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Schachhöhepunkte, außergewöhnliche Begebenheiten

Harald Keilhack: Schach-Höhepunkte

Rezension von Veronika Kind, Dezember 2004

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Harald Keilhack: Schach-Höhepunkte

Schachverlag Kania
320 Seiten, etwa 20 €
ISBN: 3-931192-24-5
Sprache: Deutsch

Bewertung der Rezensentin: Bewertung 4 aus 5

 

   Nach den Erfolgen mit den beiden Eröffnungswerken "Die Tarrasch-Variante" und "Der Linksspringer 1.Sc3" dürfen wir uns auf ein weiteres Werk von Harald Keilhack freuen: "Schachhöhepunkte - Außergewöhnliche Begebenheiten, kuriose Partien von 1997 bis 2003". Diesmal geht es nicht um wissenschaftlich ausgewertete Partien und langatmige Eröffnungstheorien, sondern um eine bunte Zusammenstellung des Schachgeschehens im besagten Zeitraum. Der Verleger und Autor Harald Keilhack übernahm 1998 von Theo Schuster das Amt als Schach-Berichterstatter der Stuttgarter Zeitung. Die wöchentlich erscheinenden Schachkolumnen bilden die Grundlage für sein neues Buch. Die Gestaltung lag - wie immer beim Kania-Verlag - in den bewährten Händen des in Berlin beheimateten Grafikers Frank Stiefel. Ihm gelingen eine Reihe amüsanter Karikaturen, die stets einen Hingucker wert sind.

   Keilhacks Buch ist aber mehr als ein bloßes Aneinanderreihen in chronologischer Abfolge. Auf 320 ordnete er die Ausbeute von sieben Jahren in vier Teile, die in 21 Kapiteln folgende Thematiken als Leitgedanken verfolgen:

  1. Das Außergewöhnliche am Schachbrett

  2. Randgruppen am Schachbrett

  3. Am Puls des Weltschachs

  4. Spektakuläres zum Schluss

   Um dem potentiellen Käufer einen Eindruck zu vermitteln, möchte ich kurz einige Schwerpunkte skizzieren: Teil 1 schweift von spektakulären Damenopfern über berühmt-berüchtigte Patts bis hin zu eher verwirrenden Unterverwandlungen und dem sogenannten "Rückwärtsschach". Das Damenopfer kennt jeder und es lässt so manch einem Beobachter am Schachbrett das Blut in den Adern gefrieren. Und das Patt war bestimmt für viele schon ein Grund der Freude oder vielleicht eher der Bestürzung. Aber welche Bewandtnis hat es mit der Unterverwandlung und dem Rückwärtsschach? Bei der Unterwandlung zeigt Keilhack ihren Einsatz im Problemschach und auch im Turnierschach. Dabei sind es nicht nur die überraschend gabelnden Springer, sondern viel subtiler, die Läufer, die plötzlich Figuren decken oder wenn die Springer, dann solche, die kein unmittelbares Schach bieten. Einige überraschende Wendungen kommen da zusammen. Beim Rückwärtsschach dürfte selbst guten Schachspielern bei den verwirrenden Diagrammen und den vielen neuen Regeln die Spucke wegbleiben. Den Weihnachtsquizlösern der Stuttgarter Zeitung wird dies sicher öfters passiert sein, wenn sie mit Retrodiagrammen von Günther Weeth (einem Experten in diesem Metier) konfrontiert wurden. Aber urteilen sie selbst:

 

"Glatteisgefahr"

Josef Haas, Urdruck Stuttgarter Zeitung 1998

Schach-Problem (1)

Weiß nimmt seinen letzten Zug zurück und setzt statt dessen in zwei Zügen matt.

 

Es drängen sich die Fragen auf: Was ist mit der Rochade? Und was macht der weiße König ausgerechnet auf h7? Die Auflösung des Rätsels gibt es am Ende der Rezension!

 

   Teil 2 öffnet unter dem Motto "Randgruppen am Schachbrett" mit dem Kapitel "VIPs am Schachbrett" seine Pforten. Die VIPs kommen aus den verschiedensten Bereichen. Da staunt der Leser über die originellen Begegnungen wie z.B. Bundesinnenminister Otto Schily gegen Garri Kasparow, wobei Schily natürlich den Kürzeren zog. Oder Viswanathan Anand gegen Eckard Freise, dem ersten Millionengewinner aus der Günther Jauch Show "Wer wird Millionär?". Hier allerdings konnte Freise den Weltklassespieler in 47 Zügen in einer Simultanpartie bezwingen:

 










