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Auf die Plätze - fertig - los

Ein neues Buchkonzept erschließt schnell die Eröffnungssysteme

von Harald Fietz, Februar 2003

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   Englische Schachbücher sind teuer, aber sie eilen dem Trend meist um einige Nasenlängen voraus. Dickleibige Eröffnungskompendien und Nepperproduktionen a la "Gewinnen mit ..." scheinen den Bedürfnissen der noch lesenden Schachfreunde nicht mehr gerecht zu werden. Der Kunde erwartet überwiegend Orientierung aus zwei ganz unterschiedlichen Beweggründen. Entweder ist er als Neueinsteiger an der Einarbeit in Eröffnungskenntnisse interessiert oder er will sein Repertoire mit einer anderen Eröffnung flexibler gestalten, ohne dabei von der Informationslawine aus dem Internet erdrückt zu werden. Kauft sich ein guter Spieler einen Eröffnungsband, dann wird er in der Regel zu Speziallektüre greifen, z.B. einem Buch über die Kan-Variante im Sizilianer, doch begibt sich der Clubspieler auf die Suche nach alternativen Eröffnungen für seine Mannschaftskämpfe und ein gelegentliches Open-Turnier, dann braucht er einen halbwegs verlässlichen Führer. Wer hat schon Zeit und Muse, zu jeder Variante ein ganzes Buch anzuschauen? Die Mischung aus aktuellem Theoriestand und einprägsamem Übungsstoff liegt also nahe. Hier versucht die neue "Starting out ..."-Reihe des Everyman Chess Verlags ihre Leserschaft abzuholen. Tipps und Kniffe ganzer Eröffnungssysteme werden feilgeboten. Dabei setzt der aus den Hause Cadogan hervorgegangene Verlag auf bekannte und neue Autoren.

Das weite Spektrum des Damengambits wird vom Internationalen Meister John Shaw abgesteckt, der hier sein Erstlingswerk vorlegt.

 

John Shaw, Starting out: the Queen's Gambit

John Shaw, Starting out: the Queen's Gambit
London: Everyman Chess, 2002
ISBN 1-85744-304-7, 23.40 Euro
Sprache: Englisch

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 3,5 aus 5

 

   Der dreifache schottische Meister ist im deutschsprachigen Raum relativ unbekannt. Als Partienkommentator des kleinen, wie feinen "Scottish Chess" Magazins hat er aber lange Jahre Erfahrung, Partien didaktisch für eine bestimmte Klientel zu präsentieren. Die Gruppe der Clubspieler bis zum Niveau von 1700 kommt selten in den Genuss, dass ein Autor ihnen bereits in ganz frühem Studium den Sinn von Zügen und Zugfolgen erklärt. Hier liegt die Stärke des 144-seitigen Bandes, der anhand von 73 Partien Einblicke in Hauptsysteme (angenommenes und abgelehntes Damengambit, Tarrasch-Variante), die Slawischen Systeme und die Tschigorin-Verteidigung gibt. Man merkt, dass Shaw als Schachlehrer tätig ist und im nördlichen Teil des Vereinten Königreichs eine Zielgruppe kennt, die sich an den Wochenendturnier für gewöhnlich in spielstärkebegrenzten Turniergruppen wie den "Minors" oder den "Challengers" vergnügt. Es gilt nicht nur hier, dass ausreichend Schulenglisch vorhandenen sein sollte, doch dann wird man sich freuen, dass überwiegend wenig bekanntes Material aus Open-Turnieren rund um den Globus verwendet wird. Vielleicht lohnt sich deshalb auch für erfahrenere Spieler der Kauf, um einen "schnellen Ritt" durch markante Begegnungen der letzten Jahre zu wagen. Schacherzieher an Schulen und im Verein werden zudem die vielen Texterläuterungen hilfreich finden.


