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Schach-Genie Morphy

Paul Morphy: Genie und Mythos

von Robert Miklos, September 2003

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ChessBase-CD Paul Morphy: Genie und Mythos

ChessBase 2003, ca. 25 Euro
CD-ROM ISBN 3-935602-74-X
Systemvoraussetzungen: Pentium-PC, 32 MB RAM, Win95/98/2000/ME/XP, CD-Laufwerk
Sprache: Deutsch, Englisch

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 3,5 aus 5

 

Paul Morphy

Paul Charles Morphy

   Paul Charles Morphy wird häufig mit einem Kometen verglichen. Aus seiner Jugend sind einige freie Partien aus seiner Geburtsstadt New Orleans überliefert, doch erst nach Abschluss seines Jura-Studiums spielte er für kurze Zeit ernsthaft Schach auf allerhöchstem Niveau. Im Herbst 1857 nahm er am ersten amerikanischen Schachkongreß in New York teil, den er überlegen gewann; der einzige ernsthafte Konkurrent, Louis Paulsen, wurde im Finale mit 6:2 geschlagen. Da der Nabel der Schachwelt in Europa lag, musste er sein Schachkönnen auf dem alten Kontinent beweisen. Er durchkreuzte Europa von Juni 1858 bis April 1859 und spielte gegen die Stärksten: Johann Jacob Loewenthal in London, (Howard Staunton wich ihm aus, was ihn sehr kränkte), in Paris zuerst gegen Daniel Harrwitz und dann gegen den inoffiziellen Weltmeister Adolf Anderssen; der deutsche Lehrer war so unzufrieden mit seiner weißen Eröffnungsbehandlung in den ersten zwei Partien, dass er zu 1.a3 wechselte und aus heutiger Sicht in Richtung Anticomputerschach drängte, weil ihm Morphy in offenen Stellungen zu stark vorkam. Paul Morphy gewann 8:3 gegen den stärksten Schachspieler der Welt. Danach zog er sich aber zurück und spielte nur noch wenig. Als Anwalt kam er nicht voran, allmählich machten sich psychische Probleme bemerkbar. Er starb im Alter von 47 Jahren, vermutlich an einem Schlaganfall, nachdem er die letzten Jahrzehnte seines Lebens als exzentrischer Einsiedler gelebt hatte.

   Die CD von ChessBase beschäftigt sich mit der Schachlegende Paul Morphy. Es sind drei Datenbanken darauf: Eine große mit 461 Partien (dazu 5 Endkombinationen und 7 einführende Datenbanktexte: ein Vorwort des Herausgebers, vier zu Morphys Biografie von  Thomas Eichhorn, ein Spielerporträt von GM Karsten Müller und eine Übersicht über die Spiele aus der besten Zeit 1857-1859). Die große Datenbank besitzt einen eigens erstellten Schlüssel, der die Besonderheiten der Partiesammlung würdigt (z.B. Einteilung nach Vorgabe-, Konsultations- oder Blindpartien). Von diesen Schachpartien sind 400 ohne Kommentar (einer der Vorteile einer elektronischen Partiensammlung ist ja, dass die Analyseengine meist nur wenige Mausklicks weg ist, so dass viele Unklarheiten gleich beseitigt werden können), 25 von GM Rainer Knaak, 36 von GM Karsten Müller, 1 sogar von Garri Kasparow (aus dem ChessBase Magazin 59 von 1997) kommentiert. Im Laufe der Jahre kamen übrigens immer mehr Morphy-Partien zusammen: "Morphy's games of chess" von Philip W. Sergeant. (Dover, 1915) hatte laut eigener Angabe etwa 300, "The Genius of Paul Morphy" von Chris Ward (Cadogan, 1997) hat 465 Morphy-Partien  (eigene Angabe). Die Mega Database 03 von ChessBase kennt nur 299 Partien, die Mega Database 04 (noch unveröffentlicht) wird anscheinend einige mehr haben. Auch 299 Morphy-Partien finden sich auf der Begleit-CD zum Buch von Garri Kasparow "Meine großen Vorkämpfer". Wie der Herausgeber im Vorwort hinweist sind viele der Partien nicht überliefert, manche inkorrekt. Die meisten Partien sind freie Partien, Blindpartien, Vorgabepartien, Simultanspiele (vor allem Blindsimultan). "Ernsthafte" Partien gibt es kaum: Damals gab es ja noch keine Schachuhren (ganz nebenbei erfährt man einige erstaunliche Kleinigkeiten, z.B. dass eine Partie gegen Paulsen 15 Stunden dauerte, mit drei Unterbrechungen!), Morphy hat auch nur ein richtiges Schachturnier gespielt (den ersten amerikanischen Schachkongress im KO-Modus, dessen Finale aus einem Wettkampf gegen Paulsen bestand), dann noch die oben erwähnten drei Wettkämpfe in Europa, ansonsten waren seine Gegner größtenteils "Amateure", also nicht besonders stark.