Anand,V (2794) - Freise,E (2018) [C63]
Simultanpartie Mainz 2001 Mainz, 23.06.2001
[Harald Keilhack]

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.Sc3 fxe4 5.Sxe4 Sf6 6.Sxf6+ Dxf6 7.De2 Le7 8.0-0 0-0 9.Lxc6 dxc6 10.Sxe5 Lf5 11.d3 Ld6 12.Sc4 Tae8 13.Le3 Dg6 Bis etwa hierher reicht die Theorie. Schwarz hat etwas Kompensation für den Bauern. 14.Kh1 Le5 15.Sxe5 Txe5 16.Dd2 Tfe8 17.Dc3 h5?! Das wirkt nicht ganz gediegen. Objektiv besser war 17...b6, wonach Schwarz gelegentlich ...c5 nebst ...Lc8-b7 ins Auge fassen kann. 18.Tae1?! [ In der Annahme, so das Spiel leichter kontrollieren zu können als nach 18.Db3+! Kh8 19.Dxb7 Tb5 20.Dxa7 Txb2 21.Dc5 .] 18...h4 19.Dc4+ Df7 20.Dxh4 Nach dem Verzicht auf den Bauern b7 schluckt Anand diesen zweiten Köder doch. 20...Dxa2 21.Dd4 c5! 22.Dc3 Dd5 23.Ta1?! Lh3 Allmählich wird es doch brenzlig für Weiß. 24.Tg1 T8e6 25.Txa7 b5 26.De1? Diagramm [ Nach 26.Dxc5 hätte Schwarz die Wahl zwischen 26...L:g2+ 27.T:g2 Df3 nebst Dauerschach oder 26...D:c5 27.L:c5 T:c5 28.g:h3 T:c2 mit einem undurchsichtigen Endspiel.] 26...Tg5! 27.f3 [ 27.Df1 Txg2 28.Txg2 Df3! 29.Kg1 Lxg2 30.Dxg2 Dd1+ 31.Df1 Tg6+ und gewinnt.] 27...Lxg2+ 28.Txg2 Dxf3 29.Df2 Txe3 30.Ta1 Dxg2+ 31.Dxg2 Txg2 32.Kxg2 Te2+ 33.Kg3 Txc2 Das noch keineswegs triviale Turmendspiel führt Freise überzeugend zum Sieg: 34.Ta7 Td2 35.Kf4 Txd3 36.Txc7 c4 37.b4 Tb3 38.Kf5 Kh7 39.Ke6 Txb4 40.Kf7 Tb2 41.Tc5 Tf2+ 42.Ke6 Tb2 43.Kf7 Kh6 44.Tc6+ Kg5 45.Tc5+ Kf4 46.h4 Ke4 47.h5 Kd4 0-1

 

   Weiter geht es mit den Computern, die oft ihr Können oder auch ihr Versagen gegen Eloschwergewichte wie Kramnik und Kasparow in eindrucksvollen Partien zeigen. Shredder und Deep Blue sind natürlich mit von der Partie. Auch zum Spiel der Computer untereinander gibt es einige interessante Einblicke. Wo Rechentiefe auf Rechentiefe trifft, da herrscht die Kunst des Lavierens und die ist nach Aussage des Programmierers Chrilly Donninger "so spannend, wie Farbe beim Trocknen zuzuschauen." Nun ja, Schach hat eben viele Facetten. So auch die immer gern gelesenen Begebenheiten über "jung" und "alt", die in zwei mitreißenden Kapiteln als "Wunderkinder" und "Dinos" verpackt werden. Hier sind die Wunderkinder von gestern mit ihren Aufsteigergeschichten und natürlich passenden Partien vorgestellt. Logischerweise sind Arik Braun, Teimour Radschabow und Bu Xiang-Zhi heute nicht mehr die kleinen Süßen, sondern Heranwachsende, die bei den Großen gewaltig mitmischen. Bei den Dinos werden Schachlegenden wie Viktor Kortschnoi oder der berühmt berüchtigte "Märchenkönig" Alexej Suetin geehrt. Legendäre Partien - wie Najdorf-Fischer Santa Monica 1966 - lassen dieses Kapitel zum Genuss werden. Es ist einfach für jeden was dabei!

