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Glenn Flear: The Ruy Lopez Main Line

Rezension von Peter Oppitz, Juni 2004

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Glenn Flear: The Ruy Lopez Main Line

Everyman Verlag 2004
ISBN 1-85744-351-9
176 Seiten; ca. 23,50 Euro
Sprache: Intermediate English

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 3 aus 5

 

   Die Spanische Eröffnung - im anglo-amerikanischen Sprachraum nach dem führenden Spieler und Theoretiker des 16. Jahrhunderts, dem spanischen Geistlichen Ruy Lopez benannt - gehört seit Jahrhunderten zu den altehrwürdigen und meistgespielten Eröffnungen. Die Hauptvarianten werden regelmäßig von Weltklasse-Großmeistern bis hin zu den Weltmeisterschafts-Kämpfen angewandt und verfeinert. Spanisch steht zu Recht in dem Ruf, einesteils der nachhaltigste Versuch auf weißen Vorteil in den Offenen Spielen, andererseits aber auch eine anerkannt stabile und unerschütterlich solide Verteidigung für den Schwarzspieler zu sein.
 
 

   Der mittelstarke englische Großmeister Glenn Flear (Jahrgang 1959, ELO um 2500) ist einer der etablierten Buchautoren des Londoner Everyman-Verlages, zeichnet dort u. a. für "Improve Your Endgame Play", "Mastering the Endgame" und "Test Your Endgame Thinking" sowie "The ...a6 Slav" verantwortlich und betreut in den New-In-Chess-Jahrbüchern selbst die Buchrezensions-Kolumne. Als regelmäßiger 1.e4 e5 - Spieler ist er bestens geeignet, um über den Komplex der Spanischen Eröffnung zu schreiben, obwohl Flear selbst weitgehend die Offene Variante mit 5...Sxe4 bevorzugt. Nach seinen früheren Büchern zu diesem Thema "Open Ruy Lopez" (2000) und "Offbeat Spanish" (2001) wendet er sich nun in "The Ruy Lopez Main Line" den geschlossenen Haupt-Abspielen zu, die man unter dem Informator-Schlüssel C90 - C99 findet. Aus der Grundstellung des geschlossenen Spaniers nach 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5. 0-0 Le7 6.Te1 b5 7. Lb3 d6 8.c3 0-0 (s. Diagramm links) erkennt man den Charakter des Spiels: die Könige sind sicher rochiert, beide Heere haben noch keinen großen Kontakt, schnelle Entwicklung ist nicht so entscheidend wie harmonisches Figuren-Umgruppieren. Das Spiel entwickelt sich langsam und gemächlich, Abtäusche sind eher selten.

   Da beim Everyman-Verlag die Aufmachung der speziellen Eröffnungswerke weitgehend gleich ist, soll die Buch-Einteilung hier nochmals exemplarisch vorgestellt werden: Der Verlag vertraut dabei auf das Konzept der vollständigen Muster-Partien, in die weitere Referenzpartien eingewoben werden. Einer kurzen Bibliografie und einem einführenden zweiseitigen Vorwort folgen 77 ausgewählte Meisterpartien, eingeteilt in zehn Kapitel. Folgende Abspiele werden untersucht:
 

Kapitel 1-3 Tschigorin-Verteidigung (9.h3 Sa5)
Kapitel 4 Breyer-System (9...Sb8)
Kapitel 5 Zaitsew-Variante (9...Lb7)
Kapitel 6 Karpow-Variante (9...Sd7)
Kapitel 7 Smyslow-Variante (9...h6)
Kapitel 8 schwarze Alternativen im 9.Zug (9...Le6, 9...Dd7, 9...a5)
Kapitel 9 Weiß spielt 9.d4
Kapitel 10 weiße Alternativen im 9.Zug (9.d3, 9.a4, 9.a3)

   In das letzte Kapitel fällt somit auch ein kurzer Blick auf einige Anti-Marshall-Systeme, obgleich Schwarz bei den derzeit aktuellen Versuchen - etwa mit 8.h3 Lb7 9.d3 (siehe C88) - doch mehr auf einen Aufbau mit sofortigem d7-d5 abzielt. Ausdrücklich nicht in dem Buch von Flear behandelt wird das hochkomplizierte und äußerst theorielastige Marshall-Gambit (8...d5), über das Bogdan Lalic einen eigenen Band verfaßt hat.

