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Schachkultur - Mehr gewinnen als nur Punkte

ChessBase: Die größten Turniere der Schachgeschichte

Rezension von Robert Miklos, Juni 2004

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ChessBase: Die größten Turniere

ChessBase 2004, ca. 30 Euro
ISBN 3-935602-98-7
Systemvoraussetzungen: Pentium-PC, Win95/ME/XP
CD-Laufwerk (etwa 110 MB auf der Festplatte)

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 3 aus 5

 

   Die Schachkultur, bzw. das Fehlen derselbigen, ist ein neuerdings beliebtes Thema. Ausgerechnet in Deutschland mangele es, stellte vor einiger Zeit der gebürtige russische Schach-Großmeister Alexander Graf fest. Auch Kasparow möchte den Hobby-Spielern die Schach-Geschichte in seinem mehrbändigen Werk "Meine großen Vorkämpfer" näherbringen. Eine CD, die auch nicht direkt Punkte und schnelle Siege verspricht, präsentiert die deutsche Schach-Firma ChessBase. Sie handelt von den "größten Turnieren der Schachgeschichte".

   Die Partien der 50 Turniere sind in einer Datenbank untergebracht. Zu jedem Turnier gibt es einen Turnierbericht (mit Tabelle, kurzer Beschreibung des Verlaufs, einigen Bildern und Marginalien - das sind ein, zwei Anekdoten zum Turnier); die meisten Turnierberichte stammen von Manuel Fruth, Co-Autor einiger Schachbücher, Verleger und Besitzer eines Schachantiquariats. Dazu kommen in der Datenbank natürlich alle Partien, insgesamt 6791 (etwa 1400 kommentiert). Wie bereits üblich, ist die CD zweisprachig, die Turniertexte gibt es auf Deutsch und Englisch. Die Partiekommentare sind hingegen nicht einheitlich zweisprachig, vorherrschend ist Deutsch.

   Den Anfang in der Partienliste machen zwei Einleitungstexte von GM Rainer Knaak. Im ersten bietet der deutsche Großmeister einen Überblick über das Turniergeschehen im Laufe der Zeit und erklärt einiges über das Drumherum der CD. Die zweite Einleitung bietet eine Liste der Turniere und die Rangliste der Teilnehmer der Topten. Das sind die Turniere, die abgedeckt werden:

 

1.

London

1851

2.

New York

1857

3.

Wien

1873

4.

Leipzig

1877

5.

London

1883

6.

Hastings

1895

7.

St. Petersburg

1895

8.

Nürnberg

1896

9.

Wien

1898

10.

London

1899

11.

Paris

1900

12.

Cambridge Springs

1904

13.

St. Petersburg

1909

14.

San Sebastian

1911

15.

Karlsbad

1911

16.

San Sebastian

1912

17.

St Petersburg

1914

18.

Mährisch Ostrau

1923

19.

New York

1924

20.

Baden-Baden

1925

21.

Moskau

1925

22.

Bad Kissingen

1928

23.

Karlsbad

1929

24.

San Remo

1930

25.

Bled

1931

26.

Moskau

1935/36

27.

Nottingham

1936

28.

Kemeri

1937

29.

AVRO (Holland)

1938

30.

Salzburg

1942

31.

Sverdlovsk

1943

32.

Groningen

1946

33.

Moskau

1956

34.

Dallas

1957

35.

Bled

1961

36.

Los Angeles

1963

37.

Capablanca Memorial (Havanna)

1963

38.

Santa Monika

1966

39.

Moskau

1967

40.

Moskau

1971

41.

San Antonio

1972

42.

Mailand

1975

43.

Moskau

1975

44.

Leningrad

1977

45.

Bugojno

1978

46.

Tilburg

1978

47.

Montreal

1979

48.

Moskau

1981

49.

Bugojno

1986

50.

