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Taktik schadet nie!

Simon Williams: Improve your attacking Chess

Rezension von Janine Platzek, Oktober 2004

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Simon Williams: Improve your attacking Chess

Gambit 2004
ISBN: 1-904600-09-3
160 Seiten, ca. 22 Euro
Englisch: Basic Level

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4 aus 5

 

Das Problem, Vorteile in volle Punkte zu verwandeln, oder wer diese Taktik braucht

   Geht es Ihnen während einer Partie nicht auch oft so, dass Sie genau wissen, dass Sie besser stehen, aber es gelingt Ihnen nicht, den offensichtlichen Vorteil zu verwerten? Ein neues Taktikbuch von Simon Williams erhebt den Anspruch, solche ausgelassenen Chancen zu minimieren. Hier geht es allerdings nicht um die "kleinen" materiellen Vorteile, die durch große Abtauschaktionen in trockenen Endspielen verwertet werden sollen. Nein, der thematische Schwerpunkt liegt auf dem Erringen des uns allen bekannten "+ -", was den Gegner durch richtiges Agieren kurzerhand zur Aufgabe zwingt. Gezeigt werden entscheidende, kritische Stellungen, in denen Sie durch "scharfen Blick" die Schwachpunkte der gegnerischen Stellung ausmachen, den richtigen Plan finden und ihm nun den K.o.-Schlag versetzen - "Königsjagd" nennt der Untertitel dies martialisch.

   Die inhaltliche Ausrichtung macht deutlich, dass hier vor allem die Zielgruppe der noch in ihrer "Schachausbildung" befindlichen Schachfreunde anvisiert wird - z.B. Jugendliche, die für gewöhnlich als Heranwachsende schnell Wissen "reinziehen" (müssen). Aber auch die Mehrzahl der Clubspieler, die fühlen, dass ihr taktisches Repertoire noch ausbaufähig ist, dürfte hier gut bedient sein. Wir sprechen also vorrangig von einer Zielgruppe mit Wertungszahlen zwischen 1500 und 2000.

   Aber vielleicht fühlen sich auch stärkere Spieler inspiriert, wenn sie wissen, dass der Autor als 24-jähriger IM vor kurzem - im Anfang August 2004 bei den britischen Meisterschaften - gemeinsam mit GM Peter Wells hinter GM Jonathan Rowson mit acht Punkten aus elf Partien einen geteilten zweiten Platz belegte und binnen Monatsfrist beim starken Open im österreichischen Schwarzach den Co-Sieg errang. Man kann mutmaßen, dass das Taktikstudium in konzentrierter Form da nicht ganz schuldlos war, Sie müssen ja nicht gleich ein Buch schreiben. Für Williams ist es sein zweites Werk, nachdem zuvor - ebenfalls beim Gambit Verlag - ein Eröffnungsbuch über klassisches Holländisch erschien.

 

"Erlege den König!" lautet das vorrangige Motto

   ... und zwar in jeder erdenklichen Situation. Klar, in einem Taktikbuch erwarte ich das in erster Linie. Williams unterteilt seine 250 Aufgaben in sechs Leitprinzipien:

  1. Angriff auf den König, der in der Mitte festgehalten wird;

  2. Angriff auf die Rochadestellung;

  3. Schlag im Zentrum;

  4. Zeit ist alles!;

  5. Angriff bei gegensätzlichen Rochadestellungen;

  6. Mit dem Unerwarteten rechnen.

   Damit ist sind die Grundlagen ausreichend abgedeckt. Bisweilen kann ein sich Erinnern an diese Möglichkeiten sogar helfen, das Fahnden nach dem richtigen "Hebel" für eine taktikträchtig anmutende Stellung zu erleichtern. Sicher behält jeder diese Themen leicht im Hinterstübchen. Aber zuvor sollte er sich natürlich mit der Vielfalt der sechs Mottos vertaut machen. Systematik schafft da ein Gerüst, um die Logiken der taktischen Schläge einzugrenzen.

 

Logischer Aufbau fördert logisches Denken

   Zu Beginn eines jeden Kapitels findet der Leser eine kurze Einführung von ein bis zwei Seiten, sei es eine kommentierte Beispielpartie, die zu einer dem Thema gerechten Position führt; eine Erläuterung des Basiswissens, das notwendig ist, um die Aufgaben zu lösen oder aber - in humorvoller Schreibe - ein Erfahrungsbericht des Autors aus der eigenen Turnierpraxis, die dem Leser verdeutlicht, dass er nicht allein steht mit seinen Problemen (wie tröstlich ...).

