenden sind, e5 zu spielen und Figurenentwicklungen mit Le6 sowie der Springerüberführung von e7-c6-a5 umzusetzen, um Druck gegen c4 auszuüben. Hinzu kommt die Idee mit b6,cxb6 und axb6 ausreichend Drohungen in der a- und c-Linie zu schaffen. Keiner der Züge 12.Td1, 12.Lb5 oder 12.Sh3 konnte Schwarz bisher dauerhaft Sorgen bereiten. 12...Sd7 13.Dc4 Sc6 14.Sh3 b5 15.Da2 a6 16.c4 e5 17.cxb5 axb5 18.Lxb5 Sd4 19.Lxd4 exd4 20.c6 Se5 21.0-0 Selbst mit zwei Minusbauern hat Schwarz durch sein Figurenspiel Kompensation. [ 21.Sf2 Le6 22.Dd2 Tfd8 23.a4 Sc4 hält ebenfalls die Balance.] 21...Lxh3 22.gxh3 d3 23.Kh1 Tfd8 24.a4 Sxc6 25.Tbc1 Db6 26.Txc6 Dxb5 27.Dxf7+ Kxf7 28.axb5 Auch im Endspiel behauptet Schwarz die Initiative. 28...Ta2 29.b6 Te2 30.Tcc1 d2 31.Tb1 Kf6 32.b7 Tb8 33.h4 Ke5 34.h5 Kd4 35.Kg1 Kc3 36.h6 g6 37.Kh1 Kc2 38.Kg1 g5 39.Kh1 Te3 40.Kg2 Td3 41.Tb5 d1D 42.Tc5+ Kd2 43.Txd1+ Kxd1 44.Tc7 Ke2 45.Txh7 g4 46.f4 Th3 47.f5 Ke3 48.f6 Kf4 49.f7 Kxe4 50.f8D Txf8 51.Te7+ Kd4 52.h7 Th5 53.Tg7 Tb8 54.Tg8 1/2-1/2

 

Eine zweite Meinung: Rezension von FM Hans Wiechert.

 

 

Reinhold Ripperger: Wie spielt man Nimzo-Indisch?

 

Reinhold Ripperger:  Wie spielt man Nimzo-Indisch?

ChessBase 2002, ca. 20 Euro
CD-ROM ISBN 3-935602-45-6

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 2 aus 5

 

Thema

Der erste Vorsitzende des Schachclub St. Ingbert wagt sich an ein umfangreiches Terrain, denn er nimmt sich eine einführende Betrachtung der gesamten Nimzo-Indischen Eröffnung vor. Diese ambitionierte Herangehensweise skizziert er eingangs: "In mehr als 300 entscheidenden Partien werden die verschiedenen Systeme der Nimzowitsch-Indischen Eröffnung aufgezeigt, Methoden der Stellungsbeurteilung dargelegt, das Entwickeln und Durchführen strategischer Pläne demonstriert und taktische Besonderheiten analysiert."

Konzept

Neben den über 300 Partien gibt es einige Sätze über den Namensgeber Nimzowitsch, ein Dutzend kurzer Texte zu Bauernstrukturen rund um die Eröffnung und sieben Statements zur Unterteilung in die Informator-Code. Die Trainingsdatei enthält 35 Partien, darunter aber auch reine Wissensfragen, welcher Zug, welche Variante einleitet. Als Beigabe werden über 47000 Partien mit Analysen aus früheren Chessbase-Produktionen, vorzugsweise der Magazine, dazugepackt (allein Lubomir Ftacnik ist mit 280 Analysen vertreten). Aber dieser Materialteil, der insgesamt über 1300 - zumeist nur mit Varianten versehenen - Partien enthält, hat leider keine inhaltliche Verknüpfung zum Analysepart.

Fazit

Da sich das Vorhaben an den jugendlichen Spieler oder den lernwilligen Vereinsspieler richtet, muss zentral die Qualität der Erklärungen für diese Zielgruppe beurteilt werden. Hier bleibt der Autor aber hinter seinem eigenen Anspruch zurück, benennt keine Quellen und nutzt kaum die Möglichkeiten, Zusammenhänge optisch anschaulich zu machen. Die Übersichten zu den Systemen sind reichlich dünn. Gerade als Vorspann zu über 300 Partien mit vorwiegend textlichen Ausführungen hätte hier allein der gewaltige Bestand deutscher und englischer Literatur ausgereicht, mehr historisches und aktuelles Hintergrundwissen zu liefern und die Wechselwirkungen zwischen Bauernstrukturen und Figurenspiel aufzuzeigen (einen ähnlichen, aber umfangreicheren Ansatz in 22 Kapiteln verfolgt beispielsweise das Buch von Kosten). Die meisten Aussagen Rippergers bleiben zu allgemein. Seine Befunde gelten für viele Eröffnungen und werden selten in den Kontext des Nimzo-Inders gestellt: "Ist das Brett durch Bauern verstellt, gibt es für Türme oder Läufer zu wenig Bewegungsfreiheit." oder "Bauern sind in großer Zahl vorhanden. Diese Vielzahl macht sie ungewöhnlich stark. Schon wenn zwei verbundene Bauern vorrücken, können sie in den Reihen des Gegner Panik auslösen." Leider fehlen neben der Visualisierung in Partien und Texten (selbst Diagramme wurden kaum verwendet) auch zusammenfassende Statements und Merkregeln. Wer praktische Anleitungen will, lernt - obwohl das Buch von 1998 ist und ausreichend Englischkenntnisse verlangt - auf 140 Seiten bei Tony Kosten wesentlich mehr. Auch das neuste Buch von Chris Ward liefert reichlich nützliche Tipps. Diese CD kann höchstens Novizen und Vereinsspielern bis DWZ 1700 empfohlen werden.