Tilburg

1986

 

   Damit ergibt sich ein wichtiger Kritikpunkt: Der Titel der CD ist leicht irreführend. Neben der dem Thema innewohnenden Subjektivität (das gibt GM Knaak in der ersten Einleitung zu) findet sich dort auch der Hinweis, eher nebenbei: "Vermissen wird mancher vielleicht Baden-Baden 1870 und Wien 1882, natürlich völlig zu Recht. Zu einem geeigneten Zeitpunkt und Ort werden sicher Reports zu diesen Turnieren präsentiert werden. New York 1927 ist hingegen für die geplante CD über offizielle Turniere aufgehoben worden, wenngleich uns bewusst ist, dass damals allenfalls ein inoffizielles Kandidatenturnier ausgetragen wurde." Nicht dabei sind also einige der interessanten Turniere, z.B. auch das Kandidatenturnier von Zürich 1953, zu dem es das sehr gute Turnierbuch von Bronstein gibt; dass die CD 1986 aufhört, ist auch schade, die Schach-Zahl 64 hätte man noch erreichen können; vielleicht gibt es ja noch eine dritte CD, "Die größten Schachturniere von 1987 bis 2004". Der Titel der zu besprechenden CD wäre jedenfalls korrekter "50 große Turniere" gewesen, ein noch besserer Titel hätte in etwa so lauten müssen:

Die größten Turniere der Schachgeschichte
von 1851 bis 1986,
außer den offiziellen Turnieren
und einigen, die wir nicht hingekriegt haben

 

   Vor allem bei digitalen Partiensammlungen ginge im Zweifelsfall immer noch ein bisschen mehr, schließlich entfällt meistens die Platzbeschränkung, die es bei gedruckten Publikationen gibt: Also mehr kommentierte Partien, mehr Fotos, mehr Berichte ... Zu den meisten (zu allen?) dieser 50 Turniere gibt es ja Turnierbücher, die auf vielen Seiten alles Mögliche über die Turniere präsentieren. Viele der Partien sind außerdem auch anderswo kommentiert, das Problem ist also eher, alles zusammenzutragen (natürlich unter Berücksichtigung des Copyrights). Für 30 Euro bekommt man einiges geboten, einige Partien sind richtig ausführlich kommentiert. Die Quellen der Partie Reti-Aljechin sind das wohl extremste Beispiel, die Partie ist ja auch sehr bekannt: "Auf dem Wege zur Weltmeisterschaft (#23). s.a. Rochade 6/95, S. 55. Euwe: Feldherrnkunst, 30. Harenberg: Spiegel, S.180 Kotov: Erbe, 60. Best Games 1924-37, 6. Lasker,Ed.: Lehrbuch des Schachspiels, S. 265ff. Suetin in Rochade 1/94 S. 3. Müller, 24. Linder, 25. Awerbach/Kotov: Schachbuch für Meister von Morgen, S.110. Kotov: Lehrbuch der Schachtaktik 1, S . 110ff. Schuster; Unvergessene Schachpartien, S. 119f. Karpov: Stellungsbeurteilung und Plan, S. 110f. Nunn: A.'s Best, 37. Tarrasch: Baden-Baden 1925, 71. Alekhine und Lasker (L) in: Adams: Baden-Baden 1925, 71. Barcza: Weltmeister des Schachspiels I, S. 292ff. Beheim-S.: Knaurs Schachbuch, Neuaufl., 1997, S. 92ff. Schonberg: Großmeister des Schachs, S. 183ff. Varnusz: Aljechin, der Größte <1925/27> Strouhal: 8 x 8, 110. Charushin: Alekhine's Block, 130. Van Reek: Alexander Aljechin: Schaakspelers als Eindspelkunstenaars, Deel 5, S. 8f. Haas: Alexander Aljechin, S. 74f. Shaburov: Aleksandr Alekhin: nepobezhdennyi chempion. 1992, 17. Haas in Rochade 7/1998, S. 86. Skinner/Verhoeven: Alexander Alekhine's Chess Games, 887. Shakhmaty 1925, S. 76ff. Lasker's Manual of Chess, S. 310ff. Bobby Fischer and his Predecessors in the World Championship, S. 85ff." Kein Kommentar!