   Die einzelnen Kapitel beginnen jeweils mit einer knappen verbalen Einführung, anschließend wird konsequent Partie um Partie abgehandelt. Am Ende jedes Kapitels stehen eine ebenso kurze Zusammenfassung und Bewertung und ein Variantenindex des Kapitels mit Referenz zu den jeweiligen Partienummern. Die Zusammenfassungen glossieren nur leicht das Vorhergehende und lesen sich etwa bei Kapitel 4 (Partien 28 - 37) so:

   "Weiß hat eine große Auswahl in seiner Behandlung der Breyer-Variante, aber 15.b3 in den Partien 36 & 37 bietet am ehesten einen Vorteil. Schwarz kann nach Solidität streben, aber es besteht die Gefahr, in eine passive Position zu geraten, sowohl in diesen Partien als auch anderswo. Stattdessen zeigen die Partien 34 und 35, daß es sich gegen 15.a4 leichter verteidigen läßt. Eine dynamischere Behandlung wird gerade populär, wie Sokolov in Partie 29 und Kramnik in Partie 30 beispielhaft vorgeführt haben. Sogar in Partie 37 kann Schwarz die Qualen der Partiefortsetzung vermeiden, wenn er in den Zügen 16, 17 und 18 variiert wie in Kasimzhanov - Short."

   Das reicht kaum aus, um sich ein abschließendes Urteil über Wert und Brauchbarkeit der vorgestellten Variante fürs eigene Repertoire zu bilden. Dem Leser bleibt eben nichts anderes übrig, als die Partien des betreffenden Kapitels von A bis Z durchzuspielen, zu vergleichen und selbst zu beurteilen.

   Am Schluß des Buches findet sich noch ein Index der kompletten Partien, alphabetisch geordnet nach den Weißspielern. Aber leider kein vollständiger Spielerindex (einschließlich der Fragmente), denn beim Erlernen einer Eröffnung ist es manchmal nützlich, einem bestimmten Klasse-Großmeister oder auch nur seinem selbstgewählten "Helden" bei dessen spezieller Interpretation der betreffenden Variante auf die Finger zu schauen.

   Ebenso fehlt ein kompletter Variantenindex über das gesamte betrachtete Gebiet. Zwar erwähnt Flear meist fairerweise Zugumstellungen und Übergänge, doch wenn diese öfter vorkommen (etwa von Zaitsew- zu Smyslow-System bei spätem h7-h6 oder zum Breyer bei Einschub von Sc6-b8-d7), kann der Leser beim konkreten Suchen doch hin und wieder ganz schön ins Blättern geraten.

   Das insgesamt allzu schlichte Verlags-Konzept schränkt die Autoren in ihren Gestaltungs-Möglichkeiten unnötig ein und erinnert an die "Trends in ..."- und "Developments in ..."-Heftchen der 80er Jahre, die mit Hilfe von jeweils einhundert aktuellen Partien eine Momentaufnahme und den Status Quo über diverse Eröffnungssysteme liefern wollten. Heutzutage kann man mit größeren Partien-Datenbanken, Drag-und-Drop-Technik, Partien-Verschmelzung und den Möglichkeiten modernen Desktop-Publishings natürlich optisch anspruchsvollere und deutlich umfangreichere Bücher erstellen. Vom Charakter her vermitteln manche dieser Produkte aber weiterhin den Eindruck gewisser Oberflächlichkeit und kommerzieller Bequemlichkeit der Autoren, die häufig routinierte Terminarbeit abliefern, ohne übermäßig viel Mühe in die Material-Aufarbeitung und detaillierte Prüfung zu investieren. Wobei es auch engagiertere und sorgfältige Autoren gibt wie die Großmeister Gallagher, Emms oder Ward, deren Werke meist deutlich über dem Standard liegen...

   So verzichtet Flears Monografie etwa gänzlich auf wünschenswerte spezielle Abschnitte über häufig auftretende taktische Motive, typische Manöver und Verfahren, Erläuterungen zu Bauernstrukturen oder über die Charakteristik sich oft ergebender Endspiele. Solche nützlichen und einprägsamen Ausführungen findet der Lernende immerhin in den elementareren Everyman-Buchreihen "Easy Guide" und "Starting Out", auch wenn es dort häufig bei allzu Einfachem für den völligen Neuling bleibt. Im Literaturverzeichnis werden dann auch weder die vor gar nicht so langer Zeit erschienenen "Easy Guide to the Ruy Lopez" von John Emms (1999) und "Starting Out: The Ruy Lopez" von John Shaw (2003) erwähnt noch die ebenfalls um Anschaulichkeit bemühten "Mastering the Spanish" von King/Ponzetto (1995) und Taulbuts "Understanding the Spanish" (1996). Wobei wir bereits bei der Frage der Aktualität und Vollständigkeit der Flearschen Recherche sind.