Und danach

In den 90er Jahre hat Capablancas Lieblingssystem mit 4.Dc2 einen Aufschwung erlebt und ständig galt es, sich mit vielen Partien auf dem Stand der Diskussion zu halten. Um 1997/98 kam - sicher auch aus rein praktischen Gründen - das scharfe 5.e4 als Antwort auf 4...0-0 in Mode. Die treffliche Überraschungswaffe, die auch Waldimir Kramnik anno 1998 bei seiner WDR-Fernsehpartie gegen Michael Adams anwandte, bedeutet zugleich eine erhebliche Arbeitserleichterung, waren doch nur 100-200 Spiele zu durchleuchten, um die wichtigsten Ideen zu verstehen. Der 25-jährige Großmeister Ivan Ivanisevic ist einer der Hauptverfechter. Im gesamten Datenbestand ist der im Europacup für Kisela Voda Skopje startende jugoslawische Nationalspieler mit 20 Partien vertreten. Unter dem E32-Eröffnungsindex ist er neunmal ausgewiesen, davon achtmal mit 5.e4. Aber leider vermittelt Ripperger nirgends etwas über die aktuellen Trendsetter und was Experten-Großmeister in bestimmten Varianten bevorzugen. Zu einem der meistdiskutiertesten Systeme, dem Lalic in seinem 2001 erschienen Buch 16 Seiten widmete, wird bei seinen 300 Analysen einzig die Informatoranalyse der TV-Begegnung ohne Erklärungen gebracht. In der fünften Runde des Europacups 2002 war es für Ivanisevic wieder einmal soweit. Gegen die Ukrainer von Danko Donbass saß ihm Georgi Timoschenko gegenüber. Bereits im zehnten Zug stieß man auf Neuland.

 










I. Ivanisevic - G. Timoschenko [E32]
Chalkidiki 2002

 

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.Dc2 0-0 5.e4 Kortschnoi mag diesen Zug nicht: "Hin und wieder ist 5.e4 versucht worden, doch allen Erfahrungen zufolge macht sich nach 5...d5! der weiße Entwicklungsrückstand bemerkbar." (Meine besten Kämpfe, Band 2, S. 144). Aber der Serbe ist anderer Meinung. 5...d5 Hier gibt es zwei wichtige Alternativen: [ 5...c5 6.e5 cxd4 7.a3 dxc3 8.axb4 cxb2 9.Lxb2 Se8 10.Sf3 d5 11.b5 f5 12.cxd5 exd5 13.Ld3 Dc7 14.Db3 Le6 15.Tc1 Da5+ 16.Lc3 Dd8 17.Lb4 Tf7 18.Sd4 und Weiß stand überlegen in Ivanisevic - Bagaturov, Panormo (Zonenturnier) 1998.; 5...d6 6.a3 Lxc3+ 7.bxc3 e5 8.Ld3 c5 9.Se2 Sc6 10.0-0 exd4 11.cxd4 cxd4 12.Lg5 h6 13.Lh4 Se5 14.Sxd4 Sg6 15.Lg3 Sh5 16.Tad1 und Weiß agierte harmonischer in Ivanisevic - Barlov, Belgrad 1999. ] 6.e5 Se4 7.a3 Auch in anderen Partien des Weißspielers wird - wie in der Hauptpartie - der h7-Bauer einkassiert: [ 7.Ld3 c5 8.cxd5 exd5 9.Sge2 cxd4 10.Sxd4 Sd7 ( 10...Dc7 11.0-0 Dxe5 12.Sf3 Dh5 13.Sxd5 Dxd5 14.Lxe4 Dh5 15.Sg5 Sc6 16.Lxh7+ und Weiß stand besser in Ivanisevic - Kostic, Vrnjacka Banja 1999.) 11.f4 Dh4+ 12.g3 Dh3 13.Ld2 ( Alternativ brachte 13.Lf1 Dh5 14.Lg2 Sb6 15.0-0 Lxc3 16.bxc3 Lh3 17.f5 Lxg2 18.Dxg2 Sc4 im TV-Duell Kramnik-Adams, 1998 den Ausgleich.) 13...Sxg3 14.Lxh7+ Kh8 15.Tg1 Sh1 Ein außergewöhnlicher Zug, ganz im Stil des extravaganten Engländers. 16.0-0-0 Dxh7 17.Txh1 Sb6 18.Sce2 Dxc2+ 19.Sxc2 Lxd2+ 20.Txd2 f6! und Schwarz sicherte sich langsam die Initiative in Ivanisevic - Speelman, Istanbul (Olympiade) 2000.] 7...Lxc3+ 8.bxc3 c5 9.Ld3 Da5 10.Se2 Die Neuerung. Von drei Referenzpartien in der großen Datenbank sind zwei aussagekräftig: [ 10.Lxe4 dxe4 11.Ld2 Da6 12.Dxe4 Dxc4 13.Se2 Sc6 14.0-0 Td8 15.Lg5 Td5 16.f4 cxd4 17.cxd4 Sxd4 18.Sxd4 Dxd4+ 19.Dxd4 Txd4 20.Tfd1 Td5 21.Tac1 b6 22.Txd5 exd5 23.Tc7 reichte dem Ex-Weltmeister gerade so zum Remis nach 45 Zügen in Euwe - Muhring, Johannesburg 1955.; 10.cxd5 exd5 11.Ld2 Lf5 12.f3 Sxd2 13.Lxf5 Sc4 14.Kf2 cxd4 15.cxd4 g6 16.Ld3 Db6 17.Se2 Sxe5 18.Tab1 Sxd3+ 19.Dxd3 Dc6 20.Thc1 brachte ebenfalls ausreichend Kompensation in Lauber - Lugovoi, Hamburg (Wichern-Open) 2001.] 10...cxd4 11.cxd5 exd5 [ Hier zeigt sich das taktische Gepräge der Variante besonders deutlich: 11...Sxc3 12.Lxh7+ Kh8 13.Sxd4 Se4+ ( Nach 13...g6 14.Ld2 Dxd5 ( 14...Kxh7 15.Lxc3 Dxd5 16.Sf3 ) 15.Lxc3 Dxg2 16.0-0-0 Kxh7 ( 16...Dg5+ 17.Ld2 Dxe5 18.Lxg6 fxg6 19.Dxg6 ) 17.h4 spielt nur Weiß.) 14.Kf1 exd5 15.Lxe4 dxe4 16.Dxe4 und alles bleibt offen.] 12.f3 Sc5 13.Lxh7+ Kh8 14.0-0 dxc3 15.Sxc3 Le6 16.f4 Sc6 17.f5 Kxh7 [ Völliges Chaos bricht nach 17...d4 18.fxe6 Dxc3 19.exf7 Sxe5 20.De2 aus.] 18.fxe6+ Kg8 19.exf7+ Txf7 20.Txf7 Kxf7 21.Ld2 Se6 22.Df5+ Der Rest der Gewinnführung ist geprägt von Zeitnot. 22...Ke7 23.Lg5+ Sxg5 24.Dxg5+ Kf7 25.e6+ Kxe6 26.Dxg7 Td8 27.Tf1 Kd6 28.Dg3+ Kd7 29.Tf7+ Kc8 30.Sb5 Td7 31.Tf8+ [ 31.Sd6+! gewinnt direkt. Jetzt braucht Weiß die Unterstützung der Uhr, um mittels Zeitüberschreitung den Punkt zu holen.] 31...Sd8 32.a4 Db6+ 33.Kh1 a6 34.Dc3+ Kb8 35.Tf6 Sc6 36.Dg3+ Ka8 37.Tf8+ Sd8 38.Dc3 Dc6 39.Da1 d4 40.h3 1-0