   Bei den Aufgaben kann man sich nach eigenem Leistungsvermögen austesten. Es gibt die "Trockenschwimmer", die ehrgeizig sind, und nur das Diagramm mit dem Hinweis "w" oder "b" als Angabe für den am Zug befindlichen Spieler wollen, oder es gibt die "Tieftaucher", die etwas länger brauchen und den einen oder anderen Hinweis nicht abschlagen. Sie werden mit drei, vier Sätzen unterhalb des jeweiligen Diagramms an die Sachlage herangeführt. Ist die Aufgabe für die "Trockenschwimmer" zu schwer, so liest man sich die Fragestellung doch durch, die oft bereits "kleine" Hinweise enthält, was das Lösen der Aufgabe erleichtert (aber im Gegensatz zu anderen Taktikbüchern stößt Williams einen nicht zu plump auf den Lösungspfad). Durch beide Vorgehensweise kann man sich den gewünschten Lerneffekt selbst bestimmen. Die Lösungen findet der Leser am Ende eines jeden Kapitels. Nebenlösungen werden in entsprechend kleinerer Schrift erwähnt, sowie wie Gründe, warum andere Varianten nicht durchschlagen.

   Das Niveau der Aufgaben ist unterschiedlich - natürlich hängt dies auch von der eigenen Spielstärke und Vorkenntnisse ab. Manchmal reicht es bereits, den einen entscheidenden Zug zu finden, in anderen Fällen ist mehr gefordert - hier muss man in die Tiefe gehen. Sicher ist dieses Spektrum damit zu erklären, dass Williams seinen Kundenkreis in obengenannten Spielstärkeniveau sucht. Ich will einige Beispiele anführen. Die folgende Aufgabe fiel mir leicht:

 

Firman - Lemmers

Schach-Stellung Firman - Lemmers

Weiß am Zug (Lösung weiter unten)

 

   Schwieriger dagegen fand ich diese lange Mattkombi:

 

Ed. Lasker - Thomas

Schach-Stellung Ed. Lasker - Thomas

Weiß am Zug (Lösung weiter unten)

 

   O.k., erfahrende Spieler werden den "Klassiker" vielleicht gekannt haben, denn er wird immer wieder gerne genommen (es handelt sich übrigens nicht um den Weltmeister Emanuel Lasker, sondern um einen Namensvetter!) - und die "Neulinge" sollen auch auf ihre Kosten kommen ... Mein absoluter Favorit ist diese ästhetische Zugfolge. Da lacht das Herz eines Angriffskünstlers.

 

Chudinovskikh - Maravev

Schach-Stellung Chudinovskikh - Maravev

Weiß am Zug (Lösung weiter unten)

 

   Zu kritisieren ist bei einigen Stellungen allerdings, dass man als Leser manchmal nicht genau weiß, worauf eine Stellung hinauslaufen soll. Man rechnet mit Matt oder Materialgewinn, im Endeffekt war aber "nur" eine bessere Stellung mit Initiative verlangt. Hier ein solches Beispiel:

 

Folling - Lindbohm

Schach-Stellung Folling - Lindbohm

Weiß am Zug (Lösung weiter unten)

 

   Hier wäre es m. E. dem Leser gegenüber fairer, eine Angabe zu liefern, was man suchen soll. Gut, in einer Turnierpartie erfährt man vorher auch nicht, dass in einer speziellen Stellung etwas "drin" ist. Um diesen Aspekt nicht zu ignorieren, könnte man dem Leser - wie auch bei sonstigen Hinweisen - die Wahl lassen, ob er sich die Aufgabe durch zusätzliche Tipps (Materialgewinn, Mattangriff etc.) etwas erleichtern möchte oder lieber doch nicht.

   Zum Schluss möchte ich noch einen kleinen Fehler "enthüllen", der sich in Diagramm Nr. 37 auf Seite 40 eingeschlichen hat (ganz erstaunlich, wo doch heute fast jeder mit bekannten, fehlerfreien Datenbankprogrammen arbeitet!): In der nachfolgend korrekt angeführten Stellung fehlt in der Printausgabe die weiße Dame auf e6, aber die Musik spielt im Eck rechts unten:

 

Abein - Zhukova

Schach-Stellung Abein - Zhukova

Schwarz am Zug (Lösung weiter unten)

 

 

Einfache Englischkenntnisse empfehlenswert

   Bei englischen Produktionen stellt sich immer die Frage, welchen Wortschatz und welches Leseverständnis vorausgesetzt wird. Zwar könnte auch ein Spieler komplett ohne Englischkenntnisse dieses Buch "lesen", da es überwiegend aus Diagrammen besteht, doch ist es empfehlenswert wenigstens ein Grundvokabular oder einfaches Schulwissen mitzubringen, weil es selbstredend den Erkenntniswert steigert, Texterklärungen bei Lösungen und Einleitungen zu verstehen.