   Die zweite Datenbank ist eine Sammlung der wenigen "ernsthaften" Partien Morphys, mit vier Datenbanktexten zu seinen Patzern in diesen Wettkämpfen, von GM Knaak bearbeitet. Hier wird am deutlichsten, wo die Stärken und Schwächen des Amerikaners lagen. Beide Spielerporträts sind eher kurz und auf den Punkt gebracht, kein Vergleich z.B. mit Agurs "Bobby Fischer: Seine Schachmethode", sowohl was Umfang oder auch Begeisterung betrifft - das ist aber auch kein einfacher Vergleich vor allem wegen der eklatant unterschiedlichen Partienmenge.

   Natürlich ist die dritte eine Kombi-Sammlung, mit 90 Partien aus der großen Datenbank als Trainingsfragen (von GM Karsten Müller erstellt). Dabei sind pro Partie auch mal mehrere Fragen dabei. Es sind viele scharfe Kombinationen dabei aber auch studienartige Endspiele oder sogar stille Vorbereitungszüge aus seinen Partien, der Schwierigkeitgrad ist breit gefächert, aber kaum etwas für Anfänger - höchstens für einen Anfänger, der die CD vorher genauer angeschaut hat. Bei vielen Kombis lautet die Lösung übrigens, mehr oder weniger aggressiv neue Kampfeinheiten in Position zu bringen und nicht gleich zuzuschlagen wie bei vielen anderen Schachaufgaben - eben passend zu Morphys Spielstil der schnellen Entfaltung der Figuren - das bleibt nach gehäuftem Auftreten wirklich hängen! Diese Kombi-Datenbank enthält leider auch einige Ungenauigkeiten, wobei mir eine Sorte öfter auffiel, das Fehlverhalten könnte aber an der Software liegen und nicht an der Datenbank: Wenn zur Trainingsfrage der Partiezug mit "?" kommentiert ist, wird beim Ausspielen dieses Zuges als Lösungsvorschlag überhaupt kein Text angezeigt - sowohl unter ChessBase8 als auch unter der Engine-Oberfläche (dieses Mal Junior8). Normalerweise erscheint entweder "Not the best move" (auf Englisch!?) oder bei der richtigen Lösung ein kleines Lob. Dieses Verhalten könnte auch an der Software liegen, deshalb ist es nicht unbedingt der Fehler der zu testenden CD. Ansonsten war der größte Patzer bei einem erstickten Matt zu finden (Mac Connel - Morphy), da lautet die Angabe "Weiß zieht und setzt in drei Zügen matt!!!", es sollte aber Schwarz heißen, eine Kleinigkeit, die auch in der englischen Version vorhanden ist.