 

Eine zweite Meinung: Rezension von Michael Lorenz.

 

 

Martin Breutigam: Königsindisch mit h3

 

Martin Breutigam: Königsindisch mit h3

ChessBase 2002, ca. 25 Euro
CD-ROM ISBN 3-935602-50-2

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4 aus 5

 

Thema

Das Schach ist eine Leidenschaft, und bisweilen kommt noch die Passion für einige spezielle Eröffnungen hinzu. Diesem Motto hat sich FIDE-Meister Martin Breutigam verschrieben. Königsindisch mit h3 erzielt nämlich eine Erfolgsquote von 60 Prozent. Also kein schlechtes Argument - auch für viele Weltklassespieler. In der Datenbank ist Michal Krasenkow mit 65 Spielen stark präsent und auch der letztes Jahr verstorbene Wladimir Bagirow hatte ein Faible dafür (56x). Selbst Kasparow (11x) wandte die Variante letztmals 1996 auf Las Palmas gegen Kramnik an. Sein Nachfolger wählte sie 7x mit Weiß. Aus den Top 20 sind ansonsten Shirow (16x mit beiden Farben), Jewgeni Barejew (14x nur mit Weiß), Iwan Sokolow (13x mit beiden Farben) und Alexander Chalifman (10x mit beiden Farben) dabei. In der erweiterten Weltspitze ist Alexander Beljawski (20x) zu nennen. Besonders en vogue ist der Vorbeugezug auch bei Großmeistern aus der zweiten Reihe (Akesson, Agrest, Cebalo, Barbero, Ivanisevic und viele, viele mehr) Und Bent Larsen blickt laut Datenbank auf 28 Partien in fast 40 Jahren zurück; er brauchte eben ein paar Seitenweg gegen die sowjetische Analysephalanx.

Angesichts dieser Beliebtheit widmet sich der Bundesligaspieler der SG Bremen den Hauptvarianten: 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.h3 (Informatorschlüssel E 71) und 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.Sf3 0-0 6.h3 (E 90 - John Watson taufte diese Variante das Bagirow-System, eine Bezeichnung, die sich allerdings nicht durchgesetzt hat). Ergänzt werden diese Eckpfeiler der Untersuchung um die Zugfolge 5.Sf3 Lg4 sowie die Abtauschvariante mit 5.Sf3 0-0 6.h3 e5 7.dxe5.