   Die Bibliografie nennt neben der 4. Auflage der Enzyklöpadie C (2000) und Nunn´s Chess Openings (1999) lediglich einige ältere Spanisch-Bücher wie "The Complete Spanish" von Alexei Suetin (1991) und Bikhovskys "The Closed Spanish Karpov/Zaitsev Systems" (1993) und "Spanish Chigorin" (1983). Im Vorwort führt Flear an, Material bis November 2003 berücksichtigt zu haben, und in der Tat scheint er seine Partien vorwiegend auf elektronischem Wege aus der MegaBase-CD 2003, dem TWIC, Informator und NewInChess zusammengestellt zu haben, denn viele der verwendeten Anmerkungen und Varianten stammen als direkte Zitate aus diesen Publikationen.

   Von der Qualität her liegt Flear mit seinem "Main Line Ruy Lopez" dabei im gehobenen Mittelfeld. Zunächst ist die Auswahl der 77 Haupt-Partien aktuell und gelungen, das meiste sind Top-Level-Beispiele des Zeitraums 1995 - 2003, gemischt mit einigen Klassikern. Flear hat aus seinen Quellen seriös das Wesentliche zusammengestellt und versucht, sehr viel Material auf den 176 Seiten unterzubringen, und da im geschlossenen Spanier so ziemlich alle sinnvollen Züge ausprobiert worden sind, tut er bei seinem Komplettheitsanspruch manchmal sogar des Guten zu viel. Die Seiten sind dicht gedrängt mit Haupt- und Nebenvarianten, sprachliche Kommentare meist kurz und die üblichen Floskeln. Trotz ein bis zwei Diagrammen pro Seite fällt eine schnelle Orientierung schwer, denn Spanisch-Positionen um den 15.Zug herum sehen oft recht ähnlich aus!

   Schauen wir uns also einige konkrete Abspiele und Flears Einschätzungen dazu an: Ein langjähriges und bislang ungelöstes Problem in einer soliden Hauptvariante des klassischen Tschigorin-Systems ist die Frage: Wohin mit dem schwarzen Randspringer, wenn Weiß das Zentrum mit d4-d5 abschließt? Flear empfiehlt 14...Db7 (statt des traditionellen 14...Tb8) nur aufgrund der folgenden Swidler-Partie, nennt aber selbst in den Fußnoten kaum weitere Praxis-Beispiele damit! Und auch Swidlers Anmerkungen, die Flear lediglich in ihrer verknappenden Informator-Version referiert, lassen sogar in ihrer ausführlichen sprachlichen Fassung (z.B. im NiC-Magazin 1998-8) einiges offen und zeigen keinen Ausgleichsweg für Schwarz. Da stoßen wir schon auf eine wesentliche Problematik, wenn man nur Datenbank-Partien verschmilzt, nämlich daß nicht existiert, was nicht gespielt wurde. Hier wären kompetente Eigenanalysen gefragt, oder man kann bei leichtfertiger Anwendung in der eigenen Praxis böse Überraschungen erleben.

 