   Teil 3 beschäftigt sich mit den ganz Großen im Schach. Viele Weltklasse-Spieler/innen finden in den sechs Kapiteln ihren Platz. Egal, ob ihnen bei Weltmeisterschaften, bei den Schnellschach-Amberturnieren in Monaco oder bei einmal tatsächlich ausgespielten Begegnungen in der russischen Partie der Wurf ihres Lebens gelang, mit sehr schönen, kommentierten Partien ist ihr Kampfgeist um die höheren Weihen der Schachkunst verewigt. Ein besonderes Ereignis kommt auch nicht zu kurz: Kasparow gegen "die Welt". Auf ganzen acht Seiten kann man die Entwicklung der Internetpartie mitverfolgen. Begleitende Diagramme und ein Resümee von Kasparow sind selbstverständlich mit dabei! Außerdem gelingt es Keilhack, allgemeinverständlich die Wirren des FIDE-Treibens aufzulösen und so manch einem Schachspieler Klarheit in dem ganzen Hickhack zu verschaffen, wer denn nun Weltmeister ist usw. Wissenswertes rund um die Schachelite wird durch Tabellen, Interviews, Partien von den Finalrunden, Karikaturen von den Spielern und außerordentlich viel erklärenden Hintergrundinformationen zu lesenswerten Abschnitten verknüpft.

   Nach so vielen Untergliederungen kommt man bei Teil 4 dann ins Stutzen: "Der letzte Teil des prall gefüllten Buches besteht lediglich aus vier Kapiteln!", mag man zunächst denken, doch dafür geht es hier nicht um Alltagskost. Den Auftakt bilden 14 Kurzpartien, die sich ja immer großer Beliebtheit unter den Schachamateuren erfreuen. Zum einen enthalten sie viele Anfängermotive und zum anderen muss man nicht lange auf den "Taktikschlag" warten. So auch in dieser spritzig kurzen Partie:










A. Kaid - G. Bogdanowitsch [A07]
Crailsheim 1998
[Harald Keilhack]

1.Sf3 Das Crailsheimer Pfingstopen gewann GM E. Schmittdiel (Bochum) punktgleich mit den Nachwuchsspielern A. Kaid (Bochum, 19 J.), J. Kipper (Koblenz, 20 J.) sowie S. Petrosjan (Armenien) mit je 6 Punkten aus 7 Partien. In der folgenden Partie des Co-Siegers kam der mit den schwarzen Steinen spielende IM böse unter die Räder. Dabei ist das Motiv seit fast einhundert Jahren bekannt! 1...d5 2.g3 e6 3.Lg2 Sf6 4.0-0 Sbd7 5.c4 b6 6.d4 Ld6 [ Normal ist 6...Le7 .] 7.cxd5 exd5 8.Sc3 a6?! [ Besser ist 8...c6 .] 9.e4! dxe4 10.Sg5 Ta7 [ Nach 10...Lb7 bekäme Schwarz Probleme mit der ungedeckten Stellung dieses Läufers, z.B. 11.Scxe4 Sxe4 12.Sxe4 Lxe4 ( oder 12...0-0 13.Sxd6 Lxg2 14.Sxf7 ) 13.Lxe4 Ta7 14.Dg4! 0-0? 15.Lh6 Df6 16.Lg5! und gewinnt.] 11.Scxe4 Le7?? 12.Sxf7! Kxf7 13.Sg5+ Kg6 [ 13...Ke8 oder; 13...Kf8 14.Se6+ mit Damengewinn,; 13...Kg8 14.Db3+ nebst matt. Also bleibt nur die verzweifelte Flucht nach vorn:] 14.Dd3+ Kh5 15.Lf3+ Sg4 16.Lxg4+ 1:0 wegen: 16...Kxg4 17.Df3# 1-0

 

   Die anschließenden "Sturmläufe" lassen die Schachherzen ebenso höher schlagen. Da werden Bauern und Figuren in den Kampf geschickt, um den gegnerischen König zu überrollen, oder es wird die Ruhe vor dem Sturm verschleiert, indem man einen unscheinbaren Zug zieht, der letztendlich doch den Punkt einfährt. Neben einem besonders interessanten Aspekt des modernen Turnierschachs (dem Keil g2-g4 als Idee verschiedener Angriffssysteme) wird schließlich auch der letzte Teil mit einem bunten Potpourri an Partien abgeschlossen, die laut Autor, keinem der vorhergehenden Kapitel einzuordnen sind.

   Unter dem Strich möchte ich das Buch jenen Schachliebhabern ans Herz legen, die auf einer langen Zug- oder Flugzeugreise - vielleicht sogar zu einem Schachturnier :-) . vor allem etwas Zerstreuung (und / oder Inspiration!) dabei haben möchten. Man kann viel mit der Revue der letzten Jahre anfangen: die zahllosen Diagramme zum Lösen nutzen, bekannte und weniger bekannte Partien nach Ideen durchforsten, auch mal Klatsch und Tratsch über Spieler ohne besonderen Lernanspruch lesen, kuriose Begebenheiten im Schach genießen oder einfach Turnierverläufe studieren.