Konzept

Breutigam strukturiert sein Material natürlich entlang einer Hauptdatenbank, die in seinem Fall 10452 Partien enthält und hat anhand von 150 Begegnungen besonderes Augenmerk auf eine bislang in der Schachtheorie fehlende Systematik plus Einführungskommentaren. Daneben bietet seine Training-Einheit 20 Partien, die - wohl wegen der Pläne in frühem Partienstadium - hier zurecht nicht in typische Stellung springen, sondern das Geschehen von Zug eins an aufdröseln. Die eigentliche Qualität offenbaren die 150 Paradebeispiele. Hier fällt auf, dass der Autor bereits mit der Produktion der CD zur Tschigorin-Verteidigung einige Erfahrung gesammelt hat. Seine grundsätzlichen Aussagen unterstreicht er einprägsam mit Diagrammen und nutzt ausgiebig die optischen Hilfsmittel, mittels Pfeilen Abläufe darzustellen. Die Kommentaren zeigen, dass hier zwei Jahrzehnte an "Eskorte des Systems" aufgebreitet werden. Einige Stellen weisen auf eine Artikelreihe, die Otto Borik 1982 als Herausgeber von "Schachmagazin 64" im Frühstadium der 1979 gegründeten Zeitschrift zusammenstellte. Der damals 17-jährige Breutigam fing Feuer und alte Liebe rostet nicht. Der Charme seines Werbens für diesen Königsinder liegt entsprechend einerseits bei den ausführlichen Varianten, die nicht nur mit der minimalen "Informator-Hilfssprache" abschließen, sondern mit viel Vokabular unterfüttert werden, und andererseits in der gelungenen Verquickung zwischen gegenwärtigem Theoriestand und historisch entstandenen Einschätzungen. Es ist eben etwas anderes, ob Jahre gelebter Schacherfahrung präsentiert werden, oder ob - auftragsbedingt - ein Themenfeld erschlossen wird.

Fazit

In der Bilanz bietet der konzeptionelle Ansatz etwas für ein breites Spektrum an Nutzern. Das Ergebnis müsste Spielstärken vom Amateur bis zum Halb- und Vollprofi zufrieden stellen. Die Vereinsspieler wissen die vielen grundsätzlichen Stellungsbeschreibungen zu schätzen, der erfahrene Crack die komplette Schau der Erkenntnisse bis etwa Mitte 2002. Um die mentale Einstimmung zu steigern kann ein in 2002 neuaufgelegtes Buch von Joe Gallagher "Beating the Anti-King's Indian" (Erstauflage 1996 bei Batsford) dienen, welches selbst in Kreisen vieler Bundesligaspieler Kultstatus erreicht hat, weil es explizit den schwarzen Standpunkt herauskehrt. Dem Widerstand gegen die Systeme mit h3 sind 22 Seiten gewidmet. Genau doppelt so umfangreich ist das entsprechende Kapitel in einem anderen Insider-Buch, der amerikanischen Veröffentlichung von John Watson "The unconventional King's Indian" (Hypermodern Press 1997). Mit der Kombination CD-Buch kann jeder Lernwillige Fortschritte erzielen - die Informationslücken sind jedenfalls geschlossen.

Und danach

Egal wer sich an dieses Eröffnungsthema wagt, der Name Krasenkow wird ihm mehr als einmal begegnen. Dessen Erfolgsquote erreicht bei immerhin 65 Partien phänomenale 83 Prozent. Diese Autorität hat sich scheinbar nicht überall herumgesprochen, denn bei Mannschaftseuropacup 2002 siegte er erneut - der Gegner griff auch diesmal in den Wirren des Mittelspiels fehl. Es handelte sich dabei um Lorenc Rama von Studenti aus Albanien.

 










M. Krasenkow - L. Rama [E90]
Chalkidiki 2002

 

1.Sf3 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.d4 0-0 6.h3 e5 [ Eine wichtige Vergleichspartie mit ähnlichen Ideen am Königsflügel wurde genau ein Jahr zuvor beim gleichem Wettbewerb gespielt: 6...Sa6 7.Lg5 De8 8.g4 e5 9.d5 Sd7 10.Tg1 Kh8 11.a3 f5 12.gxf5 gxf5 13.b4 Sf6 14.Ld3 Sxe4 15.Sxe4 fxe4 16.Lxe4 Lf5 17.Sd2 Dg6 18.Tg4 Dh5 19.Tg3 Dxd1+ 20.Txd1 Ld7 21.Ke2 Tf7 22.Tdg1 Taf8 23.Le3 b6 24.Sf3 Lf5 25.Lxf5 Txf5 26.Sg5 Te8 1-0 Krasenkow - Andonovski, Panormo 2001] 7.d5 a5 8.Lg5 Sa6 9.Le2 De8 10.Sd2 Sd7 11.g4 f6 Ein neuer Weg, denn alle Referenzpartien setzen hier mit 11...Sdc5 fort. 12.Le3 f5 Ein typischer Durchbruch, wie er dem Königsindisch-Spieler liegt. Vergleichbare Stellungen (allerdings mit dem zusätzlichen Zugpaar h4 für Weiß und Sdc5 für Schwarz) werden auf der CD-ROM mit "Zu voreilig" beurteilt. Weiß wählte aber einen anderen Plan: 13.exf5 gxf5 und dann 14.g5! 13.gxf5 gxf5 14.exf5 Sf6 15.Sde4 [ Nach 15.Ld3 Sb4 16.Lb1 Kh8 17.Tg1 hält Weiß einen Mehrbauern fest, der allerdings wenig wert ist.] 15...Sxe4 16.Sxe4 Lxf5 17.Lh5 Lxe4? Ein typisches Beispiel des Stolperns auf unvertrauten Terrain: Weiß hat alle Operationen fast routinegemäß ausgeführt und Schwarz "überspannt". Der Rest ist schnell abgearbeitet. [ Nach 17...Dd8 18.Lg5 Dd7 19.Lg4 Df7 blieb alles offen.] 18.Lxe8 Lxh1 19.Lh5 Le4 20.Kd2 c6 21.Dg4 Lf5 22.Dg2 Kh8 Es ist klar, dass Schwarz zu wenig Kompensation hat. Sein Gegenspiel kommt nur mühsam zustande und reicht letztlich nicht. 23.Tg1 Lf6 24.Lg5 Lg7 25.Le7 Lh6+ 26.Kd1 Sb4 27.Lxf8 Lc2+ 28.Ke2 Ld3+ 29.Ke1 Txf8 30.Lf7 Lg6 31.Lxg6 Tg8 32.De4 1-0