 










Reti,R - Alekhine,A [A00]
Baden-Baden Baden-Baden (8), 25.04.1925

1.g3 e5 2.Sf3 e4 3.Sd4 d5 4.d3 exd3 5.Dxd3 Sf6 6.Lg2 Lb4+ 7.Ld2 Lxd2+ 8.Sxd2 0-0 9.c4 Sa6 10.cxd5 Sb4 11.Dc4 Sbxd5 12.S2b3 c6 13.0-0 Te8 14.Tfd1 Lg4 15.Td2 Dc8 16.Sc5 Lh3 17.Lf3 Lg4 18.Lg2 Lh3 19.Lf3 Lg4 20.Lh1 h5 21.b4 a6 22.Tc1 h4 23.a4 hxg3 24.hxg3 Dc7 25.b5 axb5 26.axb5 Te3 27.Sf3 cxb5 28.Dxb5 Sc3 29.Dxb7 Dxb7 30.Sxb7 Sxe2+ 31.Kh2 Se4 32.Tc4 Sxf2 33.Lg2 Le6 34.Tcc2 Sg4+ 35.Kh3 Se5+ 36.Kh2 Txf3 37.Txe2 Sg4+ 38.Kh3 Se3+ 39.Kh2 Sxc2 40.Lxf3 Sd4 0-1

 

   Etliche Partien wurden zusätzlich zur Megabase04 kommentiert, aber oft fast wortwörtlich aus gedruckten Quellen, vor allem bei den älteren Partien; somit sind die Kommentare eher von historischem Interesse als von 100prozentiger Genauigkeit. Für die Partien von Bobby Fischer gab es keine Ergänzung mit den Anmerkungen aus seinem Klassiker "Meine 60 denkwürdigen Partien", nur die Varianten - und ein bisschen mehr: Die Anmerkungen eines gewissen "PS", anonym aber gut. FM Johannes Fischer kommentiert sehr wortreich ein paar Lasker-Partien (er hatte bei der ChessBase-CD über Lasker mitgewirkt), andere Kommentare sind meistens im Informator-Stil. Bei den meisten Turnierberichten gibt es eine kleine Auflockerung in Form einer Anekdote, genannt "Marginalie" (auf Englisch "side note"). Der Ton ist aber nüchtern, z.B. beim Bericht über das Moskau-Turnier von 1981 ist er kein Vergleich zum Timmans Geschichten aus seinem Klassiker "Studien und Partien" - dort gibt es "Marginalien" in Hülle und Fülle. Die Partie Torre-Karpow ist auf der CD besser analysiert, dafür kann Timman sich seitenlang über Endspielvarianten austoben - das wäre ja auch kein Thema der CD. Bei den Kommentaren zu Timman-Kasparow hat der niederländische Super-Großmeister natürlich einen großen Vorteil - der ChessBase-Kommentator aber auch, schließlich steht einiges davon im Buch, außerdem wäre eine Schach-Engine (wie z.B. Deep Fritz 8, diese stimmt den meisten Zügen zu) noch eine zusätzliche Absicherung gegen taktische Ungenauigkeiten.

 










Timman,J (2620) - Kasparov,G (2625) [E83]
Moscow IT Moscow (5), 13.04.1981
[Belov]