   Etwas anders gehen zwei routinierte Buchschreiber vor. Die Großmeister Joe Gallagher und Chris Ward "jonglieren" auf mehr Seiten mit weniger Partien, aber sie bedienen eine Zielgruppe, die bis an die DWZ-2000-Marke reicht. Während Shaw mehr die allgemeinen Entwicklungsrichtungen der Varianten herausarbeitet, fokussieren die Engländer auch auf Aspekte, die selbst dem langjährigen Hobbyspieler neue Zusammenhänge und bisweilen die jüngste Faktenlagen mit statistischen Deutungen erhellen. Scheinbar hat der Verlag den Autoren kein zu enges Arbeitsraster gegeben, so dass eine erfreuliche Vielfalt an Kommunikation mit dem Konsumenten entsteht. Drei Symbole und Fettdruck sind insbesondere in einem Band häufig in Gebrauch:

Chris Ward, Starting out: the Nimzo-Indian

Chris Ward, Starting out: the Nimzo-Indian
London: Everyman Chess, 2002
ISBN 1-85744-254-7, 23.40 Euro
Sprache: Englisch

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4,0 aus 5

 

   Das Klippbrett verweist auf die besondere Wirkung einer Figur oder den anstehenden Plan. Die Glühbirne steht für einleuchtende Tipps allgemeiner Art und der Totenkopf kündet von den Fußangeln der Variante oder gilt als Warnsignal, was keinenfalls passieren sollte. Auf 176 Seiten zeigt Chris Ward 58 Partien in zwölf Variantenblöcken. Neben Spitzenspielern findet man auch 19 eigene Partien, was dazu führt, dass zudem psychologische Einschätzungen berichtet werden. Das besondere Augenmerk richtet Ward außerdem in jeder Untervariante auf den in groben Zügen skizzierten Plan. Das meiste Partienmaterial stammt aus dem Zeitraum zwischen 2000 und 2002, so dass auch jüngste Trends gezeigt werden (z.B. die kleine Renaissance der Sämisch-Variante oder auf 43 Seiten die Antworten auf das vielgespielte 4.Dc2). Warum bei diesem Band auf den Variantenindex und das Partienregister verzichtet wurde, ist aber nicht nachvollziehbar.


   Die umfangreichste der drei Neuveröffentlichungen liefert Joe Gallagher mit 192 Seiten und 61 Partien:

Joe Gallagher, Starting out: the Caro-Kann

Joe Gallagher, Starting out: the Caro-Kann
London: Everyman Chess, 2002
ISBN 1-85744-303-9, 23.40 Euro
Sprache: Englisch

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4,5 aus 5

 

   Er wählt einen gänzlich unorthodoxen Ansatz, um in zehn Kapitel zu jedem System etwas zu sagen. Der seit einigen Jahren in der Schweiz beheimatete Britische Meister von 2001 liebt das Fragezeichen! Aber nicht das hinter schwachen Zügen, sondern jenes, welches den Dialog mit dem Leser anregt. Durchgängig taucht die Abfrage auf, was das theoretische Kennzeichen der Variante ist. Doch Einheitsbrei wird nicht verabreicht. Unterschiedliche System erfordern unterschiedliche Antworten: Mal geht es um die Bauernstruktur oder mal darum, welcher Spielertyp zu dieser Variante greifen sollte. Doch auch konkrete Ideen finden Erläuterung: Warum taugt die große Rochade für Schwarz in der alten Hauptvariante mit 4...Lf5 oder wie stellt Schwarz sich günstig gegen den Panow-Angriff auf. Selbst die im Englischen als "Fantasie-Variante" bezeichnet Zugfolge mit 1.e4 c6 2.d4 d5 3.f3 steht auf 18 Seiten und neun Partien in der Diskussion. Fünfmal führte übrigens Gallagher die weißen Steine, was ein Hinweis auf unerforschtes, aber aussichtsreiches Areal gibt. Obwohl der Schweizer Nationalspieler insgesamt siebenmal als Weißspieler auftritt, werden die Sichtweisen beider Farben am Ende jedes Kapitels objektiv mit drei bis fünf Thesen zusammengefasst. Soviel komprimiertes Wissen in einprägsamer Dosierung zu servieren, gelingt nicht vielen Eröffnungswerken. Kurzum, ein Buch, um am Brett nachzuspielen, aber auch ein anregender Schmöker für die Zug- oder Busfahrt.


   Alle drei Werke können - trotz der unterschiedlichen Macharten - für die entsprechenden Spielstärken und vor allem Trainingszwecken in Gruppen empfohlen werden. Jetzt liegt es an jedem Lernwilligen, wie schnell er aus dem Startblock kommt.

 

 

(erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 23/2002, S.639)
das Rezensionsexemplar stellte die Firma Niggemann (Industriestraße 10, 46359 Heiden) zur Verfügung


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