 

 

Dorian Rogozenko: Slawisch

 

Dorian Rogozenko: Slawisch

ChessBase 2002, ca. 30 Euro
CD-ROM ISBN 3-935602-42-1

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4,5 aus 5

 

Thema

Der moldawische Großmeister Dorian Rogozenko befasst sich ebenfalls mit einem Komplett-System. Die Slawische Verteidigung charakterisiert er, obwohl sie häufig als ruhige, positionelle Spielweise bezeichnet wird, als "komplexe Eröffnung, in der solides Stellungsspiel oftmals mit gewaltigen taktischen Komplikationen einhergeht." Der in dieser Saison erstmals für die Schachfreunde Neukölln antretende Bundesligaspieler, weist in seiner Einführung bereits auf die Bedeutung der Zugfolgen hin. Sein Werk richtet er in erster Linie an Schachamateure, aber gesteht er ein, dass selbst Großmeister mit Zugumstellungen bisweilen ihre Mühe haben. Wie also eine komplizierte Sache, in verständliche Form packen?

Konzept

Rogozenko, der zur Slawischen Eröffnung regelmäßig auf dem Schach.de-Server der Firma ChessBase Übungsstunden abhält, versteht gerade hier sein Metier. Er verwaltet eine Materialbasis von über 31000 Partien, die er in 85 Abspiele gliedert. Bereits hier offenbart sich ein deutlicher Unterschied zum eben besprochenen Konzept - die differenzierte Aufschlüsselung bedingt, dass Aufbauten und Pläne wesentlich genauer eingegrenzt werden. Manche Erläuterungen beginnen bereits beim 3. oder 4. Zug, um die große Line aufzuzeigen; andere nehmen den 11., 12. oder gar 14. Zug als Ausgangspunkt, um zu verdeutlichen, nach welchem Charakter sich die Variante verzweigt. Hilfreich zum Verständnis sind auch die Anmerkungen, welches Abspiel wann in Mode war.

Selbst analysiert hat der Autor 154 Partien; beim übrigen Material sind Robert Hübner gar mit 408 Analysen und Gerald Hertneck mit 109 Analysen vertreten. Ergänzt wird das Konzept - wie üblich - durch eine Trainingsdatei und einen Variantenbaum. Die Trainingsdatei enthält zwar nur 22 Beispiele, aber sie ist gerade in den Nuancen Beleg, warum diese Silberscheibe 10 Euro teurer ist: Ein Profi liefert eben dieses Quantum an Extragüte - die Fragen sind präzise und herausfordernd.

Fazit

Rogozenko bringt neben jeder Menge , teilweise bisher unveröffentlichter Analysen auch reichlich Erklärungen; diese sind selten allgemeiner Natur, sondern begründen präzise, welche einzelne Idee oder welcher Plan vorgegeben ist. Die 85 Einführungen sind gute "Navigationspunkte", um in die Untiefen der Varianten vorzustoßen. Die Zielgruppe ist wie bei Milov von Vereinsspieler bis zum Großmeister. Jene, die mit dieser Eröffnung neu beginnen, sollten erwägen, noch ein Einführungsbuch zu erstehen, z.B. Matthew Sadlers "The Slav" (Cadogan 1997). Der Engländer spielt wie der Moldawier die Eröffnung mit beiden Farben - und dass ist gut so, denn häufig bleiben sie dadurch - mit Erkenntnisgewinn für den Nutzer - gefangen im Spannungsfeld entgegengesetzter Ideen.

Und danach

In der Auftaktrunde des EU-Cups begegnete der Weltranglistenzehnte Wassili Iwantschuk am Spitzenbrett von Polonia Warschau Klaus Bischoff, der die österreichischen Farben von Klagenfurt unterstützte. Mit einer frühen Neuerung versuchte die deutsche Nr. 13 den in Lwow beheimateten Ukrainer zu beeindrucken, aber bereits nach 15 Zügen erlangte Schwarz Raumvorteil und die Kontrolle über die einzige offene Linie. Der Rest lehrt die präzise Umsetzung slawischer Strategie.

 










K. Bischoff - W. Ivantschuk [D15]
Chalkidiki 2002

 

