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Fischers Wegbereiter - zeitlos schöne Biografie über Pal Benko

Pal Benko, Jeremy Silman: Pal Benko

Rezension von Harald Fietz, Juni 2005

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Christian Kongsted: Beating the Grandmasters

Siles Press 2003
ISBN 1-890085-08-1
668 Seiten; 45 Euro

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 5 aus 5

 

   Dieser Tage reden wieder alle über Bobby Fischer, der - auch ohne einen Schachzug zu machen - die Medien elektrisiert. Dabei wäre der elfte Weltmeister wahrscheinlich nie auf den Schachthron gestiegen, hätte ihm nicht ein Landsmann eine Hintertür geöffnet, die 1970 seine Teilnahme am Interzonenturnier ermöglichte. Zu seinem 75. Geburtstag legte der gebürtige Ungar 2003 - zusammen mit den Internationalen Meistern Jeremy Silman und John Watson - seine Biographie vor: Ein Werk, dem man in seiner umfangreichen schachlichen Substanz anmerkt, dass hier keine Brettgeheimnisse zurückgehalten werden müssen.

   Pal Benko ist bereits seit 1992 kein Berufsspieler mehr. Sein Name steht jedoch für viele Entwicklungen im königlichen Spiel der Neuzeit: Schachliche und politische Konflikte und Kooperation zwischen Ost und West, Aufschwung im Eröffnungs- und Mittelspielwissen und Kategorisierung des Endspielterrains. Überall hat der fünffache Olympiadeteilnehmer Pionierbeiträge geleistet. 668 pralle Seiten legen in einem Leinenband davon Zeugnis ab (vorbildlich die Fadenbindung, die ein Zuklappen des Wälzers verhindert!).

   Aber nicht nur der Verstand, sondern auch das Auge freut sich: Das Layout ist gediegen und lesefreundlich, eine ungewöhnlich große Anzahl von Bildern bringt die Hochzeiten des klassischen Schachs in den vier Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg in Erinnerung (darunter zahlreiche unbekannte Aufnahmen aus Archiven des US-Schachverbandes, z.B. eine Doppelseite mit neun Bildern des 19-jährigen Fischers am Krankenlager von Mihail Tal auf Curacao 1962). Viele Weggenossen Benkos aus Ost und West werden mit biografischen Details vorgestellt, Susan Polgar würdigt im Vorwort seine Unterstützung bei der Schachausbildung des Geschwistertrios. Und die Autoren haben sich mehr als eine bloße Aneinanderreihung schöner Partien auf die Fahne geschrieben. Drei der vier Kapitel können zugleich als ein Lehrbuch in verschiedene Gebiete der Schachpraxis gelten, 20 Seiten mit Interviews ergänzen Zeitkontexte und Episoden des als impulsiv und temperamentvoll bekannten Zeitnotspezialisten.

   410 Seiten bringen - neben dem Werdegang des ständigen Grenzgängers zwischen Ungarn und Amerika - 138 Partien, die - gerade angesichts von Benkos vorzugsweise positionell ausgerichtetem Stil - nicht nur mit Varianten protzen, sondern ausführlich Planbildungen, strategische Prinzipien (auch in Wechselwirkung mit taktischen Vorkommnissen) und Übergänge zwischen Partiephasen erläutern. Zudem gibt es Hinweise, wie sich die Eröffnungstheorie seinerzeit generell ausgestaltete. Eine stark gekürzte Partie gegen Fischer soll dies verdeutlichen. Die Erstrundenbegegnung bildete für den jungen Himmelstürmer einen denkbar schlechten Auftakt in die insgesamt 28 Runden, nach denen Fischer seine berühmte Forderung zur Abschaffung eines Rundenturniers zur Ermittlung des WM-Herausforderers stellte (drei Jahre später begann die Zeit der Kandidatenmatchs).

 