   Die CD will der Autorität auf dem Gebiet Morphy-Biographie (David Lawson: The Pride and Sorrow of Chess. New York, McKay 1976 - sogar vom Herausgeber als "das unbestrittene Standardwerk zu Morphy, über 400 Seiten, mit vielen Abbildungen und einer ausführlichen Bibliographie" beschrieben) keine Konkurrenz machen, sondern im Bereich der Partien und ihren Kommentaren. Was die Partieanzahl betrifft, ist die CD zweifellos erste Klasse, hier zwei Statistiken der großen Partiendatenbank, erstellt mit ChessBase8:

 

Statistik: Verteilung der 466 Partien von Paul Morphy über die Jahre 1848-1869

Verteilung der 466 Partien von Paul Morphy über die Jahre 1848-1869: Ein Maximum ergibt sich im Jahr 1858 mit 141 Partien

 

Statistik: Verteilung der 466 Partien von Paul Morphy über die Jahre 1848-1869

Die Länge der 466 Partien: Es war meist ein kurzes Vergnügen, gegen Morphy zu spielen. Die extrem kurzen (2 bzw. 3. Züge sind keine ganze Partien, nur Schlusskombinationen)

 

   Die Partienkommentare sind in Ordnung, ein bisschen mehr ginge aber schon: In Garri Kasparows neu erschienenem Buch "My Great Predecessors" gibt es zur Partie Paulsen-Morphy (New York, 6. Partie USA-Kongress 1857) ein paar Varianten mehr und diese sind auch ein Quäntchen ausführlicher kommentiert. Ein anderes Vergleichsbuch ist "Feldherrenkunst" von Max Euwe. Die Kommentare zu Schulten - Morphy (New York blindfold, 1857) sind dort auch ein bisschen ausführlicher kommentiert - dafür ignoriert dieses Werk, dass Morphy blind spielte! Ein anderes Beispiel ist die Partie Morphy - Stanley (New York casual 1857), diese ist hier gar nicht kommentiert, Euwe berücksichtigt sie. Bei Paulsen - Morphy (USA-01.Kongress New York (4.3), 02.11.1857) gibt es ein großes taktisches Versehen des Amerikaners, die Partie ist in Frank Stiefels "Was Sie schon immer über Schachweltmeiser wissen wollten, aber nie zu fragen wagten" ausführlicher kommentiert. Grundsätzlich werden die Züge der Gegner weniger angeschaut, die Morphy-Züge werden bevorzugt kommentiert. Ein deutlicher Vorteil der digitalen Variante ist aber, dass man die Partien sehr bequem am Bildschirm nachspielen kann. Und falls mal ein Zug nicht berücksichtigt wurde, kein Problem, mit einer aktuellen Engine kann man ja vieles herausfinden, nur sollte man eine gesunde Portion Misstrauen mitwalten lassen, z.B. will Junior8 in der Paulsen-Partie (weiter unten zum Nachspielen) auch nach 18 Minuten 17...Dxa6 spielen, anstatt des zugegebenermaßen sehr schönen und schwierigen Damenopfers 17...Dxf3.

   Ein paar Partiebeispiele: Zuerst eine sehr bekannte Partie; lange war ungeklärt, ob 17..Txf2! gegen Bird nur Show oder wirklich das Beste war, schließlich hätte man den schwarzen Mehrbauern auch anders verwerten können. Die Schlussfolgerung des Kommentators GM Karsten Müller (die Partiekommentare erschienen zuerst bei ChessCafe, es kamen viele Rückmeldungen von Schachfreunden, deren Bemerkungen die Analyse der Partie bereichern): Sogar nach dem besseren 22.Kc1 hätte Morphy auf Gewinn gestanden, die Varianten sind sehr umfangreich geraten.