1.c4 c6 2.Sf3 Sf6 3.Sc3 d5 4.e3 a6 5.d4 b5 6.cxd5 cxd5 Diese Stellung ist Ausgangspunkt für einen Einführungstext von Rogozenko, der veranschaulicht, wie er es versteht, Ideen aufzudecken: "Der Zug 6.cxd5 hat seine Vor- und Nachteile. Weiß möchte kein Tempo verlieren und seinen Damenflügel mit 6.b3 schwächen. Er hat leichten Entwicklungsvorsprung und kann später zwischen verschiedenen Plänen wählen. Nach Se5, Ld3, 0-0 und f4 könnte er einen Angriff am Königsflügel einleiten. Mit Hilfe von a2-a4 versucht Weiß, den Vorstoß b5 zu seinen Gunsten zu nutzen und Schwächen am schwarzen Damenflügel zu schaffen. Am besten fährt er vermutlich, wenn er beide Pläne kombiniert. Es muss allerdings gesagt werden, dass Weiß mit 6.cxd5 den Kampf um das Zentrum aufgibt und Schwarz mehr Platz für seine Figuren verschafft (der Springer erhält das Feld c6). Der Nachziehende hat eine gesunde Stellung, und wenn sein Gegner fehlgreift, kann dieser schnell in einer strategisch schlechteren Stellung landen." Zu jedem solcher Statements gibt es mindestens eine Referenzpartie. 7.Ld2 e6 Eine Allerweltsstellung und Weiß findet eine unorthodoxe Neuerung! 8.Se5, 8.Ld3 und 8.Tc1 sind die gängigen Züge. 8.Se2 Ld6 9.Sc1 0-0 10.Le2 b4 11.0-0 a5 12.Sd3 Se4 13.Dc2 La6 14.Tfc1 Sd7 15.Le1 Db8! Hier ist was schiefgelaufen: Schwarz erobert - in Verbindung mit dem Turmmanöver nach a7 - die c-Linie, obwohl Weiß sie momentan besitzt. 16.Dd1 h6 17.h3 Ta7 18.Sd2 Tc8 19.Txc8+ Dxc8 20.Sf1 Lb5 21.f3 Sef6 22.Tc1 Tc7 23.Txc7 Dxc7 Rogozenkos Anmerkung von der strategisch schlechten Stellung hat Berechtigung. 24.b3 Se8 25.Sc1 Lc6 26.Ld3 Db6 27.Lb1 Lb5 28.Lf2 Dc6 29.Se2 Sc7 30.g4 Lxe2 31.Dxe2 Sb5 Die schwarzen Felder im weißen Lager sind unübersehbar schwach. Der Rest sieht leicht aus. 32.Kg2 e5 33.Sg3 exd4 34.exd4 Sf8 35.Dd3 Lxg3 Eine einfache, instruktive Lösung: Schwarz erkennt, dass der Stellungstyp und die Bauernstruktur dem Springer bessere Chancen bieten. 36.Lxg3 Sa3 37.Dd1 Sxb1 38.Dxb1 Se6 39.Lf2 [ Anders geht es nicht: 39.Dd1 Dc3 40.Lf2 Db2 und Schwarz beginnt zu sammeln.] 39...Sf4+ 40.Kh2 Se2 41.Kg2 Dc1 42.Df5 g5 [ Oder umgekehrt: 42...Sf4+ 43.Kh2 g5 ]
43.h4 Sf4+ 0-1

 

Eine zweite Meinung: Rezension von Joachim Kick.

 

 

Curt Hansen: Skandinavisch

 

Curt Hansen: Skandinavisch

ChessBase 2002, ca. 30 Euro
CD-ROM ISBN 3-935602-43-x

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 5 aus 5

 

Thema

Der Däne Curt Hansen wagt ebenfalls den Rundblick auf eine Eröffnung, die vor nicht all zu langer Zeit als anrüchig galt, da Schwarz dem Weiß-Spieler einen scheinbaren Entwicklungsvorsprung gewährt. Siege - wie Larsens Gewinn 1979 in Montreal gegen den damaligen Weltmeister Karpow in Hochform - galten als exotische Eintagserfolge. Doch Hansen, der das Thema in die beiden Systeme mit 2...Dxd5 und 2... Sf6 unterteilt, bringt für jedes der Hauptstandbeine einen Rückblick, der viel weiter in die Historie zoomt und weitere Vorkämpfer benennt. Namen wie Howard Staunton, Adolf Anderssen, James Henry Blackburne, Frank Marschall, Savielly Xavier Tartakover, Ossip Bernstein, Jacques Mieses findet man nicht auf jeder CD-Produktion und sie leisteten Pionierarbeit nicht nur gegen leicht bezwingbare Amateure, sondern gegen die Großen ihrer Zeit. Diese Revue durch 150 Jahre Schachgeschichte zieht Aufmerksamkeit auf noch weitere, mehr oder weniger bekannte Spezialisten. Für 2... Dxd5 sind es natürlich Larsen und seine dänischen "Gefolgsleute" Niels Jörgen Fries Nielsen, der bereits 1982 ein Eröffnungswerk in Dänisch verfasste, und auch Curt Hansen selbst, sowie der Australier Ian Rogers und Ratimir Cholmov aus der ehemaligen UdSSR. Bei 2... Sf6 begegnet man mit den Deutschen Kurt Richter und dem Jugoslawen Nikola Karaklajic zwei eifrigen Verfechtern, und in der einstmals uneingeschränkten Schach-Supermacht praktizierten insbesondere Aivars Gipslis, Roman Dzindzichashvili, Nona Gaprindaschwili und Nona Gureli. Bereits Hansens thematischer Aufriss bringt manch Unvermutetes, macht neugierig und verspricht eine spannende Untersuchung.

Konzept

Der dänische Bundesligaspieler des SG Porz schöpft aus einer Hauptdatenbank von 28810 Partien, darunter 77 von ihm durchgesehene Begegnungen - einige würden allerdings wegen der wenigen Abspiele nur das Prädikat "Anmerkungen" statt "Analyse" erhalten. Eine separate Trainingsdatei sucht man zunächst, aber die ist diesmal in den Analysebestand integriert worden. Mit den zwölf Partien, die durch blaue Balken in der Liste markiert sind, hat sich Hansen extra viel Mühe gegeben, denn sie enthalten 316 Fragen (inklusive Tests mit Punkten und Zeitvorgaben). Das ist etwa so wie ein Dutzend Mal Turnieralltag zu durchleben. Besonders wenn man die 62 Einführungstexte gut studiert hat, bringt diese Übung einen hohen Lerneffekt. Ein vorbildliches Konzept für andere Autoren.