   Geeignet ist der Rückblick für Turnierspieler ab DWZ 1500, denn sowohl Partien mit Erkenntnisgewinn nachzuspielen und zu verstehen verlangt - ebenso wie das Lösen vom Diagramm - einige Übung. Daher sollte man nicht gerade ein Anfänger sein, damit das Flair des Buches richtig zum Tragen kommt. Darüber hinaus hat vielleicht der ein oder andere Turnierspieler selber eines der aufgelisteten Turniere bestritten - und dann liest es sich gleich doppelt so gut! Besonders geeignet ist dieses Buch jedoch für Spieler aus der Stuttgarter Region, weil natürlich - im Vergleich zu anderen Bücher - überdurchschnittlich viele Partien von dort ansässigen Spielern vorhanden sind. Spiele aus der Oberliga oder Bezirksklasse, Anekdoten, Anspielungen und witzige Geschichten aus dieser Region sind keine Seltenheit. Vielleicht interessiert dies aber auch die Nicht-Schwaben!!! Insgesamt ein sehr interessantes Buch mit Schmökercharakter.

 

 

"Glatteisgefahr" - die Lösung

Josef Haas, Urdruck Stuttgarter Zeitung 1998

Schach-Problem (1)

Weiß nimmt seinen letzten Zug zurück und setzt statt dessen in zwei Zügen matt.

 

Die Auflösung:

Es geht darum, mit dem Rücknahmezug die Diagonale b1-h7 zu schließen (Ausschalten der Verteidigung Db1:f5), um dann mit 1.K:g7 und 2.Tf8# mattzusetzen. Aber kann Schwarz sich nicht mit (1.K:g7) 0-0-0 zur Wehr setzen!?

Doch der Reihe nach:

Zurück Bc2:b3, Bc2-c3 oder Be4-e5 führt zu einer illegalen Stellung (siehe unten). Zurück Te4-b4 (von vielen Lösern vorgeschlagen!) oder Tf7:Bf5 sieht zwar erfolgversprechend aus, aber Schwarz verhindert mit der erlaubten Rochade das zweizügige Matt! Zurück Sd3/Se4:c5 bietet der ...0-0-0 keine Chance zur Mattverhinderung, aber 1... Kd7 hilft!

Aber ausgerechnet die Schließung der Diagonale durch Entschlag eines schwarzen Läufers auf f5 mit Tf7:Lf5 führt zum Ziel! Das Schach auf f5 kann nur durch ...g6-g5+ entstanden sein, aber dann konnte der weiße König nur über f7-g8 nach h7 ziehen, wobei der schwarze König bewegt wurde. Die Rochade ist jetzt nicht erlaubt, so daß Weiß mit 1.K:g7 und 2.Tf8# mattsetzt.

Schach-Problem (2)

 

Stellung vor 0...g6-g5+ 1.Tf7:Lf5. Weiß spielt aber nach ...g5+ 1.K:g7! nebst 2.Tf8#. Es wird deutlich, dass der König bei seinem Marsch nach h7 den Kollegen auf e8 in Bewegung gesetzt haben muss!

Weitere Details: Weiß hat 15 Steine, der einzige Schlagfall wurde vom Bg6 verbraucht. Auf a2 steht also kein Umwandlungsläufer, was nach Rücknahme von c2-c3 der Fall sein müsste. Der Be5 muss von h2 gekommen sein, im Falle der Rücknahme von e4-e5 (g2:f3:e4, h2:g3) gelangt der Läufer nicht nach g1. Der schwarze d-Bauer konnte nach Umwandlung auf d1 allerorts als Schlagobjekt zur Verfügung stehen.

Die Verzweiflung der Löser sprach aus seitenlangen Briefen voller abenteuerlicher Hypothesen ("Sollte der Ta8 nicht der ursprüngliche sein?!", Peter Erbacher). Natürlich ging es dabei um die ...0-0-0, so schrieb Rolf Epple: "Aber warum bloß soll die Rochade nicht mehr möglich sein? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, ich habe trotz tagelangen Grübelns nichts Zwingendes gefunden. Ich bin sehr gespannt auf die genaue Lösung".

 

 

Eine zweite Meinung: Rezension von Harald Fietz.

 

 

das Buch stellte der Schachverlag Kania, Richard-Wagner-Str. 43, 71701 Schwieberdingen für die Rezension zur Verfügung


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