Svidler,P (2710) - Piket,J (2605) [C98]
Tilburg, 1998

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 d6 8.c3 0-0 9.h3 Sa5 10.Lc2 c5 11.d4 Dc7 12.Sbd2 Sc6 Die alte Tschigorin-Hauptvariante gilt als sehr sicher, aber auch etwas passiv. [ Die modische und aggressivere Zentrumsöffnung mit 12...cxd4 13.cxd4 Td8 nebst ...d6-d5 wird ausgiebig in Kapitel 1 (Partien 1-9) abgehandelt.] 13.d5 [ Daß die Alternative 13.dxc5 dxc5 14.Sf1 Le6 15.Se3 Tad8 16.De2 c4 17.Sg5 ( 17.Sf5 Tfe8! =) 17...h6! 18.Sxe6 fxe6 mit der Idee 19.b4? Sd4! nur Ausgleich bringt, wird an Fischer - Cholmow, Havanna 1965 (Partie 16), vorgeführt.] 13...Sd8 [ Versuche mit 13...Sa5 14.b3 Ld7 konnten nicht überzeugen - Schwarz hat zwei Tempi weniger als bei 12...Ld7 13.d5] 14.a4 Db7 [ vorher spielte Schwarz überwiegend 14...Tb8 15.axb5 axb5 16.b4 und hatte Probleme, ein gutes Feld für den schlechten Springer zu finden: 16...Sb7?! ( 16...c4 17.Sf1 Se8 18.Sg3 g6 19.Sh2 Sg7 20.Tf1 f6 21.f4 Sf7 22.f5 g5 23.h4 mit Angriff in Dominguez - Hernandez, Santa Clara 2000; 16...Se8 17.Sf1 g6 18.g4 f6 19.Sg3 Sf7 20.Le3 Ld7 21.De2 Sg7 22.Ta3 mit Initiative in Pinson - Palmo, corr 1980; 16...Sd7!? (Flear) ist bislang ungetestet) 17.Sf1 Ld7 18.Le3 Ta8 19.Dd2 Tfc8 20.Ld3 g6 21.Sg3 Lf8 22.Ta2 mit Druck in der Glanzpartie Karpow - Unzicker, Nizza ol 1974] 15.Sf1 [ 15.b4 c4 16.Sf1 Se8 17.S3h2 erlaubt Gegenspiel mit 17...f5! ] 15...Se8 16.S3h2 f6 [ 16...f5 17.exf5 Lxf5 18.Lxf5 Txf5 19.b3!? mit leichtem weißen Vorteil laut Svidler] 17.b3!? [ 17.Sg3 g6 18.f4 exf4 19.Lxf4 Sf7 20.Sf3 Ld7 wie in Jansa - Nikolic, Vranjacka Banja 1982, ergibt eine typische Stellung, in der Weiß aktiver und etwas besser steht, Schwarz aber gute Defensiv-Felder für seine Springer gefunden hat.] 17...Sf7 18.f4 exf4 [ Svidler: 18...g6 ist wohl objektiv stärker - In Flears Buch fällt diese Bemerkung der Kürzung zum Opfer!]
19.Lxf4 Se5 20.Se3 g6 21.Seg4 Lxg4?!
[ sowohl nach 21...h5 22.Sxe5 fxe5 23.Le3 ; als auch 21...Sg7 22.Sh6+ Kh8 23.Sf3 sieht Svidler Weiß weiter im Vorteil; Flear: Vielleicht ist 21...b4 am genauesten] 22.Sxg4 Sxg4? [ 22...b4 ] 23.hxg4 Auf den ersten Blick überraschend, aber h-Linie und der Vorstoß g4-g5 machen den weißen Vorteil klar. 23...Sc7 24.Tf1 Tf7 25.Df3 b4 26.Ld2! a5 27.cxb4 cxb4 28.Tac1 Taf8 [ 28...Sa6 29.Ld3 Sc5 30.Txc5! dxc5 31.e5 mit ernsten Problemen für Schwarz] 29.Ld3 Sa6 30.Lxa6 Dxa6 31.Tc6 Da7+ 32.Le3 Dd7 33.Tfc1 ...und gewinnt... 33...Ta8 34.Tc7 De8 35.Ld4 Ld8 36.T7c6 Le7 37.Tc7 Ld8 38.T7c6 Le7 39.T1c4 h6 40.Tc7 Ld8 41.T7c6 Le7 42.Tc7 Ld8 43.Txf7! Dxf7 44.Df4 Dd7 45.Tc6 Le7 46.Dxh6! Dxg4 47.Tc7 [ 47.Tc7 Te8 48.Lxf6 ] 1-0

 

   Eine weitere Schwierigkeit ist die atemlose Hetze nach Aktualität, denn heutzutage ist jedes Eröffnungsbuch bei seinem Erscheinen zwangsläufig schon veraltet! Flear bemüht sich nach Kräften, den neuesten Forschungs-Stand von Ende 2003 zu präsentieren, muß an verschiedenen Stellen aber immer wieder einräumen, daß zu diversen Abspielen das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und wir bestimmt demnächst Neuerungen und Umbewertungen erwarten dürfen. Im folgenden ein Beispiel einer solchen Neuerung, die in der Zeit zwischen Fertigstellen des Manuskripts und dem Erscheinen des Buches gespielt wurde und die Spanisch-Experte Nigel Short in seinem Bericht im NiC-Magazin 2004-2 als äußerst wichtig anpreist.