Und dann gibt es seit einem halben Jahrzehnt den "Hamburg-Test". Neben dem Buchautor Matthias Wahls ("Modernes Skandinavisch", Verlag Schach!! Jürgen Daniel 1997) sind Karsten Müller und Niels Michaelsen im Team des Hamburger SK in der ersten Hälfte der 90er Jahre Vorkämpfer für die vernachlässigte Eröffnung gewesen. Die beiden Großmeister "plagten" sich mit der Eröffnung aus Sicht beider Farben: Wahls bis 1997, Müller noch 2000, doch der IM stellte die Anwendung bereits 1996 - nach 16 Spielen (9 Siege, 7 Remis) - überraschend ein und schwenkte zu Sizilianisch um. Was meint Hansen zu den Hansestädtern? Leider müssen eingefleischte Skandinavisch-Anhänger in dieser Hinsicht enttäuscht werden. In seinen Übersichten erwähnt er zwar Referenzpartien des Trios, in denen sie ideenreiche Wege für Schwarz gefunden haben. In den ausführlichen Untersuchungen wird jedoch keine Reflektion des Fortgangs der Theorie mit Verweis auf das Wahls-Buch vorgenommen. Diese verpasste Chance ist eigentlich das einzige Manko der Produktion. Gut dokumentiert werden hingegen aus früheren Chessbase-Quellen die Arbeiten von Karsten Müller mit 119 Partieanalysen (plus zwei gemeinsamer, wortloser Kommentierungen mit Curt Hansen) und Matthias Wahls mit drei Analysen und vier ausführlichen Eröffnungsübersichten, die parallel zur Arbeit am Buch entstanden.

Das vorgelegte Konzept erfordert entsprechend vom Kunden Eigenarbeit, doch dafür ist die CD mit den vielfältigen Selektionsmöglichkeiten ein gutes Fundament. Hier kann man sich - anders als beim Printmedium - auf untypische Entdeckungstouren begeben. Gerade das Hamburger Beispiel verdeutlicht, dass Spezialeröffnungen oftmals regionale Hochburgen haben oder von Spielern in Einzelkämpfermanier hochgehalten werden. Hier lässt sich nachvollziehen, wie sich Varianten in der Handhabung durch diese Spielertypen formen. Portugal ist so eine Gegend, wo die IM-Garde Carlos Santos, Rui Damaso und Luis Galego viel Kompetenz erworben hat. In Tschechien gibt es eine Reihe Skandinavisch-Jünger mit Thomas Oral, Michal Konopka und dem wenig bekannten Pavel Simacek. In Deutschland sollte man die älteren Partien von Ralf Lau begutachten, in Frankreich das Material von Eric Prie sowie dem jungen Laurent Fressinet und in England hat wohl Julian Hodgsons Beispiel manchmal selbst auf Michael Adams abgefärbt. Auch der osteuropäische Nachwuchs mit dem Ukrainer Andrei Volokitin und dem im Westen kaum bekannten St. Petersburger Jewgeni Alekseev bewegt einiges. Die "Mainzer Grazien" Elisabeth Pähtz und Alexandra Kostenjuk hatten es früher im Repertoire und Ex-Europameisterin Nathalia Zhukova und die vielfache deutsche Meisterin Gisela Fischdick sind dem Skandinavier weiterhin treu. Solche Profile enthüllen oft ganz andere Einsichten, als das Buchstudium entlang der Zugfolgen.

Fazit

Hansens CD offeriert wirklich für jeden Geschmack etwas. Sein Stil den Nutzer anzusprechen gleicht an vielen Stellen einem gepflegten Gespräch und dies ist für Vereinsspieler jeglicher Spielstärke geeignet. Auch Neulinge werden durch die geschickte Verknüpfung der Traditionslinien innerhalb und zwischen den beiden Hauptabspielen gut fit gemacht.

Trotzdem sollte sich der Wissbegierige auch das Wahls-Buch aneignen, zumal dort Analysen und Partien enthalten sind, die nicht den Eingang in den Wissensbestand der Festplatte gefunden haben. Manche norddeutsche Einschätzung bringt eine zusätzliche Deutung und verdient, in die Datenbank eingepflegt zu werden. Gleichwohl bleibt für alle Gewichtsklassen, die sich für die skandinavische Herausforderung interessierten, die Hansen CD ein definitives Nonplusultra.

Und danach

Skandinavische Favoritenstürze sind meistens sehenswert, denn es sind in der Regel taktische Scharmützel, die fast jeden begeistern. Bereits beim letztjährigen EU-Cup für Vereinsmannschaften war das so, heuer passierte es wieder. Titelverteidiger Norisky Nikel fehlte am Ende ein halber Brettpunkt zum Turniersieg, vielleicht ging der entscheidende Punkt bereits in Runde eins an die Spanier von C.A. Reverte Albox verloren. Gegen seinen titellosen Gegner mit einer Wertungszahl von 2393 übersah der in Essen beheimatete Russe Igor Glek eine sehenswerte Riposte.