1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.f3 0-0 6.Le3 Sc6 7.Sge2 a6 8.Sc1 [ 8.Dd2!? ] 8...e5 9.d5 [ 9.Sb3 exd4 10.Sxd4 Sd7 11.Le2 Sc5 12.0-0 Se6= Brenninkmejer,J- Nijboer,F/Wjik aan Zee/1988/] 9...Sd4 10.Sb3 Sxb3 [ 10...c5!? 11.dxc6 bxc6 12.Sxd4 exd4 13.Lxd4 Tb8! 14.Dd2 Da5 15.Tc1 Td8© Rodriguez,Am- Kuzmin,G/Minsk/1982/1:0 (64) Inf 33/723/] 11.Dxb3 [ 11.axb3 c5!= /\ Sh5/] 11...c5 [ 11...Sd7!? 12.0-0-0 f5 13.Le2 b6 14.Dc2 a5 15.a3 Sf6= Salov,V-Dorfman,I/URS(ch)/1984/] 12.dxc6 bxc6 13.0-0-0 De7 [ 13...Le6?! 14.Da3! Se8 15.h4! f6?! ( >=15...Lf6 ) 16.c5+/- Spassky,B- Korchnoi,V/Kiev(m/7)/1968/1:0 (35) Inf 6/773/] 14.Db6!? [ 14.c5 d5[] 15.exd5 cxd5 16.Sxd5 Sxd5 17.Dxd5 Tb8© Karpov,Razuvaev/ ( 17...Le6 18.Dd6 Dh4 ) 18.Dd6 Db7 19.Td2 ] 14...Lb7[] 15.g4 Tab8 [ >=15...Tfb8= Kasparov/] 16.h4 Tfc8 17.h5+/= Sd5?! [ >=17...Sd7 18.Db4 Sc5+/= ] 18.exd5 [ 18.cxd5 cxd5 19.exd5+/- ] 18...cxd5 19.Txd5?! [ >=19.cxd5 La8 ( 19...Lxd5?! 20.Dxb8! Txb8 21.Sxd5 Db7 22.b3+/- ; 19...e4 kommt nur in Timmans Buch vor - und nimmt viel Platz ein, deutlich mehr als die 2 Alternativen, die beide in jeweils einem Satz abgefertigt werden, hier eine der möglichen Varianten 20.hxg6 hxg6 21.Ld4 Lxd5 22.Lxg7 Txb6 23.Ld4 f6 24.Lxb6 Lxa2 25.Ld4 exf3 26.Ld3 ) 20.Da5 e4 21.hxg6 fxg6 22.f4! Db7 23.Da3 a5! 24.Ld4 Lxd4 25.Txd4 Db6 26.Td2! De3 27.Le2!+/- Kasparov/] 19...Lxd5 20.Sxd5 De6 21.Da7! Ta8 [ 21...Dxd5? 22.Dxb8!+- ] 22.Db7 [ 22.Sc7?! Dxc4+! 23.Lxc4 Txa7 24.Lxa7 Txc7 25.b3 d5-/+ ; 22.Se7+?! Kf8 23.Sxc8 Txa7 24.Sxa7 Df6! 25.Le2 e4!-/+ Kasparov/] 22...Tab8 23.Da7 Ta8 24.Db7 Tab8 1/2-1/2

 

   Eine Sorgfalt, die man in einem guten Buch erwarten könnte, kann angesichts der über 6000 Partien wohl nicht erwartet werden, zumindest nicht für den Preis. Ein bisschen lieblos wird das Turnier in Karlsbad 1911 abgefertigt: Es gab Schönheitspreise für 6 Partien, keine davon ist kommentiert; dann wurden noch 6 zweite Schönheitspreise vergeben, da gibt es auch keine Kommentierungen - immerhin die Links auf die 12 Partien beim Turnierbericht. Fast alle der auf der CD kommentierten Partien dieses Turniers wurden von Aljechin gespielt, die Kommentare stammen aus Büchern, vor allem aus Varnusz "Aljechin, der Größte" und Skinner/Verhoeven "Alexander Alekhine's Chess Games"; eine einzige Ausnahme ist die Begegnung von Nimzowitsch gegen Salwe, dort finden sich Zitate aus Nimzowitschs Büchern.

   Partie-Analysen kann jeder schnell automatisch erstellen lassen, jedoch: Die Voll-Analyse dieser Schönheitspartien, durchgeführt von Deep Fritz 8 mit 30 Sekunden pro Zug genügt leider nicht höheren Ansprüchen. Für "Patzer-Partien" gehen die Kommentare noch in Ordnung, bei Meister-Spielern sind vor allem die Wortkommentare schon fast beleidigend, die Einteilung der Eröffnungen meistens merkwürdig.

   Bei den Turnieren Wiener Schachkongress 1873, Aljechin Memorials 1956 und 1975 fehlt bei den Partiendaten die Angabe der Runden-Nummer. Über das Turnier in San Sebastian möchte man auch ein bisschen mehr erfahren: In Bernstein - Teichmann gewinnt Weiß nach 14 Zügen auf Zeit. Einzelheiten!? Fehlanzeige. Solche Feinheiten von einer "allgemeinen" CD erfahren zu wollen ist vielleicht auch vermessen.

   Hier erhält man die Gelegenheit, Schach anhand der Partien von 50 großen Schachturnieren zu trainieren und en passant etwas mehr Schachkultur zu entwickeln: eine empfehlenswerte Kombination für Neulinge auf dem Gebiet der Schach-Historie. Für jedes einzelne Turnier ist das entsprechende Turnierbuch natürlich ausführlicher, für einen groben Überblick mit allen Partien bequem zur Hand ist die CD sehr gut geeignet, man kann so mal eben eine Engine befragen oder ein paar Statistiken erstellen.

 

 

Die CD stellte ChessBase, Mexikoring 35, 22297 Hamburg, für die Rezension zur Verfügung


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