 

Fazit: Empfehlenswert zur Schaffung der Grundlagen im Taktikbereich

   Mir gefällt das Buch insgesamt gut, weil man durch die Einleitungen ein Basiswissen vermittelt bekommt und es danach anhand unterschiedlich schwerer Aufgaben anwenden kann. Auch die Möglichkeit der eigenen Gestaltung der Arbeitsweise durch kleine Hinweise zu den Positionen unterhalb des jeweiligen Bildes, die man je nach Belieben liest oder weglässt, ist eine clevere Idee. Wenn man Stellungen eines bestimmten Spielers sucht, so hilft der Spielerindex am Ende (so etwas haben andere Taktikbücher bisweilen nicht).

   Anzumerken wäre noch, dass das Studienmaterial eine ausgewogene Mischung aus älteren Beispielen (einige auch von weniger bekannten Spielern) und ziemlich aktuellen Vorkommnissen aus drei Jahren nach der Jahrhundertwende bildet. Unter dem Strich finde ich, dass das locker-leicht geschriebene Werk eine gute Schulung bietet und empfehle es auf jeden Fall an alle Taktikfans (und natürlich solchen, die es werden wollen).

 

Die Lösungen:

 










Firman - Lemmers
Bucharest, 2003
[Simon Williams]

 

White's pieces are all taking part in the game while Black's are merely occupying space. How can White makre the crucial breakthrough?

1.Dxe6+ Forcing mate.

1...fxe6 2.Tgxf8+ Kd7 3.T1f7+ [ 3.T1f7+ It is mate in a couple of moves, e.g. 3...Kc6 4.Tc8+ Tc7 5.Tfxc7# ] 1-0

 

 










Lasker,E - Thomas
London (causal game), 1912
[Simon Williams]

 

All of White's pieces are ideally placed around Black's king. Another factor in White's favour is that Black's queenside is still sleeping. How can White exploit these factors with its next move?

1.Dxh7+!! Leading to a beautiful final position.

1...Kxh7 2.Sxf6+ Kh6 [ 2...Kh8 does not help matters in view of 3.Sg6# ] 3.Seg4+ Kg5 4.h4+ Kf4 5.g3+ Kf3 6.Le2+ Kg2 7.Th2+ Kg1 8.Kd2# [ I would have perferred 8.0-0-0# ] 1-0

 

 










Chudinovskikh - Maravev
USSR, 1980
[Simon Williams]

 

A unique position: the white rook has somehow managed to find its way to h6. How shoudl White finish the attack off?

1.Th8+!! The rook travels a bit further!

1...Sxh8 2.Dh7+! The queen follows its companion. 2...Kxh7 3.Th5+ Kg8 4.Lh7# 1-0

 

 










Folling - Lindbohm
Gausdal, 1971
[Simon Williams]

 

Black's king is still lazing around in the centre of the board, and Black is also behind in development. How should White exploit these factors?

1.Sxe6! Blasting the centre open.

1...hxg4 2.Lxb5+! Making way for the other rook. 2...Ke7 [ 2...axb5? 3.Sc7# ] 3.Sxf8+ De6 [ 3...Kxf8? 4.Te8# ] 4.Sxe6 fxe6 5.Lc4+- White has emerged from the complications with an extra pawn and a big initiative. Black's e6-pawn is especially weak.

 

 










Abein - Zhukova
Dresden, 2003
[Simon Williams]

 

Nearly all Black's pieces are staring over at the white king. The black bishops are looking especially menacing. Black sensed the danger and found a forcing line that won the game. What was it?

1...Sg3+! Opening the a8-h1 diagonal.

2.hxg3 Dh3+ [ 2...Dh3+ White resigned due to 3.Kg1 Lc5+ 4.Tf2 Dxg2# ] 0-1

 

 

das Buch stellte Schach Niggemann (Industriestr. 10, 46359 Heiden) zur Verfügung


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