 










I. Glek - J. Hernando Rodrigo [B01]
Chalkidiki 2002

 

1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3 Da5 4.d4 Sf6 5.Sf3 Lg4 6.h3 Lh5 7.g4 Lg6 8.Se5 Wahls schrieb 1997 in seinem Vorwort: "Weiß ... ist nun bereit, den gehetzten Läufer mit 9.h4 weiterhin nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Meines Wissens bietet dieses Abspiel dem Weißen reelle Chancen auf Eröffnungsvorteil und wird deshalb von mir gänzlich ignoriert." Ein klares Urteil, aber die Welt dreht sich weiter ... 8...e6 9.Lg2 c6 10.h4 Le4 Auf diese Entlastungsidee geht Hansen in verschiedenen Abspielen ein und stellt auch gegenüber, wann das Manöver besser geeignet ist. 11.Lxe4 Sxe4 12.Df3 Sd6 13.Lg5 Nun dünnt sich die Materialbasis der CD auf eine obskure Fernpartie von der französischen Meisterschaft 1994 aus. Die Datenbank spuckt aus, dass sich der ständige Mitarbeiter von Schachmagazin 64, Ian Rogers, bereits drei anderen Herausforderungen gegenüber sah: [ 13.0-0 Le7 14.h5 0-0 15.a3 Dd8 16.De2 a6 17.Sa4 Sc8 18.Le3 Sd7 19.f4 Scb6 20.Sxb6 Sxb6 21.c4 Sd7 22.Tad1 Dc7 und Schwarz war nicht unzufrieden in Matulovic - Rogers, Nis 1983; 13.Lf4 diesem Zug verleiht Hansen in seinen einführenden Erläuterungen ein Ausrufezeichen. Seiner Meinung "steht Weiß bereits besser". 13...f6 14.Sd3 Sb5 15.0-0 Sxd4 16.De4 Dd8 17.Tad1 Dd7 18.Le3 c5 19.Sxc5 Lxc5 20.Lxd4 Lxd4 21.Txd4 Dc6 22.Tfd1 0-0 23.Td6 Dxe4 24.Sxe4 e5 25.Sc5 und Schwarz wurde nicht glücklich in Popovic - Rogers, Vrsac 1987; 13.Ld2 f6 14.Sd3 Sd7 15.De2 0-0-0 16.f4 h5 17.0-0-0 dieses Remis in Chandler - Rogers, Nis 1983 hätte die Nachwelt mehr erfreut, wenn weitergespielt worden wäre!] 13...Sd7 14.Sxd7 Kxd7 15.0-0-0 Te8 [ Die Fernschachspieler schoben hier 15...h5 16.gxh5 Df5 17.Dg3 Txh5 18.Kb1 Sc4 19.Se2 Th8 20.Db3 Sd6 21.Sg3 Dd5 22.De3 und einigten sich nach einem weiteren Dutzend Züge auf Remis!] 16.Kb1 Kc8 Analog der Fernschachpartie hätte auch 16... h5 probiert werden können. 17.The1 Le7 18.Te5 Dd8 19.Tc5 Lxg5 20.hxg5 Te7 21.a4 Se8 22.d5 exd5 23.Tdxd5 Te1+ 24.Ka2 De7 25.Sb5 a6 26.Sd4 Sc7 27.Df5+ [ Verlässt den richtigen Pfad, der in 27.Sf5 De6 ( nach 27...De2 28.Sd6+ Kb8 29.Db3 gehen die schwarzen Lichter aus.) 28.Sxg7 ( nicht 28.Sd6+ wegen der "Überraschung" 28...Kd7! 29.Dxf7+ Dxf7 30.Sxf7+ Sxd5 31.Sxh8 Te8 32.Sf7 Tf8 und Schwarz drückt.) 28...De4 29.Dxe4 Txe4 30.Tf5 Se6 31.Sxe6 fxe6 32.Tf6 Txa4+ 33.Kb3 Txg4 34.Txe6 mit Gleichgewicht.] 27...Te6 28.Sxe6? [ Ein taktischer Blackout: Korrekt war 28.Te5 g6 29.De4 Txe5 30.Txe5 Dd6 und keiner hat Sorgen.] 28...fxe6 29.Te5 Dxc5 30.Df4 Dxc2 31.Te4 Sd5 0-1

 

Gesamtbewertung

Der Überblick über fünf populäre Eröffnungssysteme mittels CD-ROM macht klar, dass für viele Zwecke die elektronische Präsentation berechtigte Vorzüge hat. Hansens Produktion ist der Star des Quintetts und Ragozenko steht ihm höchsten in der historischen Perspektive etwas nach. Beiden Großmeistern gebührt das Kompliment, auch mit unerprobten Ideen nicht hinter dem Berg zu halten. Milov und Breutigam haben Systematik und persönliche Note in das Schattendasein spielbarer Varianten gebracht. Nur Ripperger fällt in der analytischen Souveränität - und nicht selten wegen seiner trivialen Präsentation - neben diesen Experten deutlich ab.

Allerdings sind die handlichen Rundlinge für das CD-Laufwerk nicht die allein beglückenden Boten geballter Schachkompetenz und die englischen Verlage haben wieder einmal zuerst den Bedarf erkannt, denn sie sind auf einfache, für jedermann verständliche Überblicksbücher umgestiegen. Kompendien als Druckausgaben sind Überbleibsel einer verflossenen Zeit - auch wenn uns bisweilen sinnlich-kompetente Produkte aus dem Hause Chessgate die Ausnahme-von-der-Regel bestätigen. Hier wurde versucht, die Symbiose zwischen Computer und Buch als derzeitigen State-of-the-Art zu unterstreichen. Gegen das Rudern in den wöchentlichen Internet-Schachdatenfluten wird letztlich jeder seinen Armzug selbst bestimmen müssen. Der Blick in ein gutes Buch schadet nie - und sei es nur, um sich mental auf die Untiefen einer CD-ROM vorzubereiten.

 

 

(erschien mit leichter redaktionellen Bearbeitung als Mehrteiler in Schachmagazin 64,
Nr. 20/2002, S.552, Nr. 24/2002, S.665-667 und Nr. 1/2003, S.12-13)
die CDs stellte ChessBase, Mexikoring 35, 22297 Hamburg, für die Rezension zur Verfügung


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