 










Smirnov,P (2609) - Thipsay,P (2486) [C96]
Mumbai Commenwealth-ch, 2004

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 d6 8.c3 0-0 9.h3 Sa5 10.Lc2 c5 11.d4 die Keres-Verteidigung 11...Sd7 12.Sbd2 exd4 [ Die alte Fortsetzung 12...cxd4 13.cxd4 Sc6 wurde klar verdrängt, seit bekannt ist, daß 14.Sb3 a5 15.Ld3! La6 16.d5 Sb4 17.Lb1 a4 18.Sbd4! exd4 19.a3 zu weißem Vorteil führt, was Flear anhand Anand - Piket, Wijk aan Zee 1999 (Partie 26), ausführlich zeigt.] 13.cxd4 Sc6 14.d5 Sce5 15.a4 [ 15.Sxe5 Sxe5 16.a4 aus Anand - Ponomariow, Mainz rapid 2002 (Partie 25), ist Flears Hauptvariante; außerdem wird 15.Sh2!? in einer längeren Fußnote abgehandelt] 15...b4 Short: ? Selbstmord, wurde aber öfter gespielt, u.a. von Alexander Graf [ Short: besser 15...Tb8 ] 16.Sxe5 [ Für Flear ist in der "anderen Idee mit sofortigem 15.a4 b4!?" 16.a5 Ta7 17.Sxe5 Sxe5 18.f4 Sg6 19.Sc4 Ld7 20.Le3 Lb5 21.Ld3 Lh4 22.Tf1 Te8 mit zweischneidigem Kampf aus Timofeev - Graf, Dubai 2002, zwangsläufig das letzte Wort] 16...Sxe5 17.f4 Sg6 18.Sc4 a5 19.e5 Neuerung [ 19.b3 mit späterem Remis in Iordachescu - Graf, Istanbul 2003] 19...Lb7 20.Dd3! Schafft verschiedene taktische Drohungen gegen h7 und stellt den entscheidenden Vorteil klar. Es folgte noch: 20...Lh4 [ 20...dxe5 21.f5 Dxd5 ( 21...Sf4 22.Lxf4 exf4 23.f6 ) 22.Dxd5 Lxd5 23.Sb6 +-; 20...f5 ] 21.g3 dxe5 22.f5 Dxd5 23.Dxd5 Lxd5 24.gxh4 Sxh4 [ 24...Lxc4 25.fxg6 hxg6 26.Txe5 ] 25.Sxe5 der Rest ist Technik 25...Tae8 26.Lg5 Sg2 27.Te2 f6 28.Td2 Txe5 29.Txd5 Txd5 [ 29...Te1+ 30.Txe1 Sxe1 31.Lb3 Sf3+ 32.Kg2 Sxg5 33.h4 Sf7 34.Txc5 g6 35.Txa5 Short] 30.Lb3 fxg5 31.Lxd5+ Kh8 32.Kxg2 Txf5 33.Te1 g6 34.Lc4 ...und im 42.Zug 1-0

 

   Positiv vermerkt werden muß, daß sich Flear sichtlich um Objektivität bemüht. Es handelt sich um kein Repertoire-Buch, in dem einseitig Partei ergriffen wird. Flear bleibt in seinen Urteilen neutral, als orthodoxer Positionsspieler steht er Materialopfern eher skeptisch gegenüber und bezweifelt die Kompensation manchen Gambits, das ein anderer Luftikus schnell vollmundig als "Geheimwaffe" verkaufen würde. Trotzdem kann er sich nicht wirklich von seinen Daten-Vorgaben freimachen und hält sich bei seiner Strukturierung von Haupt- und Nebenvarianten ziemlich genau an den aktuellen ChessBase-Variantenbaum. Selbst bei Bewertung der folgenden extrem scharfen und zweischneidigen Variante, die in manchen Kandidaten- und WM-Kämpfen für komplexe Schlachten sorgte, sieht dann das relativ zahme Hauptabspiel so aus:

 