Bird,H - Morphy,P [C41]
London casual Bird London, 1858

1.e4 e5 2.Sf3 d6 3.d4 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 d5 6.Sg3 e4 7.Se5 Sf6 8.Lg5 Ld6 9.Sh5 0-0 10.Dd2 De8 11.g4 Sxg4 12.Sxg4 Dxh5 13.Se5 Sc6 14.Le2 Dh3 15.Sxc6 bxc6 16.Le3 Tb8 17.0-0-0 Txf2! 18.Lxf2 Da3!! 19.c3 Dxa2 20.b4 Da1+ 21.Kc2 Da4+ 22.Kb2 [ 22.Kc1! a5! ] 22...Lxb4 23.cxb4 Txb4+ 24.Dxb4 Dxb4+ 25.Kc2 e3 26.Lxe3 Lf5+ 27.Td3 Dc4+ 28.Kd2 Da2+ 29.Kd1 Db1+ 0-1

 

   Die nächste Partie ist auf der CD gar nicht kommentiert, bei Euwe schon, die Partie ist wegen der Pointe 10.e5! nebst 11.La3 bemerkenswert.

 










Morphy,P - Stanley,C [C51]
New York casual Stanley New York (2), 10.1857

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.b4 Lxb4 5.c3 La5 6.d4 exd4 7.0-0 d6 8.cxd4 Lb6 9.Sc3 Sf6 10.e5 dxe5 11.La3 Lxd4 12.Db3 Le6 13.Lxe6 fxe6 14.Dxe6+ Se7 15.Sxd4 exd4 16.Tfe1 Sfg8 17.Sd5 Dd7 18.Lxe7 Dxe6 19.Txe6 Kd7 20.Tae1 Te8 21.T6e4 c6 22.Txd4 cxd5 23.Txd5+ Kc6 24.Td6+ Kc7 25.Tc1+ Kb8 26.Lh4 Sh6 27.Lg3 Ka8 28.h3 Sf5 29.Td7 g6 30.Tcc7 Sxg3 31.fxg3 Tb8 32.Txh7 Txh7 33.Txh7 a5 34.h4 Tg8 35.g4 b5 36.h5 a4 37.h6 b4 38.Tg7 Th8 39.h7 b3 40.Tg8+ Kb7 41.Txh8 b2 42.Tb8+ Kxb8 43.h8D+ 1-0

 

   Das Damenopfer 17...Dxf3 sehen heutige Schachengines nicht, auch weil die Sache gar nicht so einfach ist, Weiß hätte sich durchaus zäher wenn auch letztendlich vergeblich verteidigen können laut Analyse von GM Karsten Müller.

 










Paulsen,L - Morphy,P [C48]
USA-01.Kongress New York (4.6), 07.11.1857

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 Sf6 4.Lb5 Lc5 5.0-0 0-0 6.Sxe5 Te8 7.Sxc6 dxc6 8.Lc4 b5 9.Le2 Sxe4 10.Sxe4 Txe4 11.Lf3 Te6 12.c3 Dd3 13.b4 Lb6 14.a4 bxa4 15.Dxa4 Ld7 16.Ta2 Tae8 17.Da6 Dxf3!! 18.gxf3 Tg6+ 19.Kh1 Lh3 20.Td1 Lg2+ 21.Kg1 Lxf3+ 22.Kf1 Lg2+ 23.Kg1 Lh3+ 24.Kh1 Lxf2 25.Df1 Lxf1 26.Txf1 Te2 27.Ta1 Th6 28.d4 Le3 0-1

 

   Die wohl bekannteste Partie, auf der CD ist sie natürlich sehr ausführlich mit Varianten und Erklärungen kommentiert:

 










Morphy,P - Duke of Brunswick & Co. [C41]
Paris consultation Paris, 11.1858

1.e4 e5 2.Sf3 d6 3.d4 Lg4 4.dxe5 Lxf3 5.Dxf3 dxe5 6.Lc4 Sf6 7.Db3 De7 8.Sc3 c6 9.Lg5 b5 10.Sxb5 cxb5 11.Lxb5+ Sbd7 12.0-0-0 Td8 13.Txd7 Txd7 14.Td1 De6 15.Lxd7+ Sxd7 16.Db8+ Sxb8 17.Td8# 1-0

 

 

Die CD stellte ChessBase, Mexikoring 35, 22297 Hamburg, für die Rezension zur Verfügung


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