P. Benko - R. Fischer
Kandidatenturnier, Curacao 1962
Pirc-Verteidigung [B07]

1.g3 Sf6 2.Lg2 g6 3.e4 d6 4.d4 Lg7 5.Se2 0-0 6.0-0 e5 7.Sbc3 c6 Überrascht von einer Neuerung, reagiert Bobby mit einem in der Königsindischen Verteidigung üblichen Zug. Nach der Partie schlug Fischer [7...Sc6 vor, aber ich beabsichtigte mit 8.dxe5 dxe5 9.Sd5 und leichtem positionellen Vorteil für Weiß fortzusetzen.] 8.a4 Sbd7 9.a5 exd4 10.Sxd4 Sc5 11.h3 Te8 12.Te1 Sfd7 13.Le3 Dc7 14.f4 Tb8 15.Dd2 b5 16.axb6 axb6 Wahrscheinlich bestand der bessere Versuch in 16... Sxb6, aber sein eindrucksvoller Sieg in Stockholm (beim Interzonenturnier 1962) beraubte ihn des Gespürs für die Gefahr, und so sah er nicht, dass die Stellung schnell kritisch wird. 17.b4 Se6 18.b5 Zerstoert die Kontrolle des c6-Bauern ueber das Feld d5, wodurch dem weissen Springer der Zugang auf den aeusserst feinen Zentralposten eroeffnet wird.18...Sxd4 19.Lxd4 Lxd4+ 20.Dxd4 c5 21.Dd2 Lb7 22.Tad1 Te6 23.e5 Lxg2 24.Kxg2 Db7+ 25.Kf2 Td8 26.exd6 Sf6 27.Txe6 fxe6 28.De3 Kf7 29.Df3 Db8 Damentausch macht für Schwarz keinen Sinn, denn der zentralisierte weiße König würde schnell eine vorteilhafte Position erreichen (ein entblößter König ist nur schlecht, wenn Schwerfiguren vorhanden sind, die ihm einen Schreck einjagen können). Nun muss Weiß sich um seinen angegriffenen d-Bauern kümmern. 30.Se4 Sxe4+ 31.Dxe4 Td7 32.Dc6 Dd8 33.Kf3 Kg7 34.g4 Ein einfacher Zug, um Raum am Königsflügel zu erlangen. Da er sieht, dass er seine passive Stellung nicht halten kann (Züge wie 34... Kg8 und 34... Kf8 werden beide mit dem vernichtenden 35.Ta1 Txd6 36.Ta8 beantwortet, während 34... Kf7 35.Ta1 Txd6 36.Ta7+ Kf8 37.Db7 leicht gewinnt), entschließt sich Bobby einen verzweifelten Versuch zu unternehmen, mit einem weiteren Bauernopfer Gegenspiel gegen den weißen König zu suchen. 34...e5 35.fxe5 Tf7+ 36.Kg2 Dh4 37.Tf1 Txf1 38.Kxf1 Dxh3+ 39.Dg2 De3 40.De2 Dh3+ Der Abgabezug, aber Bobby gab auf, da er gewahr wurde, dass es kein Dauerschach gibt, beispielsweise nach [40...Dh3+ 41.Kf2 Dh2+ 42.Ke3 Dh3+ 43.Kf4 Dh6+ 44.Ke4 Dh1+ 45.Df3 De1+ 46.Kd5 Dd2+ 47.Kc6 und der weiße König ist immun gegen weitere Belästigungen und seine Freibauern können nicht gestoppt werden.] 1-0

 

   130 Seiten dienen Watson für einen speziellen Blick auf Benkos Eröffnungsvorlieben mit den weißen bzw. den schwarzen Steinen: Die Schwerpunkte liegen mit Weiß auf Systemen der Englischen Eröffnung und Flankensystemen mit 1.g3, 1.b3 und 1.b4. Daneben gibt es Zugumstellungen dieser Anfänge, die in typischen Königsbauereröffnungen münden. Mit Schwarz sind es halboffene Eröffnungen gegen 1.e4 (Pirc-Verteidigung, Caro-Kann und Sizilianisch - hier vor allem Richter-Rauser-Varianten) bzw. gegen 1.d4 ein Querschnitt durch die indischen Systeme, aber natürlich zentral das Wolga-Gambit, welches im Englischen berechtigterweise die Bezeichnung "Benko-Gambit" trägt. 1967 begann der Namensgeber, den 3...b5-Vorstoß gegen 1.d4 Sf6 2.c4 c5 3.d5 zu spielen - nicht nur viele US-Spieler (Fedorowicz, Browne, Alburt usw.) folgten. Hervorzuheben ist, dass Watson die Eröffnungsvarianten häufig bis in Mittelspielstrukturen hinein skizziert.

   90 Seiten bleiben für eine besondere Domäne Benkos - dem Komponieren von Studien und Problemen: Fast gleichgewichtig bekommt das praxisrelevante Endspiel 50 Seiten, während dem Problemschach 40 Seiten gewidmet sind. In den Erläuterungen zeigt sich die über Jahrzehnte beim Führen der Endspielkolumne der US-Zeitschrift "Chess Life" erworbene Fähigkeit, den Gehalt und die Besonderheiten einzugrenzen. Selbst von Kasparow sagen die Anekdoten, dass er sich bei Benkos Erklärungen festliest.

   Ähnlich wünscht man diesem Buch, das viele Leser sich Zeit und Muse für einen abwechslungsreichen Streifzug durch wichtige Schachepochen nehmen. Der Preis ist mit 45 Euro relativ hoch, aber bereits die sonst billigeren deutschen Verlage kalkulieren bei Spezialbiografien mit diesem Umfang (z.B. über Musiker) in diesen Größenordnungen. Wer die Investition riskiert, erhält ein Werk der Königsklasse: Schönheit des Schach kombiniert mit lehrreichem Schachwissen.

 

  

die Rezension erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 7/2005, S.188
das Buch stellte Schach Niggemann (Industriestr. 10, 46359 Heiden) für die Rezension zur Verfügung


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