Morozevich,A (2742) - Grischuk,A (2671) [C92]
FIDE GP Dubai, 03.04.2002

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 d6 8.c3 0-0 9.h3 Te8 10.d4 Lb7 11.a4 h6 12.Sbd2 Lf8 13.Lc2 exd4 14.cxd4 Sb4 15.Lb1 c5 [ die solide Alternative 15...Dd7 ist einen genaueren Blick wert; das etwas seltsame 15...bxa4 16.Txa4 a5 17.Ta3 Ta6 ist wieder aus der Meisterpraxis verschwunden] 16.d5 Sd7 17.Ta3 [ zahmer ist 17.Sf1 f5 18.exf5 Txe1 19.Dxe1 Lxd5 ] 17...f5 [ das lange bevorzugte 17...c4 18.axb5 axb5 19.Sd4 läßt den Springer früh ins Zentrum] 18.Sh2 [ 18.Tae3 f4 19.T3e2 Se5 ist OK; 18.exf5 bleibt nach 18...Sf6 kritisch ( 18...Lxd5 unklar wie in Kasparow - Karpow (22), WM New York/Lyon 1990) ; 18.e5!? ] 18...Sf6 [ 18...Kh8 ; 18...c4 ] 19.Tf3 [ 19.Tg3 ; 19.g4!? ; schwächer ist 19.exf5 Txe1+ 20.Dxe1 De7! ] 19...Te5 20.Txf5 Txf5 21.exf5 Lxd5 22.Sg4 Lf7 Wenn diese Hauptvariante sich als gut für Weiß erweist, dann sollte Schwarz irgendwo Verbesserungen finden. Vielleicht hier?! [ 22...bxa4!? Almasi; 22...Ta7!? Beliavsky] 23.Se4 Sxg4 24.Dxg4 d5 25.f6! das ist der Zug, der Schwarz derzeit Probleme bereitet 25...dxe4 26.fxg7 Lxg7 27.Lxh6 Df6 28.Dxe4 Sd5 29.Dh7+ Kf8 30.Dh8+ Lg8 31.Lh7 Kf7 32.Lxg7 Dxg7 33.Lxg8+ Dxg8 34.Dh5+ Kf8 35.Te5 Dxg2+ 36.Kxg2 Sf4+ 37.Kf3 Sxh5 38.Txh5 Kg7 39.axb5 c4 40.Ke3 Kg6 41.Tc5 axb5 42.Txb5 Td8 43.Tb4 Td3+ 44.Ke2 Txh3 45.Txc4 Tb3 46.Tc2 Kf5 47.Kd1 Ke4 48.Td2 Tb8 49.Kc2 Tc8+ 50.Kb1 Tb8 51.Tc2 Kf3 52.Ka2 Ta8+ 53.Kb3 Tb8+ 54.Ka4 Ta8+ 55.Kb5 Tb8+ 56.Ka6 Ke4 57.Ka5 Kd3 58.Tc3+ Kd4 59.Tc2 Kd3 60.Tc3+ Kd4 1/2-1/2

 

   Sicherlich der aktuelle Stand der Dinge, aber auch nur ein momentanes Schlaglicht, denn die Moden können schnell wieder wechseln. Gerade in einem Buch über eine bewährte und solide Eröffnung, wie es der geschlossene Spanier ist, würde manch Amateur mit weniger Zeit zum exzessiven Theoriestudium gern einige zeitlose und universelle Konzepte empfohlen bekommen, wo doch schon andere wesentlich schärfere Eröffnungen mit jeder Woche ständigen Neu- und Umbewertungen unterworfen sind. Statt vieler weiterer Zitate von 15 unkommentierten Zügen läse man aus der Feder eines sachkundigen Großmeisters allzu gerne etwas über anschauliche Pläne, Insider-Tips oder die eine oder andere griffige Faustregel. Wann etwa Weiß besser mit Sf1-g3, wann mit Sf1-e3, mit Sf3-h2-g4 oder gar g2-g4 nebst Sg3 fortfahren sollte, erfährt man bei Flear nirgendwo. Wer also soll diesen ausgedruckten und kurz kommentierten Status Quo des Informationszeitalters kaufen und benutzen? Für den lernenden Einsteiger und schwächere Spieler ist das Buch viel zu speziell und abstrakt, für den spielstarken Spanisch-Spezialisten wiederum ist es nicht vollständig. Der Experte muß sowieso seine eigene Datenbank pflegen und komplettieren und die zitierten Quellen zum detaillierteren Studium heranziehen, "The Ruy Lopez Main Line" kann hier nur Tendenzen andeuten und Fingerzeige geben.

 

Fazit: Flears Buch gibt einen solide recherchierten und routiniert dargebotenen Überblick über den aktuellen Theorie-Stand bis Ende 2003, aber mehr leider nicht. Umfang und Qualität des Materials sind zuverlässig ausgewählt und zusammengestellt. Besondere Geheimnisse und größere Eigen-Analysen werden nicht dargeboten, das starre Konzept des Everyman-Verlages verhindert eine tiefere und didaktisch bessere Präsentation des Stoffes.

 

 

das Rezensionsexemplar stellte die Firma Niggemann (Industriestraße 10, 46359 Heiden) zur Verfügung.


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